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Seite:Die Gartenlaube (1883) 326.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

eben dem Knabenalter entwachsenen Lutete für die Zwecke der Expedition gewissermaßen erziehen wollte.

Mit Ausnahme eines braven Sansibari, Djuma, welcher in einem Kampfe erschossen wurde, brachte ich alle meine Leute wohlbehalten aus dem Inneren zurück.

In einer Reihe von Einzelschilderungen will ich versuchen, den Lesern der „Gartenlaube“ ein übersichtliches Bild von Land und Leuten der besuchten Gebiete zu geben. Eine große Anzahl von Abbildungen, von Herrn Professor A. Göring nach meinen möglichst getreu an Ort und Stelle ausgeführten Farbenskizzen gezeichnet, wird mich vom zweiten Artikel an darin unterstützen.




1.0 Eine Kitanda am oberen Congo.

Wir befanden uns zwei Tagemärsche östlich von Manyanga, der dritten von Stanley am Congo gegründeten Station, und nördlich von dem zwischen steil abfallenden Höhenzügen verborgenen Strome, im Lande der Babuende.

In ermüdender Einförmigkeit ruhte um uns das Gebirge. Seiner Natur nach gleicht es viel mehr einem sehr schwierigen Hügellande: eng gedrängt, aber durch mehr oder minder tiefe Einschnitte von einander geschieden, ragen bis etwa zweitausend Fuß über dem Meere die gerundeten Kuppen der Berge auf. Statt anmuthender Thäler, wo in blumigen Auengeländen sich Wasserläufe entlang winden, gähnen allenthalben steilwandige, enge Schluchten, welche zur Regenzeit nach jedem Gewitter mit tosenden Fluthen angefüllt sind. Darum liegen auch die Wohnsitze der Eingeborenen wie Raubnester auf den unbequemen Höhen, wo allein Raum und Sicherheit zu finden ist.

Es war Milte August, die trockenste Zeit des Jahres. Die Gräser, welche wie überall im Congogebiete den weitaus größten Theil des Bodens beherrschen, waren abgestorben und verliehen der eigenartigen Gebirgslandschaft eine ausgeprägt herbstliche Stimmung. Ockerfarben, leicht sepiabraun abgetönt, im Sonnenlichte goldig schimmernd, bekleiden die lockeren Bestände Gipfel und Hänge. Vereinzelt lugen kümmerlich belaubte Büsche und charakteristische Zwergbäumchen aus den wogenden Halmen. Wie Riesenmuster liegen zart graue oder schwarze Streifen und Flecken in dem warmen Gelb, wo verheerende Grasbrände ihren Lauf nahmen. Die Ferne verschwimmt in bläulichem Dufte. Freundliches, mannigfach schattirtes Grün, vielfach gehoben durch die Blüthenpracht üppig wuchernder Lianen, findet sich tief versteckt zwischen den Bergen, in Bodensenkungen und Schluchten. Je unzugänglicher die Stellen, um so reicher ist die Vegetation entwickelt. Formenreiche Farne und schönlaubiges Buschwerk umkränzen klaffende Regenrisse: starre Ananasdickungen klimmen an Steilhängen empor. Palmengruppen, lauschige Haine und langgestreckte Gehölze füllen die engen Gründe: sie bergen in ihrem Schatten das spärliche Naß vielgewundener Bachrinnen, umsäumen die Ufer felsiger Flußbetten, in welchen die klaren Gebirgswasser rauschend und gurgelnd zum Congo eilen.

Dorthin hat sich um diese Jahreszeit das ärmliche Thierleben des Gebirges zurückgezogen. Von dort herauf dringen die traulichen Rufe wilder Tauben, der laute Flötenton des Würgers, bisweilen auch der dumpfe Lärm der Kukuke, die fröhliche Strophe einer Drossel. Auch die unschönen Stimmen umherschweifender Nashornvögel lassen sich vernehmen. Seltener verräth auffälliges Prasseln des Laubwerkes, ein hallendes Grunzen, Gezwitscher und Gekeife das lustige Treiben einer Affenschaar. Der geübte Blick mag dann in der Tiefe heftig bewegtes Gezweig unterscheiden oder wohl auch die scheuen Vierhänder erspähen, wie sie mit komischen Sprüngen über nackte Bodenstellen huschen und im Grase verschwinden.

Auf den Höhen dagegen ist es öde und stille. Eine von Westen kommende Windsbraut fährt sausend durch die Halme; vielleicht klingen auch einmal gedehnte Rufe und wirre Kinderstimmen von hochliegenden fernen Wohnsitzen der Eingeborenen herüber. Ein bunter Schmetterling gaukelt am Wege; etliche Heuschrecken schwirren vor dem Wanderer her, und bisweilen scheucht er einen lerchenähnlichen Vogel auf, der sich mit auffallend klappernden Flügelschlägen in die Lüfte schwingt.

