Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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„Er würde es mir niemals verzeihen, wenn ich ihn bei solcher Gelegenheit zu Hause ließe!“ rief Paul lachend. „Er soll der künftigen Herrin seine Ehrfurcht bezeigen; es wird nur leider schwer sein, ihm den nöthigen Respect beizubringen, denn er findet, daß Lily viel zu klein ist, um die gnädige Frau von Buchdorf mit der nöthigen Würde zu repräsentiren, und sein einziger Trost besteht in der Hoffnung, daß sie mit der Zeit noch etwas wachsen wird.“
Er verabschiedete sich von dem Freiherrn und ging.
Werdenfels trat an das Fenster und sah ihn einsteigen, während Arnold in Galalivree und mit unendlich wichtiger Miene seinem jungen Herrn folgte. Paul, der seinen Onkel am Fenster bemerkte, beugte sich aus dem Schlage und warf noch einen Gruß zurück, strahlend heiter und glücklich, auch Raimund winkte mit der Hand dem fortrollenden Wagen nach, aber sein Antlitz verdüsterte sich, während er halblaut sagte:
„Wie schnell und leicht die Jugend überwindet! Auch nicht ein Schatten ist von jener Leidenschaft zurückgeblieben, nicht eine Wolke trübt ihm das neue Glück. Ich bin damals auch jung gewesen, aber ich habe es nicht überwunden, noch heute nicht – und werde es nie.“
Es war Nachmittag geworden und der Freiherr saß an seinem Schreibtische, als sein Kammerdiener eintrat, leise und ehrfurchtsvoll wie gewöhnlich, aber seine Miene verrieth doch, daß er etwas Ungewöhnliches zu melden habe.
„Herr Pfarrer Vilmut fragt, ob er den gnädigen Herrn sprechen kann.“
Werdenfels wandte sich mit einer raschen Bewegung um.
„Wer, sagten Sie?“
„Hochwürden, der Herr Pfarrer, er ist bereits im Vorzimmer.“
„So lassen Sie ihn eintreten.“
Der Diener entfernte sich, und gleich darauf erschien Gregor Vilmut; die Thür schloß sich wieder hinter ihm, und er war mit dem Freiherrn allein.
Werdenfels hatte sich erhoben, aber in seinem ganzen Wesen lag jener eisige Stolz, den der Pfarrer Hochmuth nannte. Er stand in völliger Unnahbarkeit da, der Feind dem Feinde gegenüber, und neigte kaum das Haupt gegen den Eintretenden.
Vilmut sah das mit einem einzigen Blicke, und seine Haltung wurde noch starrer und unverbindlicher, als sie ohnehin schon war, während er sich langsam näherte.
„Sie waren einst auf dem Wege zu mir, Herr von Werdenfels,“ begann er. „Unsere Begegnung verhinderte Sie, das Pfarrhaus zu betreten, ich nehme das jedoch als geschehen an und gebe es zurück, indem ich heute bei Ihnen erscheine.“
„Es liegen mehr als sechs Monate dazwischen,“ sagte Raimund, ohne sich von seinem Platze zu rühren. „Wie sie in Werdenfels verflossen sind, das wissen wir Beide ja hinreichend. – Was bringen Sie mir, Hochwürden?“
„Ich komme in Ihrem Interesse!“ betonte Vilmut, gereizt durch den Ton und die Haltung; in denen er den „Werdenfels’schen Hochmuth“ fühlte.
„In meinem Interesse? Ich bedaure, das ablehnen zu müssen. Ich weiß meine Interessen selbst wahrzunehmen, ohne Rath und Hülfe von Ihrer Seite.“
„So werden Sie wenigstens eine Warnung hören. Sie haben in den letzten Tagen eine ungewohnte Strenge gegen die Dorfbewohner gezeigt und wollen jetzt sogar einige derselben dem Gefängniß übergeben, wie ich höre.“
„Allerdings will ich das, denn meine Geduld hat endlich ihr Ende erreicht! Schon neulich wurde ein Attentat auf meine Gewächshäuser versucht, das nur die Wachsamkeit der Dienerschaft verhinderte. Heute Nacht ist der Versuch wiederholt worden, und meine ganze Orangerie ist ihm zum Opfer gefallen. Zwar wurden die Zerstörer diesmal auf der That ergriffen, aber die Stämme der sämmtlichen Orangenbäume waren bereits durchschnitten und eine zwanzigjährige Mühe und Pflege in einer halben Stunde vernichtet. Erwarten Sie vielleicht, daß ich auch das ungestraft hingehen lasse?“
„Nein. Ich bin durchaus Ihrer Meinung, daß die Thäter bestraft werden müssen, und bestreite Ihnen keineswegs das Recht dazu, aber die Ausübung desselben könnte diesmal verhängnißvoll werden. Sie haben bisher derartigen Vorkommnissen gegenüber die unbedingteste Gleichgültigkeit gezeigt, die Leute werden diesen plötzlichen Wechsel zur vollsten Strenge nicht begreifen.“
Raimund zuckte die Achseln.
