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Seite:Die Gartenlaube (1883) 288.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Arnold zeichnete sich bekanntlich vor anderen Dienern dadurch aus, daß er stets das Gegentheil von dem that, was ihm befohlen war; da er gehen sollte, so blieb er natürlich, und da sein junger Herr ungestört zu sein wünschte, so begann er eine freundschaftliche Unterhaltung mit der Frage:

„Wie steht es denn mit der Verlobung, Herr Panl?“

Der junge Mann runzelte die Stirn.

„Ich habe Dir ein für alle Mal Deine Einmischung in diese Angelegenheit verboten, das weißt Du doch.“

„Deshalb kommt sie auch nicht von der Stelle,“ meinte Arnold. „Sie haben gar kein Vertrauen mehr zu mir! In Italien erfuhr ich Alles, wenn Sie auch leider nie auf meine Ermahnungen hörten, hier aber zerbreche ich mir schon den ganzen Winter den Kopf darüber, weshalb Sie keinen Fuß nach Rosenberg setzen, während doch die Correspondenz mit der gnädigen Frau immer lebhafter wird.“

Paul hatte es nicht für nöthig befunden, den alten Diener darüber aufzuklären, mit wem er die Correspondenz führe, er hörte auch jetzt kaum auf die Worte; denn er war soeben beschäftigt, Lily’s Brief zum siebenten Male durchzulesen. Arnold, den diese Verschlossenheit unbeschreiblich ärgerte, änderte daher seinen Angriffsplan, indem er die Bemerkung hinwarf:

„Ich war heute Vormittag in Rosenberg.“

Das that endlich seine Wirkung, Paul erwachte aus seiner Träumerei und wurde aufmerksam.

„Wie kommst Du nach Rosenberg? Hast Du etwa dort spioniren wollen?“

„Herr Paul, Sie beleidigen mich!“ erklärte Arnold, indem er eine tiefbeleidigte Miene annahm. „Ich kam zufällig bei dem Landhause vorüber, und zufällig stand am Eingangsthore der Gärtner, den ich ebenfalls ganz zufällig vor einiger Zeit kennen gelernt habe.“

Diese lange Kette von Zufällen hatte eigentlich einen ganz logischen Zusammenhang. Der alte Arnold war zwar für gewöhnlich sehr exclusiv und hielt dergleichen Bekanntschaften tief unter seiner Würde; er verkehrte in vertraulicher Weise sonst nur mit den Kammerdienern des Freiherrn von Werdenfels und mit dem Haushofmeister, diesmal aber hatte seine Neugier doch den Sieg davon getragen. Er war nämlich fest überzeugt, daß sein junger Herr trotz alledem Besuche in Rosenberg mache, und daß die Verlobung noch geheim gehalten werde, weil man in Werdenfels mit dem Pfarrer Vilmut, dem nahen Verwandten der Frau von Hertenstein, verfeindet war. Um Gewißheit darüber zu erlangen, hatte er sich zu der Bekanntschaft mit dem alten Ignaz herabgelassen, bisher aber noch ohne jedes Resultat.

(Fortsetzung folgt.)




Die Retterin und der Stolz von Orleans.

Zur Jahresfeier der Jeanne d’Arc am 8. Mai.
Von Herman Semmig.

Der heldenhafte Widerstand, den die Stadt Orleans im fünfzehnten Jahrhundert den Engländern geleistet hat, hat die französische Nationalität gerettet. Am 12. October 1428 erschien Graf Salisbury auf dem linken (südlichen) Ufer der Loire vor der Stadt; am 24. October bemächtigten sich die Engländer des befestigten Brückenkopfes, le fort des Tourelles genannt, und brachen sofort zwei Joche der Brücke ab, um sich den Besitz der Veste zu sichern. Am selben Abend untersuchte Salisbury das erstürmte Fort und trat an ein Fenster, um Brücke und Stadt zu überschauen; im selben Augenblicke krachte eine Steinkugel gegen das Fenster an, und der Graf stürzt tödtlich verletzt zusammen; man trug ihn noch bis zum Städtchen Meun unterhalb Orleans, wo er bald starb. Niemand in der Stadt wußte, wer das Geschütz auf dem zur Ringmauer gehörigen Thurme Notre-Dame abgebrannt hatte; der dazu bestellte Kanonier hatte sich entfernt gehabt; als er auf den Donner herbeieilte, sah er ein Kind davonlaufen, man hat es indessen nicht auffinden können. Die Bürger aber sahen darin ein Zeichen des Himmels; es war offenbar der Schutzheilige der Stadt, der ehemalige Bischof Aignan († 453), der ihnen beigestanden hatte.

