Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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in Kraft, die den Chaldäern und Mathematikern den Aufenthalt in der Siebenhügelstadt bei Todesstrafe verbieten. Daß die Behörden lässig gewesen sind in der Ausführung dieser Edicte, daß eine Nachsicht gewaltet hat, für deren schädliche Folgen Du der beste Beweis bist, das thut wenig zur Sache. Dennoch – trotz all Deiner Ruchlosigkeit will ich Gnade üben, dafern Du zwei Bedingungen, die ich stellen werde, pünktlich erfüllst. Willst Du sie hören, wohlan, so gieb mir ein Zeichen!“
Olbasanus, der schon bei den Worten des Cajus Bononius gemerkt hatte, daß seine Rolle hier ausgespielt war, senkte nach einigem Zögern das Haupt, wie ein Mann, der sich in das Unvermeidliche fügt. Die Art und Weise des ruhig entschlossenen Kriegers ließ ihm keinen Zweifel darüber, daß Philippus seine Drohung verwirklichen würde.
Jetzt kam auch Lydia, die sich bis dahin abseits gehalten, einige Schritte näher und beschaute mit zaghafter Neugier das Antlitz des Zauberers, den sie trotz der hundertfältigen Zureden des Cajus Bononius noch immer für eine Art von übernatürlichem Wesen hielt.
Allerdings – die klägliche Unterwürfigkeit, die jetzt an Stelle der bisherigen Wildheit getreten, war ganz geeignet, diese abergläubische Bangigkeit zu erschüttern.
„Gut,“ sagte Philippus zu Olbasanus. „Ich befreie Dich von dem Knebel, auf daß Du reden kannst. Solltest Du schreien oder etwa versuchen, durch Zaubersprüche oder sonstige Narrheit dem jungen Mädchen hier Furcht zu erregen, so soll die Klinge Dir’s gehörig verleiden.“
So sprechend nahm er ihm den hemmenden Knäuel aus dem Munde.
„Meine Bedingungen,“ fuhr er fort, „sind einfach genug. Du merkst, Olbasanus, daß wir Deine unglaublichen Betrügereien in ihrem wahren Wesen erkannt haben. Gleichwohl fehlt uns noch für einzelne Deiner frevelhaften Künste der Schlüssel. Dieser Jüngling hier, der schon damals Deine Schwelle nur in der Absicht betrat, den volksbethörenden Tand Eurer Beschwörungen hinter dem Vorhang zu sehen, heischt für Alles, was Du angewandt hast, um die Tochter des Heliodorus und späterhin den Lucius Rutilius zu täuschen, eine vollständige und wahrheitsgemäße Aufklärung. Weigerst Du Dich, oder lügst Du, so schleppen unsere drei Germanen Dich heute noch nach dem Kerker. Desgleichen wirst Du uns den benennen, der Dich so zu verwerflichem Gaukelspiel ruchloser Weise erkauft hat. Die Leistung dieser Geständnisse ist meine erste Bedingung. Die zweite aber ist die: Noch vor Ablauf des Jahres verlässest Du Rom. Wende Dich meinetwegen nach Nicomedia oder Alexandria; wenn diese Städte Dich dulden wollen – und ein Mann von Deinem Auftreten bleibt ja nicht unbemerkt – so ist das ihre Sache. Hier aber in Rom, wo Du nicht nur eine mir gleichsam anvertraute Bevölkerung, sondern mehr noch: meine besten Freunde betrogst, hier stell’ ich Dir mein drohendes Schwert entgegen, und wehe Dir, wenn Du diese Drohung mißachten wolltest! Erfüllst Du nun, was ich Dir aufgebe, so sollst Du ungekränkt wieder entlassen sein. Erwäge Dir’s rasch und antworte ohne Umschweif!“
Olbasanus hatte mit dem Scharfblick des Orientalen die Situation alsbald überblickt. Er fühlte, daß es nicht Haß und Rache sei, was diese Männer wider ihn aufreizte, sondern einerseits die freundschaftliche Gesinnung für den schwer betrogenen Lucius Rutilius, andererseits die fiebernde Neugier, die Ursachen jener räthselhaften Wirkungen zu erkennen, die – er wußte selbst nicht, wie und auf welchem Wege – für Cajus Bononius den Charakter des Uebernatürlichen plötzlich eingebüßt hatten. So glaubte er denn, die Bedingungen, die man ihm stellte, mit Aufbietung einiger schauspielerischer Talente zu seinem Vortheil umgestalten zu können. Die Siebenhügelstadt zu verlassen, dünkte ihm kein allzu schmerzliches Opfer, denn seit lange schon hatte er in Erwägung gezogen, ob es nicht an der Zeit wäre, seine Reichthümer endlich zusammenzuraffen und der immer drohenderen Gefahr, die ihm aus den alten kaiserlichen Edicten erwuchs, durch ein Zurücktreten in die Stille des Privatlebens ein für allemal zu entgehen. Nur so lange mußte er unbehelligt bleiben, bis ihm dies Zusammenraffen, insbesondere auch die Verwertung seines beträchtlichen Grundbesitzes, seiner Güter und Landhäuser, in Muße geglückt sein würde. Er besann sich daher nicht lange.
