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Seite:Die Gartenlaube (1883) 308.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Es war die Stimme eines Gehülfen. Vom Boden aus mündete ein Rohr in der Kopfhöhle. Der Gehülfe sprach unten hinein, und so schienen die Worte direct aus dem Schädel hervorzuquellen.“

„Und sein Verschwinden?“

„War ein Zerschmelzen. Der Schädel war aus Wachs modellirt, und die Platten der Nische wurden von unten erhitzt.“

„Aber man sah doch nicht …“

„Ihr saht überhaupt nicht deutlich,“ fiel Olbasanus ihm in die Rede. „Ein Vorhang aus dünnem coïschem Gewebe schloß die Nische ab, ohne daß Ihr’s gewahrtet. Die Täuschung ward auf diese Weise erleichtert. Aehnlich wirkte nachher draußen im Park das vielverschlungene Netzwerk der Baumzweige, hinter denen die flammensprühende Hekate über den Himmel fuhr.“

„Erkläre uns auch diese flammensprühende Hekate!“

Der Chaldäer lachte hell auf. Dann sprach er mit eigenthümlicher Selbstironie:

„Verzeiht mir; aber es ist ein sonderbares Verhängniß, daß mein gewaltigstes Meisterstück mich immer zum Lachen reizt. Hunderte von Gläubigen hab’ ich auf dem Rundplatze meines Parks am Boden geschaut, wie sie verhüllten Hauptes stöhnten und ächzten, wenn das grausige Phänomen am nächtlichen Himmel aufstieg. Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb … der Contrast ist zu schneidig. Diese Hekate, die scheinbar mit rasender Schnelligkeit am Firmament einherzieht, ist nichts Anderes, als ein bedauernswürdiger Hühnergeier, mit brennendem Werg umwickelt. Einer meiner Gehülfen läßt das unglückselige Thier, das durch enganschließende Lederkappen am Schreien gehindert wird, aus einem gewaltigen, zwanzig Ellen langen Rohre entweichen. Der geängstigte Vogel behält so die Richtung bei, die er eingeschlagen. Ehe das Werg erlischt, hat der Geier bereits die Stelle erreicht, wo er aufhört, sichtbar zu sein. Durch die Aeste der zahlreichen Bäume getäuscht, versetzen die ehrfurchtsvollen Beschauer das Flammengebilde weit hinaus in den Luftraum und schreiben ihm so eine gigantische Größe und überraschende Schnelligkeit zu – ähnlich wie der Blick, wenn er in Gedanken dahinstarrt, eine Fliege, die nahe am Auge vorüberschwirrt, für den unklar gesehenen Schatten eines mächtigen Vogels hält. Das, o Bononius, ist Hekate, die Herrscherin über uns Alle, die Fürstin der Nacht, die grausenhafte Tyrannin der Unterwelt.“

„Genug,“ sagte Cajus Bononius. „Ich sehe es jetzt, uns Allen wohnt ein Hauch jenes gewaltigen Dämons inne, der Dein mächtigster Verbündeter ist: Aberglaube geheißen und menschliche Dummheit. Auch ich bekenne mich schuldig, unter dem Eindrucke dessen, was Du uns vorgegaukelt, für Augenblicke irre geworden zu sein an dem, was ich in langen Jahren angestrengter Arbeit errungen habe. Ich bin ein Mensch, darf ich hier mit dem Dichter sprechen; nichts Menschliches acht’ ich mir fremd, auch nicht die menschlichen Schwächen und Irrthümer. Du aber, Olbasanus, fürchte dereinst die erwachenden Qualen Deines Gewissens! Vermöge Deines unverkennbaren Scharfsinns berufen, ein Führer dieser irrenden Menschheit zu werden, die Nacht ihrer Irrthümer zu erhellen und ihr die Wahrheit zu bringen, verschmähst Du es nicht, aus ihren Schwächen Vortheil zu ziehen, jenem elenden Räuber vergleichbar, der einen Kranken und Wehrlosen plündert. Verlaß uns jetzt – sonst ergreift mich der Ekel, und ich vergesse, was ich Dir zugelobt. Andere Gefühle sollen jetzt meine Seele beherrschen – vor Allem die Freude über die glückverheißende Wendung im Schicksal Deiner betrogenen Opfer.“

„Ich gehe,“ sprach Olbasanus. „Bequem ist’s und wohlfeil, mich des Frevels zu zeihen. Eins aber frage Dich, o Cajus Bononius: wie viele von der ungezählten Schaar, die mir folgt auf dem Wege der Täuschung, würden meine Begleiter werden, wenn ich’s versuchte, sie mit Ernst und Eifer in’s Reich der Wahrheit zu führen? Einer von Tausenden! Der Trug ist farbenglühend und prächtig; seine schwülen Lüfte berauschen; auf den Höhen der Wahrheit weht es schneidig und kalt, und die Menschheit ist ein armes, frierendes Bettelkind.“

Cajus Bononius drehte ihm ohne Weiteres den Rücken. Stolzen Hauptes verließ Olbasanus die Exedra.