Der wunderbare Vorfall war nur das Vorzeichen eines anderen größeren Wunders; eine kaum der Kindheit entwachsene Jungfrau, das achtzehnjährige Mädchen Jeanne d’Arc aus dem Dorfe Domremy in der Champagne, sollte die Stadt wirklich retten, die eben begonnene Belagerung aufheben. Aber diese Belagerung dauerte sieben tödtlich lange Monate, von allen Seiten umringte das feindliche Heer die Stadt und setzte sich in Bastillen fest. Großartig ist, was die Bürger von Orleans an Heldenmuth, Aufopferung und Ausdauer bei ihrer Vertheidigung bewiesen; aber die Macht der Feinde war zuletzt stärker als die sinkende Kraft der eingeschlossenen Stadt, die vom Könige keine Hülfe zu erwarten hatte; sie mußte unterliegen. Da geschah das in der Geschichte wohl einzige Wunder, daß ein Mädchen, das bisher einfach und fromm nur bei ihren Eltern in gehorsam fleißiger Erfüllung ihrer häuslichen Pflichten aufgewachsen war, plötzlich durch den festen Glauben an ihre göttliche Sendung, durch den unerschütterlichen Glauben an den Sieg der gerechten Sache das entmuthigte Volk aufrichtet, den verzagenden König und seine frivole Umgebung mit fortreißt, sich mit ihrer heiligen Fahne in der einen Hand und dem durch wunderbare Eingebung aufgefundenen Schwerte Karl Martell’s in der andern an die Spitze des ganzen Heeres Frankreichs stellt und den entscheidenden Sieg über die Engländer gewinnt, der dem einheimischen Könige, dem Vertreter des französischen Volksthums, die Thore seiner Krönungsstadt öffnet.

Die Geschichte der Befreiung der Stadt setzen wir als bekannt voraus. Am 7. Mai 1429 ward der entscheidende Schlag gegen die Engländer gerichtet und das Fort der Tourelles von der Jungfrau eingenommen. Vierzehn Stunden hatte der blutige Kampf gedauert. Von den sechs- bis achthundert Engländern der Besatzung waren kaum zweihundert übrig geblieben, gering war der Verlust auf Seiten der Franzosen. Siegreich zog nun das Heer über die Brücke heim in die Stadt, Fackeln leuchteten zum Zuge, die Trompeten schmetterten, das Volk jauchzte und segnete die Jungfrau, die das Heldenwerk vollbracht hatte, als den Schutzengel des Landes. Zu ihrem Wirth heimgekehrt, legte sie die Rüstung ab und ließ sich ihre Wunde verbinden; statt der Mahlzeit nahm sie nur einige Schnitten Brod in etwas Wein mit Wasser vermischt. Dann theilte sie das Lager der Tochter des Hauses und schlummerte ein, ein kindliches Mädchen in den Armen der Freundin.

Am andern Morgen – es war ein Sonntag – zogen die Engländer ab, stromabwärts nach Meun zu. Angesichts des Feindes ließ die Jungfrau vor dem Stadtthor einen Altar errichten und zweimal die Messe lesen. Gegen Mittag zog die Geistlichkeit in feierlicher Procession aus der Kathedrale, es gingen darin der Bastard von Orleans, die Feldherren und Hauptleute, die Schöffen und Bürger, unter ihnen, begleitet von Bürgerfrauen, Jeanne, ihrer Wunde wegen in leichtem Panzerkleid, ihre Fahne in der Hand. Der Zug ging die Rue des Hôtelleries hinunter über die Brücke unter der Wölbung des Forts der Tourelles hindurch auf den Kampfplatz, von hier nach gesprochenem Gebete wieder zurück.

Diese Procession hat nun seit jener Zeit mit seltenen Ausnahmen alljährlich in Orleans stattgefunden, ihr geht stets eine sinnbildliche Feier des Kampfes und eine Gedächtnißrede zu Ehren der Jungfrau voraus. Betrachten wir vor der Hand noch einmal den Schauplatz; unsere Abbildung, obgleich aus einem späteren Jahrhundert, giebt noch immer das alte befestigte Orleans mit der Brücke wieder, wie sie zur Zeit der Belagerung war. Die eigentliche Stadt nahm 1429 jedoch nur ein starkes Drittel von dem hier abgebildeten ein, die Brücke bezeichnete etwa die Mitte, die Theile links und rechts (westlich und östlich) bestanden zwar in der Hauptsache schon, befanden sich aber noch außer der Ringmauer. Die viereckige Form der letztern, die mit fünfunddreißig Thürmen versehen war, deutete noch den römischen Ursprung an. Trat man aus der Rue des Hôtelleries (der Name besteht noch) heraus, so kam man auf die Brücke, welche neunzehn ungleiche, meist enge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_288.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2024)