Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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die Geister bedrückt und verwirrt und die Gefühle der Freude an jener großen Zeit und des Dankes für diejenigen, die ihr Bestes für sie gewagt und geopfert, immer weiter in den Herzen zurückdrängt.
Da muß wohl der treue Vaterlandsfreund es als ein Gebot der Pflicht erkennen, von Zeit zu Zeit wieder ein Bild aus jenen großen Tagen dem Volke vor Augen zu bringen, um die einst so warmen Gefühle des Dankes und der Erhebung nicht ganz erkalten zu lassen. Oder wäre wirklich aus dem Geiste der Gegenwart jedes Andenken an jene unsägliche Sehnsucht gewichen, mit welcher die Edelsten und Besten unserer Nation über ein halbes Jahrhundert lang nach dem einen Ziele strebten, das durch unsern großen Krieg endlich erreicht worden ist? Die Sehnsucht aller Vaterlands- und Freiheitsfreunde – denn in beiden waren alle eins, und der Wahlspruch: „Freiheit, Ehre, Vaterland“, war der aller wahrhaft deutschen Männer – sie ließ die letzte Hoffnung Aller in einem großen nationalen Krieg erkennen: noch einmal ein Jahr Dreizehn! Das war der tiefinnigste Wunsch aller Patrioten – ein Jahr Dreizehn mit seiner allgemeinen Erhebung aus der tiefsten Erniedrigung! Und es kam dieses Jahr des unerhörten Aufschwungs des deutschen Volksgeistes: wir haben es erlebt im Jahre 1870. Alles, was die Väter uns noch in ihren ältesten Tagen gepriesen und was die Geschichte verherrlicht von der Einmüthigkeit aller Herzen, von der Opferfreudigkeit aller Stände in jenem deutschen „Befreiungskriege“ – wir haben es wieder gesehen mit den eigenen Augen, wir haben die ungeheuersten Thaten im Sturme, im unaufhörlichen Wehen der Siegesfahnen miterlebt.
Und wie im Jahre Dreizehn haben mir abermals erfahren, daß der furor teutonicus, die alte germanische Kampfwuth, wo das Höchste und Heiligste mit dem Schwerte zu schützen ist, noch forttobt in den deutschen Adern. Aus weitester Ferne, über das Meer her eilten die Kampfpflichtigen zu ihren Fahnen, Knaben verleugneten ihr Alter und flehten um Waffen, und Männer, die keine Pflicht mehr zwang, den Regimentern zu folgen, sie hielten nun erst recht die Treue fest, und freiwillig setzten Väter an der Grenze des Greisenalters Pickelhaube und Raupenhelm auf die grauen Häupter und zogen mit der Jugend der Linie und den Männern der Landwehr in den Krieg.
Und von diesen alten Helden wollen wir heute erzählen, von ihnen stellen wir die Aeltesten, soweit wir dies vermögen, im Bilde dar. Selbstverständlich müssen wir bei der Alterswürdigung uns auf die Soldaten vom Feldwebel abwärts beschränken. Nur eines Einzigen müssen wir hier gedenken, der freilich auch über dem Officiercorps steht: es gehört zu den fast wunderbaren Auszeichnungen, die das Schicksal dem deutschen Heere in seinem größten Kampfe zu Theil werden ließ und die auch auf die Reihe der dargestellten alten Helden einen weihenden Strahl wirft, die in der Weltgeschichte einzig dastehende Thatsache, daß seines Reiches ältester Soldat unser Kaiser selbst ist!
Um unsere Leser nicht mit der Hinweisung auf die einzelnen, diesen Gegenstand behandelnden Notizen im vorigen Jahrgang der „Gartenlaube“ zu behelligen, geben wir hier über das Ganze einen vollständigen Bericht.
Die Anregung zu der Frage nach dem ältesten Soldaten der deutschen Armee im französischen Kriege von 1870/71 verdanken wir – dem jüngsten freiwilligen Mitkämpfer in diesem Feldzug, Herrn Theodor Hofmann, gegenwärtig Stadtschreiber zu Forchheim in Baiern. Mit einem Alter von 15 Jahren
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_309.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)