Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Auf der Wiese, leise, lose,
Wankt das Blümchen her und hin,
Möchte selbst mit Lustgekose
Frei, ein Frühlingslüftchen, zieh’n!
Und es freut der ird’schen Hülle
Sich der Geist in Jugendbraus,
Strömet seiner Wonne Fülle
In die Muskeln schwellend aus.
Auf den Scheitel möcht’ ich häufen
Alle Kränze, die jetzt blüh’n,
Nach dem Höchsten möcht’ ich greifen,
Es zur Erde niederzieh’n.
In der Erde sollt’ es treiben,
Sollt’ es blühen lenzgeweckt,
Ob die gold’nen Früchte bleiben
Ewig auch dem Blick versteckt.
Von viel tieferem geistigem Zuge sind die Blätter seiner Tagebücher aus den Jahren 1841 bis 1844 erfüllt. In diesen erhebt sich ein Geistesbild zu lichter Anschauung über Menschen, Geschichte und Religionsentwickelung. Schulze besaß ein tief religiöses Gemüth. Freilich nicht im Sinne der Märchen-Gläubigen der Dogmen-Orthodoxie, wohl aber im Gefühl und Bewußtsein, daß das geläuterte Menschenwesen sich am deutlichsten auspräge in der stets wachsenden Veredlung der Gottesidee in der Menschheit. Lange Zeit bevor Bunsen in seinem Buche „Der Gott in der Geschichte“ diesen Gedanken eines stets mit der Geistesbildung der Menschheit wachsenden Gottesideals darlegte, sprach bereits Schulze in seinem bisher noch nicht veröffentlichten Tagebuch auf der Reise nach Italien die Grundzüge dieses Gedankens aus. Die poetische Intention und die Klarheit seines Denkens führen wir unseren Lesern in folgendem Auszuge vor.
Auf seiner Ferienreise in Italien treibt ihn die rege Liebe zur Natur nach Sicilien, um dort den Aetna zu besteigen. Es ist Nachts, wo er auf dem Meere die Ueberfahrt von Neapel aus unternimmt. Er schildert, wie es still ist im Schiffe. Die Schläfer ruhen in der Kajüte. Auf dem nächtigen Meer schwebt der Schimmer des Mondes. Schulze breitet seinen Mantel aus und sucht sein Lager auf dem Verdeck.
Da gewinnt das Meer im Geräusch der sich brechenden Wogen am Kiel und im Rasseln des Takelwerkes Laut und Leben, und vor seinem Geist taucht die Zeit des Alterthums auf, in welchem diese Küsten, diese Felsen und diese Haine belebt waren durch die Heldenlieder der griechischen Volkssagen, in welchen Cyklopen, Circe, Sirenen und die Abenteuer des Odysseus besungen wurden.
In Betrachtung des wachsenden Geistes der Menschengeschlechter ergeht er sich nun vom grauen Alterthum in die Blüthezeit der griechischen Kunst und in die Göttergestaltungen, die sie in unsterblicher Schöne geschaffen. Er spricht hierbei Gedanken aus, die von der Tiefe seiner historischen Auffassung ein sprechendes Zeugniß ablegen.
„Die Gottheit einer geschichtlichen Epoche ist deren jedesmalige höchste Idee. Wie die Menschheit im Ganzen vorschreitet, wie sich ihr Ideenkreis im Allgemeinen erweitert und klärt, so wächst auch die Gottheit mit und in ihr fort, und immer reiner und gediegener tritt der Begriff aus den abfallenden Schlacken veralteter Erkenntnißformen. Die alten Götter hatten darum zu ihrer Zeit so gewiß, so wesenhaft Existenz und Macht, wie die der heutigen. Aber der Versuch, sie zu fixiren und somit abzuschließen mit irgend einer Culturperiode, welcher von Priesterkasten von jeher versucht worden ist, mußte an dem unaufhaltsamen Wachsthum der Menschheit noch immer scheitern. Nur ein solcher ist der lebendige Gott, dessen Hauch die geistige Atmosphäre einer ganzen Generation durchdringt und erfüllt, Anfang und Ende aller höhern Bestrebung und Erkenntniß in ihr. Ist aber das Ziel erreicht, der Standpunkt geändert, dann zerfällt er mit dem Geschlecht selbst, dessen Product er war, wie jede Form, von welcher der lebendige Geist gewichen. Denn freilich sind das Alles nur Formen der Gottheit, wie die verschiedenen Generationen Formen der Menschheit sind, welche erscheinen und zerfallen, indem sie der ewige Begriff selbst in steter Beweglichkeit schrittweise von sich abstreift. So entwickelt sich die Gottheit fort und fort aus sich selbst heraus im unbegrenzten All, und Völker und Zeiten sind nichts weiter als die Träger einzelner Gottesgedanken, welche, sobald sie ihr Wesen nach seiner Eigenthümlichkeit entwickelt und so Blüthe und Frucht getragen haben, organisch zerfallen, mit dem Staube ihrer Verwesung den Boden für eine neue Vegetation befruchtend.