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Sechs Wochen später, in den ersten Tagen des Monats December, prangte das Haus des Heliodorus in leuchtendem Festschmuck. Laub- und Blumengewinde rankten sich an den korinthischen Säulen empor; unzählige Lampen schmückten die weiten Räume des Atriums und des Peristyls. Eine auserlesene Gesellschaft in glänzender Modetracht, Damen in farbig geblümter Palla, blitzende Diademe und Goldnadeln im Gelock, Senatoren in purpurstreifigem Festgewand und halbmondverzierten Schuhen, reiche Kaufherren in tyrischer Synthesis und lorbeergeschmückte Dichter drängten sich durch die schimmernden Colonnaden. Heliodorus feierte die Vermählung seiner Tochter Hero mit Lucius Rutilius. Der wackere Bononius aber, der die Reise nach dem fernen Massilia nicht gescheut hatte, um den Freund zurück zu holen nach der Stätte des neuerblühenden Glückes, ward – ein unbegreifliches Räthsel – von der Braut schier mit größerer Aufmerksamkeit behandelt als der Bräutigam, und Lucius Rutilius, weit entfernt, über diese scheinbare Vernachlässigung in Eifersucht zu entbrennen, mühte sich gleichfalls, dem jungen Weltweisen bei jedem Anlasse die herzlichste Sympathie zu bekunden. Cajus Bononius war augenscheinlich zerstreut. Sein Herz theilte sich seit geraumer Zeit schon zwischen der Befriedigung über den glücklich gelösten Bann, der auf Hero und Rutilius gelastet, und einer anderen Empfindung, die während der wenigen Tage seines Verkehrs mit Lydia herangereift war. Wie es kam, das wußte wohl Eros, der einzige Zauberer, an dessen Allmacht zu glauben der skeptische Bononius sich fürder gezwungen sah. Kurz, der junge Mann begehrte nichts Besseres, als in Lydia’s dunkeltiefe Augen zu schauen, ihre Stimme zu hören oder beim Wandeln durch die Säulengänge des Peristyls ihre langhin fluthende Stola zu streifen. Das war im Hinblick auf seine Vergangenheit höchst unphilosophisch – aber die Thatsache ließ sich nicht ändern.

Der Hochzeitstag des Rutilius gab ihm sattsam Gelegenheit, seine Sehnsucht in dieser Hinsicht zu stillen. Auch Lydia, die zuerst nur eine stille Bewundrerin seiner echt freundschaftlichen Gesinnungen und seiner rastlosen Energie gewesen, trat nach und nach in ein anderes Stadium … Als der Wegzug Hero’s aus dem Vaterhause erfolgt war, fühlte Lydia sich eigenthümlich vereinsamt … Da sie sich ausmalte, daß es doch ganz allerliebst sein würde, wenn auch sie, wie die Tochter des Heliodorus, ein eigenes Heim besäße, wo sie als Gattin eines hübschen, klugen und tüchtigen Mannes walten könne, da nahm die Gestalt dieses imaginären Mannes unwillkürlich die Züge des Cajus Bononius an … So war es keines der größten Wunder, die Eros zu Stande gebracht, wenn Bononius und Lydia im April des folgenden Jahres ein glückliches Paar wurden.

Vorher noch war die vornehme Gesellschaft der Siebenhügelstadt durch zwei Nachrichten überrascht worden, die eine Zeit lang das Tagesgespräch bildeten. Die eine bezog sich auf das plötzliche Verschwinden des chaldäischen Zauberers, der all seine Güter mitsammt dem orientalischen Prunkpalaste am quirinalischen Hügel verkauft und Rom ohne Abschied verlassen hatte; die andere auf den Selbstmord des Agathon, der sich im Warmbade seines über und über verschuldeten Wohnhauses die Adern geöffnet.




Auch eine Erinnerung an unsern großen Krieg.

Hut ab, lieber Leser! Wir treten vor die ältesten Soldaten der deutschen Armee im Kriege von 1870 und 1871.

Diese Zeit, deren Thatenfülle im Ring von acht Monaten an Wucht des Erfolgs und der Folgen Jahrzehnte früherer Perioden der Weltgeschichte aufwiegt, wird durch die Raschlebigkeit unserer Tage den Blicken des Volkes so weit entrückt, daß es Menschen in Deutschland geben kann, denen schon jetzt die Feier des Sedanfestes zu viel ist. In dem durch das gemeinsam im heldenmüthigsten Kampfe vergossene Blut aller deutschen Stämme zur Einheit geretteten deutschen Reich ist ein Kleinkrieg ausgebrochen, welcher von der hohen Politik bis zum untersten Tagewerk

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_308.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2024)