Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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das Licht längst erloschen. Paul, der sich sonst eines festen und ungestörten Schlafes erfreute, träumte diesmal viel und unruhig. Die Erregung des Tages drängte sich bis in seine Träume, und mitten in der Nacht wachte er auf, ohne sogleich wieder einschlafen zu können. Dabei fiel ihm plötzlich ein, daß Lily’s Brief offen in einem Fache seines Schreibtisches lag. Er pflegte diese Correspondenz sorgfältig vor den neugierigen Augen seines Arnold zu sichern, wenn dieser aber morgen früh das Wohnzimmer betrat, um aufzuräumen, mußte er jedenfalls den Brief entdecken. Das durfte natürlich nicht geschehen, der junge Mann erhob sich sofort und ging in das anstoßende Gemach. Er zündete kein Licht an, denn das Mondlicht, obgleich durch Wolken verschleiert, erhellte das Zimmer hinreichend, und er wußte ja genau, wo der Brief lag. Er fand ihn auch sofort, legte ihn in ein verschlossenes Fach zu der übrigen Correspondenz und war im Begriff, in sein Schlafzimmer zurückzukehren, trat aber vorher noch einen Augenblick an das Fenster, um nach dem Wetter zu sehen.
Die Nacht war stürmisch, wie gewöhnlich in dieser Jahreszeit, der Mond verschwand hinter den jagenden Wolken, und draußen im Parke herrschte ein ungewisses Halbdunkel, das nichts deutlich unterscheiden ließ. Auf einmal stutzte Paul, und seine Augen hefteten sich scharf auf einen Punkt. Es war ihm, als ob irgend etwas sich da draußen regte, als ob es leise und vorsichtig unter den Fenstern des Schlosses entlang schleiche, freilich nur eine Minute lang, dann verschwand jenes Etwas im Dunkel der Mauer, in der Richtung, wo die Zimmer des Freiherrn lagen.
Es konnte eine Täuschung gewesen sein, vielleicht der Schatten eines Baumes, den der Wind bewegt, und unter anderen Umständen würde Paul es schwerlich beachtet haben, aber die letzten Ereignisse in Werdenfels hatten ihn argwöhnisch gemacht, und in seinen Ohren klang noch die Bitte Anna’s: „Wachen Sie über ihn!“ Er beschloß, sich auf jeden Fall zu überzeugen, und unerschrocken, wie er war, fiel es ihm nicht ein, sich erst irgend eine Hülfe zu sichern. Er kleidete sich rasch an, nahm die Pistole, die geladen über seinem Bette hing, um für alle Fälle bereit zu sein, und verließ das Schloß, indem er eine kleine Seitentreppe und eine Ausgangsthür benutzte, die gewöhnlich für die Dienerschaft bestimmt und nur von innen verriegelt war.
Draußen war Alles still und ruhig, nichts regte sich in der Nähe des Schlosses, nur der Wind rauschte in den Bäumen des Parkes, und wahrscheinlich hatte ihr Schattenspiel auf dem Rasen die Täuschung veranlaßt. Paul war jetzt auch dieser Meinung, aber ehe er den Rückweg antrat, wollte er der Sicherheit wegen noch einmal die Wohnung seines Onkels recognosciren; langsam und leise schritt er an der Mauer entlang, deren tiefer Schatten ihn völlig barg, während der Wind seine Schritte verwehte.
Die Zimmer des Freiherrn lagen auf derselben Seite, nach dem Parke hinaus, und von seinem Schlafzimmer führte eine Glasthür auf eine Veranda, deren zierlicher Holzbau im Sommer über und über von blühenden Gesträuchen beschattet wurde. Es waren theils ausländische Schlingpflanzen, theils seltene Spalierrosen, die man hier angepflanzt hatte und die zum Schutz gegen die Winterkälte jetzt mit dichtgeflochtenen Strohmatten bedeckt waren. Auch das hölzerne Spalierwerk, das sich zwischen den Fenstern hinzog und bis in das erste Stockwerk hinauf reichte, war sammt den daran hängenden Ranken sorgfältig mit Stroh umwunden, und unter dem Balcon war trockenes Laubwerk aufgehäuft, um den Boden, der die Wurzeln barg, zu schützen.
Paul hatte sich der Veranda bis auf wenige Schritte genähert, als er plötzlich stehen blieb. Er sah wieder, und diesmal ganz deutlich, daß sich dort etwas regte, und jetzt erkannte er auch, daß es eine menschliche Gestalt war, die am Boden kauerte, wo sie sich irgend etwas zu schaffen machte. Mehr ließ sich bei dem ungewissen Mondlicht nicht unterscheiden. Der junge Mann glaubte natürlich, daß es sich wieder um ein Attentat auf die schönen Pflanzen handle, und war entschlossen, diesmal ohne Rücksicht auf den Wunsch des Freiherrn den Uebelthäter zu ergreifen, als ihm dessen Vorhaben in anderer, schrecklicherer Weise klar wurde.
