Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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gewöhnt – legen Sie mir jede Strafe auf, und wenn es noch so schwer ist, ich will’s aushalten – aber lassen Sie mir meinen Toni.“
„Nein,“ sagte Vilmut unbewegt. „Ihr habt das Recht verwirkt, ein Kind zu erziehen. Ich weiß, daß diese Strafe die härteste für Euch ist, härter, als selbst das Gefängniß, und gerade deshalb lege ich sie Euch auf. Am Grundsee kommt der Bube in rauhe, aber auch in fromme und tüchtige Zucht, dafür werde ich sorgen. Es bleibt dabei, Ihr bringt den Knaben noch heute zu mir.“
Da hob der alte Mann die gefalteten Hände empor, und seine Stimme brach fast in bitterem Schmerze.
„Hochwürden, ich hab’ nicht mehr lange zu leben, und was ich vom Leben gehabt habe, ist auch nur Jammer und Noth gewesen, Sie wissen es ja. Ich habe Alles verloren – Alles! Nur der kleine Bub’ ist mir noch geblieben, und so lang’ ich den behalte, so lang’ halte ich es noch aus im Leben. Ich habe schwer arbeiten müssen in der letzten Zeit für uns Beide, aber wenn ich halbtodt nach Hause kam und der Toni kam gesprungen und lachte mich an, dann war es vergessen. Den Toni dürfen Sie mir nicht nehmen und den geb’ ich auch nicht her – komm es wie es wolle!“
„Nicht?“ fragte Vilmut kalt. „Das wird sich zeigen. Ihr übergebt mir entweder den Knaben oder – ich verweigere Euch die Absolution. Ihr habt zu wählen.“
Eckfried schlug beide Hände vor das Gesicht und stöhnte laut auf.
„Nun?“ sagte der Pfarrer nach einer Pause. „Wollt Ihr die Schuld ungesühnt auf der Seele behalten, oder wollt Ihr gehorchen?“
Der Ton der Frage zeigte, daß er seiner Sache sicher war, und er täuschte sich auch nicht.
Die Hände des alten Mannes sanken matt nieder, und dumpf und tonlos erwiderte er:
„Ich will’s thun!“
Einige Minuten später verließ Vilmut die Kirche, während Eckfried ihm folgte. Draußen auf dem Kirchplatz tummelte sich eine Schaar von Kindern, sie jagten sich lustig umher, aber beim Erscheinen des Geistlichen wurde das Spiel sofort unterbrochen, und die sämmtlichen Kinder kamen herbei, um dem hochwürdigen Herrn die Hand zu küssen.
Der kleine Toni, der sich unter ihnen befand, war einer der Ersten, dann aber lief er eiligst zu seinem Großvater, an dem er mit großer Zärtlichkeit hing und welcher das Kind jetzt so krampfhaft an sich preßte, als wolle er es nicht wieder loslassen. Vilmut wandte sich zu ihm und sagte mit voller Gelassenheit:
„Ich werde Euren Enkel sogleich mit mir nehmen, er bleibt bis morgen im Pfarrhause.“
Der alte Mann sah in das rosige Gesichtchen, das noch heiß geröthet war vom raschen Laufe, in die hellen blauen Augen, die ihn so lachend und kinderfroh anschauten, und dann in das strenge, finstere Gesicht des Priesters, wo auch nicht ein Schimmer von Milde zu entdecken war.
„Ich kann nicht, Hochwürden!“ brach er aus. „Ich will nach dem Schlosse, ich will – den Werdenfels um Verzeihung bitten, und wenn ich daran sterben sollte – aber den Toni kann ich nicht hergeben!“
Statt aller Antwort nahm der Pfarrer das Kind aus den Armen des Großvaters und ergriff es bei der Hand.
„Ihr kennt die Bedingung, unter der ich Euch einzig und allein die Absolution gewährte! Ihr habt eine Schuld begangen und werdet ohne Murren die Strafe tragen, die ich über Euch verhänge. Wenn sie Euch schwer dünkt, so denkt daran, daß sie verdient ist. Komm, Toni!“
Toni begriff natürlich nicht, um was es sich handelte, aber er fürchtete sich vor dem strengen geistlichen Herrn und fühlte instinctmäßig, daß man ihn von seinem Großvater trennen wollte. Er begann deshalb laut und bitterlich zu weinen und versuchte, sich zu sträuben, aber Vilmut brachte diesen Widerstand bald zum Schweigen. Seine Hand legte sich mit hartem Griff auf den Arm des Kindes und zwang es ihm zu folgen.
