Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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jetzt, nachdem einmal die Aufmerksamkeit darauf gelenkt ist, noch andere, mehr oder weniger ausgeprägte Compaßpflanzen zu finden, wie denn in der That noch verschiedene andere Latticharten, namentlich der weidenblätterige Lattich, der Giftlattich und Sonnenwirbel, deutlich annähernde Eigenschaften zeigen. Der Botaniker wird gewiß mit der Zeit noch manche andere dazu finden, und auch für den Laien wird es von Interesse sein, alle Pflanzen, die schon im Leben so aussehen, als ob sie für das Herbarium platt gepreßt wären, auf ihre Orientirung nach den Himmelsrichtungen hin zu untersuchen.
Ein Spaziergang durch das Thüringer Spielwaarenland.
Wir steigen von Lauscha nun thalabwärts und gelangen aus dem Lauschagrund, an der „Wiesleinsmühl“, mit einer Bierwirthschaft, an welcher ein durstiger Mann nur schweren Herzens vorüber geht, und an Unterlausche vorbei in den Steinachgrund. Nachdem wir mehrere Märbel- und Mahlmühlen passirt, verengt sich derselbe so, daß selbst im Hochsommer die Sonne nur wenige Stunden bis zu der Poststraße herabdringt und ehedem bei der Nacht die Feuer eines Eisenwerks am Ende dieser Schlucht prachtvoll an den steilen Bergwänden leuchteten. Endlich treten die Wände zurück, und wir stehen vor einem breiten, von Waldhergen begrenzten Thal, das uns wirklich anlacht, und vor einer so freundlich daliegenden größeren Ortschaft, daß wir unwillkürlich an die im Vergleich damit düstere Lausche und ihre heiteren Menschen zurückdenkend, ausrufen: wie müssen sie erst hier lachen können, wo die Natur selbst so offenbar dazu auffordert!
Allerdings hat die Natur hier, und zwar auf und unter dem Boden, Alles gethan, um den Fleiß des Menschen mit Glück und Freude zu lohnen: das Holz auf den Bergen, in den Bergen ein besonders segensreiches Gestein, und außerdem nach Ocker, Umbra und Eisenstein in Fülle.
Das genannte Gestein ist ein wahrhaft gottgesegnetes, denn als nach dem Beispiele von Luther und Melanchthon die Männer der Reformation überall in Deutschland, und meist auf Kosten der aufgehobenen Klöster, Volksschulen gründeten, wie schlimm würde es da, bei der Kostspieligkeit des Papiers zu jener Zeit, mit dem Unterricht im Schreiben und Rechnen bestellt gewesen sein ohne das steinerne Papier und die steinerne Feder, die ohne Tinte schreibt!
Der Schiefertafel und dem Schiefergriffel verdankt die deutsche Nation ihren frühzeitigen Aufschwung in der Volksbildung. Der Marktflecken Steinach aber, vor welchem wir hier stehen, ist nicht nur der Hauptsitz der Schachtelmacher im Meininger Oberlande, sondern auch der der Griffelmacher und ist’s lange Zeit ganz allein für die ganze Welt gewesen. Warum aber der Segen, den diese Arbeit verbreitete, nicht auch auf die jetzt etwa 4000 Bewohner von Steinach selbst zurückwirkt, das haben wir unseren Lesern bereits ausführlich aus einander gesetzt in dem Artikel „Zwei Hauptwerkzeuge der Elementarbildung“ (Jahrg. 1878, Nr. 20), dem wir auch die Abbildung eines Schieferbruchs (bei Lehesten im Meininger Verwaltungsamt Gräfenthal, nicht Oberland) beifügten.
Der Weg van Steinach bis zum nächsten Schieferbruch ist nicht so weit, daß man die Kinder nicht dahin führen könnte; die Brüche bieten einen selbst älteren Augen überraschenden Anblick dar, und auch die Herstellungsweise der Griffel werden die Kinder gern kennen lernen wallen. Dürfen doch, wo man den Weihnachtstisch für kleine ABCschützen herrichtet, die mit buntem Papier überzogenen Griffel so wenig fehlen, wie die verschiedenen Schachteln, deren Deckel so viel ersehntes Spielzeug verbergen. Somit arbeiten die Steinacher ganz vorzüglich für die Freuden und für den Nutzen unserer Kinderwelt. Auch die Steinacher sind ein originelles, erfinderisches und mit Kunstsinn begabtes Völkchen, außerordentlich fleißig und auch gern einmal fröhlich, nur daß nicht viele von ihnen auch, wie die Lauschaer, dabei auf einen grünen Zweig kommen.
Und nun schlagen wir den Gang zur Hauptstadt des Meininger Oberlandes, nach Sonneberg, ein. Wir haben zwei Straßen vor uns, die alte Poststraße, die rechts hin über den Berg, und die neue, die gerade aus durch den sogenannten „Hüttengrund“, an einer Reihe industrieller Anlagen und mehreren Industriedörfern vorüber, eine Tour voll Leben und Naturreiz, zum Ziel führt.