Mag der freie Menschengeist sich in seine eignen Tiefen versenken, mag er schweifen im Unermeßlichen umher, überall sucht und findet er Gott. Nicht länger in dem Versteck der Tempel und heiligen Haine, nicht in den Schulen der Priester liegt die Erkenntniß gefesselt, nicht in heiliger Ueberlieferung von Schrift und Wort. Der mündig gewordene Gedanke bedarf keiner sinnlichen Bilder, keiner Formeln und Symbole mehr, an die er sich anklammern müßte, um bei seinem Aufschwunge nicht in das Schrankenlose zu versinken. Wenn ich aufschaue zu den Sternen droben, nicht mehr drängt es mich, gleich jenen Menschen einer frühen Vorzeit, sie in phantastische Bilder nach Willkür zu ordnen, um mich nicht zu verirren in dem zahllosen Heere. Kernen Orion suche ich mehr, keinen himmlischen Schwan, nicht das Haar der Berenice oder die Leier, den Bären nicht und Himmelswagen – Welten sehe ich, bald lichtbeseligt um die eigene Achse, bald strahlendürstend um andere kreisen, alle von ewigen Kräften bewegt, nach ewigen Gesetzen in bestimmten Bahnen wandelnd. Aber der Menschengeist hat sie in seinem hohen Schwunge begriffen, diese Urkräfte, hat diese Urgesetze erkannt, diese unabsehbaren Bahnen gemessen. Hält doch ihn die gleiche Kraft in stets fluthender Bewegung, trägt er doch in sich selbst das Weltgesetz, das nothwendige Maß aller Dinge, die ewige Vernunft, in ihr das Bewußtsein des Alls. Und wie ich mich in den Gedanken versenke, überkommt meine Seele eine heilige Stille, tief wie das Meer; den Pulsschlag der ganzen, weiten Schöpfung gühle ich in meinem Herzen, meine Schläfe rührt der Odem der Ewigkeit, wie ein verlispelnder Hauch.“
Von solchen religiös poetischen und philosophischen Gedanken getragen war der Mann, der den Beruf in sich fühlte, in den politischen Kampf für Recht und Freiheit und in die damals noch ganz ungebahnten Probleme der wirthschaftlichen Fortschritte erfolgreich einzugreifen.
Ist dieser Auszug aus den noch nicht veröffentlichten hinterlassenen Schriften Schulze’s ein Zeugniß seines regen edlen Geistes, so bedarf es vor den Augen unserer Zeitgenossen keiner weiteren Zeugnisse seiner großen Thatkraft auf dem praktischen Gebiete. Die Genossenschaften, die er anfangs in ganz kleinen Kreisen unter den drückendsten Umständen der Reaction zu schaffen begonnen und bis zu der jetzigen Höhe empor getragen hat, sie sind eine Erscheinung, welche bekundet, daß auch im deutschen Vaterlande ideale Bestrebungen und reale Schöpfungen in auserwählten Geistern vereint auftreten und wirken können. Es gereicht dem Vaterlande zu hohem Ruhme, daß aus allen älteren Culturstaaten dem deutschen Manne Bewunderung gezollt und von den besten Geistern seine Werke gerühmt und nachgeahmt werden. Im praktischen England wird die Exactität angestaunt, mit der Schulze durch dreißig Jahre unausgesetzten Fleißes den großen Umfang seiner Wirksamkeit geregelt und in Schriften und Jahresberichten übersichtlich dargelegt hat. In Frankreich und Italien strebt man ihm nach und nimmt seine Statuten und gesetzgeberischen Ausarbeitungen als Muster, um in gleicher Weise eine gesunde sociale Bewegung im Volke anzuregen. Im deutschen Theile von Oesterreich sind Genossenschaften nach dem Vorbilde der Schulze’schen Schöpfungen bereits zahlreich vorhanden, und selbst in slavischen Kreisen bemühen sich ernste Männer, auf gleichem Wege die Bahn des wirthschaftlichen Fortschrittes zu ebenen.
Von noch höherer Tragweite ist Schulze’s Thatkraft dadurch, daß es ihr gelungen ist in der deutschen Nation einen Kreis von praktischen Männern heranzubilden, die sein Werk in seinem Geiste fortführen. An der Spitze von dreiunddreißig Provinzialverbänden der Genossenschaften stehen Männer aus den verschiedensten Berufsclassen, gemeinsam getragen von den Ideen und Zielen, die Schulze entwickelt und verwirklicht hat. Unter ihrer Leitung wirken mehr als 3500 Genossenschaften unter localen Directoren, die eine Gesammtzahl von fast anderthalb Millionen Mitgliedern repräsentiren. Es ist eine Thatsache, daß es kein Institut weiter giebt, das an Mitgliederzahl und an Ausdehnung ihres Wirkens in gleich imposanter Weise von einem einzigen Schöpfer und Träger freien privaten Charakters in’s Leben gerufen worden ist. Aus den Notizen, welche bis jetzt den Stand der Angelegenheiten darthun, ergiebt sich, daß in den gesammten Genossenschaften der Geschäftsumfang sich auf mehr als 2000
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_354.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2024)