Am Fuße der Veranda flammte ein Lichtschein auf, Paul sah deutlich eine Hand, die ein brennendes Schwefelholz hielt, er sah, wie es den Strohmatten genähert wurde, die sofort zu glühen begannen, und wie es dann in das trockene Laub geworfen wurde.
„Elender!“ rief der junge Mann hinzuspringend, indem er den Brandstifter, der ihm ahnungslos den Rücken zukehrte, bei den Schultern packte und zu Boden warf. „Also darauf war es abgesehen? Rühr’ Dich nicht!“ fuhr er drohend fort, als Jener eine krampfhafte Bewegung machte. „Bei dem ersten Versuche zur Flucht fliegt Dir meine Kugel nach, und ich weiß gut zu treffen!“
Er ließ den Hahn der Pistole knacken, um seiner Drohung mehr Nachdruck zu geben, aber das schien kaum nöthig zu sein. Der am Boden Liegende war offenbar so betäubt durch den unerwarteten Ueberfall, daß er gar keinen Versuch machte, sich zur Wehr zu setzen, er regte sich nicht mehr und ließ nur ein dumpfes Aechzen hören.
Jetzt wandte sich Paul um und riß mit kräftigem Griffe die Strohmatte herab, an der eben die helle Flamme aufzuschlagen begann. Er schleuderte sie weit hinaus in den Schnee, wo sie zischend erlosch, und stieß dann mit dem Fuße das Laubwerk aus einander, wo der Funke noch nicht gezündet zu haben schien.
Das Alles war das Werk weniger Minuten, dennoch mußte der Freiherr davon erwacht sein. In seinem Schlafzimmer wurde es plötzlich hell, die Glasthür öffnete sich, und gleich darauf fragte seine Stimme von der Veranda:
„Was giebt es da draußen?“
„Eine Niederträchtigkeit ohne Gleichen!“ antwortete Paul mit zornbebender Stimme. „Man hat das Schloß anzünden wollen, und wahrscheinlich war es in erster Linie auf Dich abgesehen. Aber ich habe den Mordbrenner, er soll uns nicht entgehen! Rufe die Dienerschaft herbei, Raimund, so lange werde ich schon allein mit dem Buben fertig.“
Werdenfels gab keine Antwort, aber er rief auch Niemand zu Hülfe, sondern kam die Treppe herunter, die von der Veranda in den Park führte, und stand in der nächsten Minute neben dem jungen Manne.
„Was ist geschehen? Wen hast Du da ergriffen?“
„Wahrscheinlich einen der Werdenfelser. Ich traf ihn gerade, als er dabei war, die Strohmatten anzuzünden. Wenn ich fünf Minuten später kam, so brannte die ganze Veranda lichterloh.“
„Steh’ auf!“ sagte Raimund kurz und befehlend zu dem am Boden Liegenden, dessen sich Paul bereits wieder versichert hatte. „Gieb Antwort, wer bist Du?“
Der Mann gehorchte, es wurde ihm augenscheinlich schwer, sich aufzurichten, er half sich mühsam an dem Holzwerke empor. Der Antwort wurde er überhoben; denn gerade in diesem Augenblicke trat der Mond klar hervor aus den Wolken und sein heller Schein beleuchtete das graue Haar und das braune, verwitterte Antlitz des alten Eckfried.
„Eckfried!“ rief Werdenfels zurückweichend, mit einem Tone des Entsetzens.
„Ja, der Eckfried ist’s,“ entgegnete dieser mit halberstickter Stimme. „Nun wißt Ihr es – und nun laßt mich gehen!“
„Unverschämter! Das heißt denn doch die Frechheit zu weit treiben!“ rief Paul. „Wir werden Dich zuvörderst dingfest machen, damit Du die verdiente Strafe –“
„Still, mache keinen Lärm!“ unterbrach ihn Raimund halblaut, aber in einem Tone, der keinen Widerspruch duldete. „Wir wollen die Sache vorläufig allein untersuchen. Bringe den Mann nach meinem Zimmer.“
„Aber ich bitte Dich, Raimund –“
„Ihr geht voran, Eckfried, die Treppe dort hinauf. Du folgst ihm, Paul, und sorgst dafür, daß er bleibt. Ich komme sogleich nach, ich will mich nur überzeugen, ob die Gefahr für das Schloß vollständig beseitigt ist.“
Paul hätte es weit zweckmäßiger gefunden, die Dienerschaft zusammenzurufen und sie zu Zeugen des beabsichtigten Verbrechens zu machen; da indessen bei dem Gebrechen des alten Bauers kein Fluchtversuch zu fürchten war, so fügte er sich dem Befehle seines Onkels.
Werdenfels blieb zurück und untersuchte rasch, aber sorgfältig die Veranda und deren Umgebung. Der Frevel war noch rechtzeitig verhindert worden, nirgends zeigte sich mehr ein Funke oder ein Brandgeruch, und die losgerissene Strohmatte lag mitten im Schnee, wo sie keinen Schaden anrichten konnte. Im Schlosse blieb Alles still und dunkel, Niemand schien die nächtliche Störung bemerkt zu haben, und das war auch kaum möglich, da die
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_302.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2024)