In ununterbrochenem Auf- und Absteigen, über Berggipfel und durch Schluchten ziehend, hatten wir nach beschwerlichem Marsche die Landschaft von Mpakambendi durchmessen und den überaus ermüdeten Trägern zu Liebe an hohem Berghange Halt geboten. Vor uns lag ein selbst für das so unwegsame Congogebirge ungewöhnlich bedeutender Einschnitt, welcher die natürliche Grenze bildet zwischen dem westlichen sehr schwierig zu begehenden District von Mpakambendi und der ostwärts sich dehnenden weniger zerrissenen Landschaft von Nsinga.

Drüben lag auf breitem Höhenrücken zwischen Frucht- und Schattenbäumen versteckt das große Dorf Nkunga. Beim Grauen des folgenden Tages kletterten wir in die tiefe Doppelschlucht hinab, passirten das Flüßchen Ngombe, den Bach Miongo und stiegen dann unter Trompetengeschmetter, ermunternden Zurufen, Jauchzen und Lachen an theilweise außerordentlich steilen Gehängen 800 Fuß hoch empor.

Oben empfing uns der Häuptling mit dem üblichen Gefolge. Gewohnheitsmäßig flüchteten bei unserem lärmenden Einzuge Hunde, Katzen, Ziegen, Hühner und was sonst noch an Gethier vorhanden war. Die menschlichen Dorfbewohner dagegen kamen zutraulich herbei, die Weißen anstaunend, fragend, antwortend. Sie begannen bald sich höchlich an den Scherzen der beiden anerkannten Witzbolde unserer Sansibari zu ergötzen; namentlich der bildhübsche unverwüstliche Nkombo wurde sogleich, wie allerorten, der erklärte Liebling des weiblichen Geschlechts.

Es herrschte ein ungewöhnlich reges Leben in Nkunga. Viele Frauen und Mädchen im Putz standen in Gruppen oder verkehrten zwischen den Hütten; andere zogen eilfertigen Schrittes vorüber, mit Nahrungsmitteln hoch bepackte große Strohschüsseln, Körbe, Töpfe oder Holztröge auf den Köpfen balancirend. Ein Markt, Kitanda, wurde auf dem Platze Nkenge-ntandu bei dem unweit gelegenen Dorfe Muyanga abgehalten.

Diese Märkte sind höchst bezeichnend für das Volksleben im Congogebirge; das Küstengebiet hat nichts Aehnliches aufzuweisen. An beliebten und wichtigen Punkten kommen Tausende von Eingeborenen zusammen, vorzugsweise aus der Nachbarschaft, in geringerer Anzahl aber auch aus ferneren Gegenden herbeieilend. Sie tauschen unter sich aus, was sie an Feldfrüchten, Hausthieren und sonstigen Nahrungsmitteln sowie Werkzeugen und Geräthen besitzen oder begehren. Die für den europäischen Handel wichtigen Landesproducte: Elfenbein, Kautschuk, Palmöl und andere finden dagegen keinen Absatz und werden überhaupt nicht auf den Platz gebracht. Die Kitanda entspricht sonach unserem Wochenmarkte oder dem Jahrmarkte.

Selbstverständlich spielen die Frauen die Hauptrolle. Es finden sich aber auch viele Männer ein, Angehörige aller Schichten der Bevölkerung. Bekanntschaften werden angeknüpft, interessante Neuigkeiten besprochen; man zeigt sich im Staate, man schwatzt und lacht, ißt und trinkt mit einander, handelt und amüsirt sich. So gewinnt eine Kitanda zugleich den Charakter eines eigenartigen Volksfestes.

Durch einen Marktmeister wird auf dem Platze die Ordnung streng aufrecht erhalten, jeder Streit sogleich geschlichtet. Verpönt sind alle Vorkommnisse, welche den öffentlichen Frieden stören, eine Panik der erregten Menschenmenge erzeugen könnten, und schwer geahndet werden Prügeleien oder schlimmere Vorfälle. Ueberdies denkt kaum Jemand daran, sich ungezogen oder gar unanständig zu betragen, sich wider die althergebrachten, bewährten Gebräuche und Formen des Verkehrs aufzulehnen. Daher bleibt das lärmende Treiben, das tolle Gedränge der Marktbesucher geradezu musterhaft harmlos, und ein Bruch des Marktfriedens ist ein die ganze Gegend für lange Zeit aufregendes Ereigniß.

Die Kitanden wiederholen sich regelmäßig in schneller Folge, in größeren, dicht bevölkerten Districten sogar Tag für Tag. In diesem Falle wechseln sie ab an verschiedenen Orten. Die Sammelplätze liegen stets auf Höhen, selten unmittelbar neben Dörfern, niemals innerhalb derselben. Sie werden nach den Tagen der Woche benannt, deren in jenen Gebieten ebenfalls nur vier angenommen sind: Nsona, Nkandu, Nkonso, Nkenge. Findet in der Gegend gleichzeitig noch ein zweiter Markt statt, so wird jeder durch ein gewöhnlich auf die Oertlichkeit Bezug habendes Beiwort unterschieden.

So hieß der unweit Nkunga liegende Marktplatz Kitanda Nkenge-nkandu[WS 1], das heißt der an jedem vierten Tage wiederkehrende Markt auf der Campine oder Grasflur, der auf den Nkenge fallende Wiesenmarkt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nkenge-ntandu
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_326.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2023)