„Auf Verständniß rechne ich bei den Bauern überhaupt nicht mehr. Ich habe bisher Nachsicht geübt, weil ich hoffte, das Aeußerste noch vermeiden zu können, aber eine Erfahrung, die ich kürzlich machte, hat mir gezeigt, daß es nicht zu vermeiden ist. So mag die Sache denn ihren Lauf nehmen.“
„Sie meinen das Verbrechen, das Eckfried gegen Sie plante und das noch rechtzeitig verhindert wurde?“ fragte Vilmut.
„Ja, aber wie erfuhren Sie davon? Der Alte wird doch nicht zum Selbstankläger geworden sein.“
„Er bekannte es mir in der Beichte.“
„Ja so! Ich vergaß, daß der Beichtstuhl Sie allwissend macht. Vermuthlich haben Sie noch mehr derartige Bekenntnisse gehört und – absolvirt. Ihre ganze Gemeinde weiß es ja, daß Sie Absolution gewähren für jedes Verbrechen, sobald es mich betrifft.“
„Wer sagt das?“ fuhr Gregor auf.
„Eckfried selbst.“
„So hat er gelogen!“
Werdenfels blickte einige Secunden lang fest in das Gesicht des Priesters, das volle, ungeheuchelte Empörung zeigte, dann sagte er langsam:
„Es mag sein, daß die Leute weiter gehen, als Ihnen lieb ist. Ein Stein, der einmal in das Rollen gebracht ist, rollt eben weiter, das hätten Sie bedenken sollen.“
„Es handelt sich hier nicht um mich,“ gab Vilmut scharf zurück. „Ich bin nicht der Bedrohte, aber ich wiederhole es Ihnen, Sie haben die Leute nicht an Strenge gewöhnt und diese plötzliche rücksichtslose Härte kann gefährlich werden. Leider ist unter den Uebelthätern auch der Sohn eines Großbauern. Der Rainer führt die erste Stimme im Dorfe, und der Gedanke, daß sein Bube in das Gefängniß wandern soll, bringt ihn außer sich. Er war heute Morgen bei mir und stieß die wildesten Drohungen gegen Sie aus. Hüten Sie sich! Der Mann ist zu Allem fähig und wird Alles mit sich fortreißen. Ich warne Sie!“
Um Raimund’s Lippen spielte ein verächtliches Lächeln, als er fragte:
„Glauben Sie, daß ich mich vor den Bauern fürchte, weil Sie die Zügel verloren haben?“
„Ich? Wer sagt Ihnen –?“
„Ihr Erscheinen in meinem Schlosse. Wenn man sich, wie sonst, noch Ihrem Willen beugte, wenn Ihr bloßes Wort noch genügte, um den Gehorsam zu erzwingen, so wären Sie nicht hier.“
Vilmut biß sich auf die Lippen, denn widerlegen konnte er die Worte nicht. Er fühlte es selbst, daß die Zügel seiner Hand entglitten, daß seine Verbote nicht mehr befolgt wurden. Auch seine Hand vermochte es nicht mehr, den Stein aufzuhalten, den er selbst in das Rollen gebracht, aber der stolze Priester hätte um keinen Preis der Welt dies Schwinden seiner Macht zugestanden, am wenigsten vor diesem Gegner.
„Ich bin hier, um einer Gefahr vorzubeugen,“ versetzte er, „und es giebt ein Mittel dazu. Ueberlassen Sie mir die Bestrafung der Schuldigen! Eckfried ist bereits bestraft, die Buße, die ich ihm auferlegte, trifft ihn härter als Verurtheilung und Gefängniß, und auch den Anderen gegenüber werde ich Mittel zu finden wissen. Was ihnen im Beichtstuhl auferlegt wird, werden sie tragen, und Sie, Herr von Werdenfels, entgehen dem allgemeinen Hasse, der sich in so bedrohlicher Weise gegen Sie richtet. Legen Sie die Sache in meine Hände, ich bürge Ihnen dafür, daß sie nicht ungeahndet bleibt.“
„Ich danke,“ entgegnete Raimund mit kühler Ablehnung. „Ich ziehe es vor, Beleidigungen, die mir persönlich galten, auch persönlich zu erledigen. Ueberdies habe ich in Gegenwart der gesammten Dienerschaft erklärt, daß ich diesmal die vollste Strenge walten lasse, und werde mich nicht der Schwäche schuldig machen, das zu widerrufen. Ich habe als Polizeiherr von Werdenfels die Thäter vorläufig in Gewahrsam genommen und übergebe sie morgen den Gerichten. Es bleibt dabei.“
„Wohl, ich kann Sie nicht hindern, Ihr Recht auszuüben, wenn es aber geschieht, so stehe ich nicht mehr für Ihre persönliche Sicherheit ein.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_351.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)