„Alles will ich bekennen,“ sagte er mit halb ironischem Lächeln, „dafern Ihr Alle mir schwört, daß Ihr mein Geständniß ein halbes Jahr lang geheim haltet. Nur dem Lucius Rutilius und der Tochter des Heliodorus dürft Ihr’s enthüllen, falls auch diese Euch Schweigen geloben. Auch will ich die Siebenhügelstadt meiden, wie es der Centurio verlangt; doch erbitt’ ich als Gunst eine Zusatzfrist von einigen Monaten. Weigert Ihr’s“ – hier ward seine Stimme plötzlich ernst und grollend wie ferner Donner – „bei allen Schrecken des Todes – dann biet’ ich lieber meinen Nacken dem Beil des Lictors.“
„Gewähr’s ihm!“ sagte Bononius, der vor Ungeduld brannte.
Philippus war einverstanden. Er sowohl wie der junge Weltweise und Lydia leisteten einen heiligen Schwur. Dann hieß Bononius den Chaldäer, der sich nur mühsam bewegen konnte, auf einer polsterbelegten Ruhebank niedersetzen, um dem Frager streng der Wahrheit gemäß zu antworten. Er selbst stellte sich mit gekreuzten Armen der Ruhebank gegenüber. Philippus, das Schwert in der Faust, trat dem Chaldäer zur Seite, während sich Lydia athemlos über die Rücklehne eines bronzenen Armsessels beugte.
„Vor allem Anderen,“ hob Cajus Bononius an, „künde uns Eins: glaubst Du an die Existenz einer unterweltlichen Macht, eines Wesens, das verwandte Züge mit der Schreckensgestalt der vom Volke geglaubten Hekate hat? Eine Antwort auf diese Frage erscheint mir um deswillen werthvoll, weil ich erfahren möchte, ob Du’s gewagt hast, eine Gottheit, von deren Walten Du überzeugt warst, durch den Trug Deines Gaukelwerkes zu beleidigen.“
Olbasanus lächelte. Jetzt, da er sich einmal gefügt hatte, schien er die ganze Sache leicht zu nehmen und weltmännisch, dem Epikuräer vergleichbar, der auf dem Speisesopha des glanzerfüllten Tricliniums über den Tod plaudert.
„Herr,“ sagte er vornehm gelassen, „ich glaube, wenn nicht an Hekate, so doch an das Vorhandensein der gewaltigen Lücke, welche sie ausfüllt. Ich, der ich die Menschen kenne, wie ein Gärtner die Blumen, ich versichere Dich: Gewisse Dinge müßten von uns, den Begabteren, systematisch erfunden werden, wenn die Phantasie des Volkes sie nicht selber erschüfe. Inzwischen könntest Du die Güte haben, meine Fesseln zu lösen. Unsere beschworne Vereinbarung, Eure Ueberzahl und das Schwert dieses Centurionen lassen diese Gefälligkeit unbedenkich erscheinen, und es philosophirt sich angenehmer, wenn man körperlich kein Mißbehagen erduldet.“
Cajus Bononius nahm keinen Anstand, diesem Wunsch zu willfahren.
„Wohl,“ hub er wiederum an, da er den Magier aus der Verschnürung befreit hatte, „so leugnest Du überhaupt das Dasein überirdischer Wesen?“
„Ich leugne Nichts und behaupte Nichts. Diese Welt ist so räthselhaft, das Wesen der Dinge für unsere Geisteskräfte so unerforschlich, daß es Wahnsinn wäre, über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Dinges, das nicht unmittelbar in unserer Erfahrung liegt, ein bestimmtes Urtheil zu fällen.“
„Das lasse ich gelten. Jetzt zu den Einzelheiten!“
„Frage nur!“
„Was bewog Dich, jene erste Botschaft an die Tochter des Heliodorus zu senden? Wer erkaufte Dich?“
„Erkaufte?“ wiederholte der Orientale. „Das klingt so unschön, Cajus Bononius! Das Prophezeien war mein bürgerliches Geschäft. Wer da zahlte, dem stand ich mit meiner Kunst zur Verfügung, wie jeder Andere, der ein Gewerbe treibt.“
„Wer also bezahlte Dich?“
„Agathon, der Sohn des Philemon.“
„Du aber trugst kein Bedenken, um des gleißenden Goldes willen das Glück zweier Menschen mitleidslos zu Grunde zu richten!“
Olbasanus zuckte die Achseln.
„Wenn Hero glaubte, daß es vom Schicksal also bestimmt sei, so war dies ein starker Trost für allen Schmerz der Entsagung. Uederdies – weißt Du denn, ob diese Verbindung ihr Glück war? Schob mein Orakelspruch sich dazwischen, trennte er die Beiden, die sich vereinigen wollten: nun, so war dies vom Schicksal in der That so gewollt: denn Alles, was da geschieht, ist streng nothwendig, und die Dinge reihen sich durchweg am unzerreißbaren Faden der Causalität auf. Sagst Du mir, mein Wahrspruch würde ihr Glück zerstört haben, so versetze ich Dir mit gleicher Zuversicht: er hätte sie vor Unglück behütet.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_299.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)