Eckfried war zurückgeblieben, noch siegte die gewohnte blinde Unterwerfung unter den Willen des Priesters, er ließ es geschehen, daß man ihm sein Liebstes nahm, und wagte es nicht einmal, es zu vertheidigen, aber in seinem Antlitz zuckte es zum ersten Male wie Trotz und Ingrimm, und seine Hände ballten sich. Als der Kleine aber jetzt noch einmal das thränenüberströmte Gesicht zurückwandte und wie hülfeflehend nach dem Großvater blickte, da biß dieser die Zähne zusammen, und es kam wie ein dumpfes, drohendes Murren aus seiner Brust hervor:
„Mich straft er, und wer ist denn schuld daran? Er hat mich und das ganze Dorf gegen den Felsenecker gehetzt – er allein, und nun sollen wir es büßen!“ –
Vor der Schloßterrasse von Werdenfels stand der Wagen, der den jungen Baron nach Rosenberg führen sollte, dieser selbst aber befand sich noch bei seinem Onkel. Er hatte gestern nach seiner Rückkehr den Freiherrn nicht mehr gesprochen und ihm daher erst heute Vormittag seine Verlobung mitgetheilt.
Werdenfels nahm die Nachricht mit Ueberraschung, aber ohne Unwillen auf, er schien eher eine Genugthuung darüber zu empfinden, daß der junge Mann jene frühere Leidenschaft für die Schwester seiner Braut so vollständig überwunden hatte.
„Ich wünsche Dir Glück, Paul,“ sagte er, ihm herzlich die Hand reichend. „Und ich hoffe, Du wirst es finden in einem jungen Wesen, das sich Dir so ganz und voll zu eigen giebt. Ich habe Deine Braut freilich nur ein einziges Mal gesehen, damals am Schloßberg, als sie vor meiner Nähe bei Dir Schutz suchte. Vielleicht lehrst Du sie jetzt einsehen, daß ich nicht so sehr zu fürchten bin.“
„O, meine kleine Lily ist sehr gelehrig,“ versicherte Paul, der sich in der glücklichsten Bräutigamsstimmung befand. „Sie soll den gefürchteten Felsenecker bald besser kennen lernen. Allerdings gestand sie mir gestern im Vertrauen, sie habe im Anfange ernstlich gefürchtet, Du hättest mich nur nach Deinem Bergschlosse gerufen, um mir dort in aller Stille den Hals umzudrehen.“
Raimund lächelte, aber es war ein mattes, trübes Lächeln.
„Ich glaubte nicht, daß der Aberglaube der Bauern sich bis in solche Regionen versteigt. Also sogar bei seiner jungen Verwandten hat Vilmut dergleichen geduldet!“
„Vermuthlich! Aber in der Opposition gegen den Herrn Pfarrer sind Lily und ich einig. Sie hegt Gott sei Dank eine gründliche Antipathie gegen ihren geistlichen Vetter, und wir haben bereits vor der Verlobung ein Schutz- und Trutzbündniß gegen seine Hochwürden geschlossen.“
„Du solltest trotzdem diesen Gegner nicht unterschätzen, Du siehst es ja hier in Werdenfels, was seine Feindschaft bedeutet. Als Vormund Deiner Braut kann er Euch endlose Schwierigkeiten bereiten, und jedenfalls wird er alles daran setzen, diese Verbindung zu hindern.“
„Er soll es nur versuchen!“ rief Paul kampflustig. „Ich bin bereit, es mit ihm aufzunehmen, und Lily’s bin ich unter allen Umständen sicher.“
„So zähle auch auf mich, wenn ich Dir irgendwo mit meinem Einfluß zur Seite stehen kann,“ sagte der Freiherr. „Und nun geh’ und bringe Deiner Braut meinen Gruß und meinen Glückwunsch.“
„Und sonst – hast Du mir keinen Gruß aufzutragen?“ fragte Paul leise.
Raimund wandte sich ab und beugte sich über die Papiere seines Schreibtisches.
„Nein,“ entgegnete er nach einer Pause.
„Dann darf ich wohl auch nicht meine Braut zu Dir führen? Und ich hätte es doch so gern gethan. Du hast ja stets Vaterstelle an mir vertreten.“
„Wenn Lily erst an Deiner Seite in Buchdorf lebt, werde ich mich oft und gern an Eurem Glücke freuen – die Annäherung an Rosenberg mußt Du mir erlassen.“
Paul erneute seine Bitte nicht, denn er fühlte, daß dieser Punkt nicht weiter berührt werden dürfe. Er nahm Hut und Handschuhe und machte sich zum Gehen fertig.
„Ich werde wohl erst am Nachmittage zurückkommen,“ warf er hin. „Du begreifst, Raimund –“
„Daß Du Deinen ersten Besuch als Bräutigam etwas länger ausdehnst – ja, das begreife ich vollkommen. Vermuthlich willst Du auch Deinen Arnold mitnehmen, denn ich sah ihn vorhin in voller Gala am Fenster vorübergehen.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_350.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)