Was ist es, das dem Namen dieser Stadt einen so guten Klang und ihrem Wachsthum solches Gedeihen gebracht hat? Die Ueberschrift unseres Artikels giebt bereits die Antwort: „Sonneberger Spielwaaren“ das ist das Zauberwort, das uns im Herzen lacht, so oft wir einen Christabend erleben. Mag den Bescheerungstisch noch so viel Kostbares und Nützliches bedecken, die wahre Welhnachtsstimmug bringt doch erst das Spielzeug. Nach ihm greifen die Kinderhändchen zuerst, nach ihm suchen die Eltern am liebsten auf dem Christmarkt, und es ist die höchste und letzte Freude der Großeltern, wenn sie’s ihren Enkeln bescheeren können. Dieser Zusammenhang der Sonneberger Arbeit mit den Herzen aller Kinderglücklichen läßt auch den Namen der Stadt mit einem Weihnachtsschimmer beleuchten. Darum haben wir auch unsere Abbildung (auf Seite 281 der vorigen Nummer) mit einem Weihnachtsbaum geschmückt, er ist das richtige Wappen des Spielwaarenlandes. Wollen wir uns aber von der unendlichen Inhaltsfülle dieses Industriegebiets überzeugen, so müssen wir uns die Waarenvorräthe eines größeren Geschäfts zeigen lassen.
Ein solcher „Mustersaal“ wirkt für den ersten Blick verblüffend. Wir wissen nicht, wohin wir die Augen zuerst richten sollen. Haben wir doch nicht weniger als zwölf- bis achtzehntausend einzelne Stücke Spielzeugs vor uns, von denen jedes für sich eine große Kinderfreude werth ist. Selbst mit der kühnsten Phantasie ausgerüstet steht man überrascht vor den Erzeugnissen üppigster Gestaltungskraft. Was das Auge nur irgend in Leben und Natur erschauen kann, hier haben wir’s im Kleinen nachgemacht, eine neu erschaffene Welt für die Kinder.
Wie ist’s möglich, all diese Gegenstände, und wieder viele davon oft in vielen hundert, ja tausend Dutzenden für jede Christbescheerung neu herzustellen? Der größte Theil der Einwohnerschaft von Sonneberg und von zwanzig bis dreißig Dörfern in den nächsten Thälern und auf den Bergen des „Waldes“ ist mit dieser Arbeit beschäftigt. Sie geschieht theils in Manufacturen um bestimmten Lohn bei bestimmter Arbeitszeit, zum großen Theil aber in den Häusern als Famlienerwerb, und auch da wird derselbe insofern fabrikmäßig betrieben, als jeder Gegenstand durch so viel Hände geht, als die Familie zur Arbeit aufzuwenden hat. Nehmen wir das einfachste und billigste Pferdchen von Holz zum Beispiel. Der Vater schnitzt die Körper, alle in gleicher Größe und gleich haufenweis, ein Sohn schnitzt ebenso viele Köpfe, ein Anderer oder mehrere die Beine und die kurzen Schwänze, ein Paar andere Hände leimen die Theile zusammen, wieder andere befestigen sie auf die Brettchen, und nun kommen die jüngsten Kinder aus der Schule und setzen sich sogleich zu den Großeltern an die Farbentöpfe und bemalen die Pferdchen, und wenn sie nun getrocknet und zu vielen Dutzenden eingepackt sind, werden sie zu dem Kaufmann getragen, der sie bestellt hat und sofort bezahlt.
Die Preise sind sehr schwankend, je nach der Nachfrage und den Zeitumständen, aber immer gering genug, um Massenlieferungen nöthig zu machen. Feinere Arbeiten, die sich schon den Kunstleistungen nähern, oder diese selber, lohnen natürlich besser. Die Arbeitstheilung erstreckt sich im Großen wieder auf ganze Ortschaften, in einem Orte werden zum Beispiel vorzugsweise Trommeln, in anderen Trompeten, Pfeifen, Posthörnchen, wieder in anderen Geigen gemacht, und von diesen sagt man, daß sie fast siebenzig Mal durch die Hände laufen müssen, ehe sie fertig sind. Viele Arbeiten sind an den Ort gebunden, der ihnen das Material dazu liefert, wie wir das bei den Porcellan-, Glas- und Schieferarbeiten gesehen haben. Denn das ist ein Vorzug des Meininger Oberlandes, daß der Boden fast Alles liefert, was die Industrie braucht.
Interessant ist die Entwicklungsgeschichte dieser Industrie. Sonneberg mußte dazu von den Nürnbergern erst entdeckt werden. Es lag in seiner Thalenge abseits von allem Verkehr, trieb vorzüglich
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_295.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2023)