Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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(Hauptmanns) des Stadtpräfecten; seine Züge verriethen energische Willenskraft, verbunden mit unverkennbarer Herzensgüte und Offenheit.
„Wie geht’s, Bononius?“ fragte der Krieger, dem jungen Weltweisen freundlich die Hand bietend. „Lebst Du noch, oder ist’s nur Dein Schatten, was hier herumschweift? Beim Hercules, drei Monate sind es zum wenigsten, seit ich zum letzten Male das Vergnügen hatte, Dir die Rechte zu schütteln. Was treibst Du denn, Du unbegreiflicher Einsiedler? Lässest Du noch Metalle auf dem Dreifuß zerschmelzen, oder bist Du wieder bei den schrecklichen Schriften des Heraklit? Irgend etwas Entsetzliches muß es sein, was Dich so ganz und gar Deinen besten Freunden entfremdet.“
„Du hast Recht,“ sagte Bononius. „Ich war überaus fleißig während der letzten Monate. Aber Du siehst ja, ich bessere mich …“
Sie schritten eine Strecke weit neben einander. Der junge Mann hörte nicht ohne Wohlbehagen das frische, gutmüthige Geplauder des strammen Centurio, der bald ein Pferd kritisirte, bald vom letzten Wettrennen und dem neuesten Pantomimenschauspiel erzählte, oder mit derber Ursprünglichkeit seiner Verwunderung über irgend eine der gefeierten Schönheiten Ausdruck verlieh, die in den Polstern ihrer Tragbetten oder ihrer Kaleschen vorüberkamen.
„Sieh dort!“ sagte er plötzlich, seinen Redefluß hemmend. „Nein, ist’s zu glauben? Wie bleich sie ausschaut …! Kennst Du sie nicht – Hero, die Tochter des Heliodorus?“
Cajus Bononius zuckte heftig zusammen. Die Geliebte des Lucius Rutilius war ihm bis jetzt noch nicht zu Gesicht gekommen, so sehr er sich im Geiste während der letzten Woche mit ihr beschäftigt hatte. Sie aufzusuchen, lag keine äußere Veranlassung vor; ja, er würde die ausgesprochenen Absichten seines entsagenden Freundes durch einen Besuch im Hause des Sicilianers augenscheinlich gekreuzt haben. Jetzt aber, da der Zufall diese Begegnung herbeiführte, war dem jungen Manne doch ganz zu Muthe, als habe ihm nur der Anblick Hero’s gefehlt, um klar zu sehen in all den Räthseln, die ihn geängstigt. Er verschlang sie fast mit den Augen, die wunderholde Mädchengestalt, die, von den Falten einer blendend weißen Palla umhüllt, soeben an der Seite eines hageren jungen Mannes in die Ulmen-Allee einbog.
Sie war in der That bleich, die liebliche Hero, bleich und traurig, trotz des leisen Lächelns der Höflichkeit, das ihr wehmüthig um den kleinen schwellenden Mund spielte. Das dunkelblonde, üppige Haar, das in schlichter Wellenlinie die ebenmäßige Stirn umrahmte, erhöhte noch diesen Eindruck. Theilnahmlos blickte sie auf das bunte Getriebe; theilnahmlos hörte sie die lebhaften Reden ihres fieberisch erregten Begleiters. Hinter ihr, an der Seite einer frischen, blühenden Fünfzehnjährigen, in welcher Cajus Bononius die von Rutilius so vielfach erwähnte Lydia vermuthen durfte, schritt Heliodorus, der Vater der bleichen Hero, sichtlich verstimmt, die Brauen herabgezogen, die Lippen fest auf einander gepreßt. Er schien mit Lydia in ernster Unterredung begriffen.
„Das ist Hero?“ fragte Bononius. „Und wer ist der unsympathische Mensch, der so voll Ungestüm auf sie einspricht?“
„Agathon, ein Landsmann des Heliodorus. Ich traf ihn öfters beim Stadtpräfecten.“
Jetzt kamen Bononius und Philippus an der Gesellschaft vorüber. Philippus grüßte. Bononius blickte starr bald auf Hero, bald auf den sie begleitenden Agathon. Es lag etwas in der Erscheinung dieses Menschen, was ihm bekannt schien, obgleich er sich auf’s Bestimmteste zu erinnern glaubte, daß er ihm nie im Leben begegnet sei. So vergaß er denn alle Rücksicht der Höflichkeit, und als auch Heliodorus mit Lydia glücklich vorbei war, konnte sich Cajus Bononius trotz der städtischen Sitte, die dergleichen verbot, nicht enthalten, den Enteilenden nachzuschauen.
Wie er die Gestalt des Agathon so von der Kehrseite erblickte, zuckte es ihm mit einem Mal durch’s Gehirn, wie eine leuchtende Offenbarung. Das war dieselbe hagere Gestalt, die an jenem Abend, als er mit Lucius Rutilius an der Pforte des Olbasanus stand, aus dem Ostium (Thürgang) kam und entschritt. Die Haltung, die eigenthümliche Bewegung der rechten Schulter, das Gesammtbild – Alles war unverkennbar.
Nun war dem jungen Manne auf einmal klar, was er bis dahin für ebenso unerforschlich gehalten, wie jene nächtlichen Wundererscheinungen: die Beweggründe nämlich des Olbasanus. Alles, was Olbasanus dem unglücklichen Rutilius und der trauernden Hero geweissagt hatte, war eine Bestellung des Agathon …! Die Motive aber, die hinwiederum diesen bestimmten, heischten keine Erklärung. Hero war jung, schön, reich, und Agathon bewarb sich um ihre Gunst. Cajus Bononius betonte sich vornehmlich den Reichthum, – schon weil es ihn mit Genugthuung erfüllte, besagten Agathon noch entschiedener verachten zu dürfen, als dies statthaft gewesen, wenn seinem Intriguenspiel nur die wahnsinnige Leidenschaft zu dem reizenden jungen Mädchen zu Grunde gelegen.
Freilich, das Unbegreifliche, was Rutilius und Bononius im Hause des Chaldäers erlebt hatten, war durch diese Entdeckung nicht um Haaresbreite verständlicher; aber Bononius hatte erneuten Muth und erneute Thatkraft geschöpft, um mit Aufbietung aller Mittel dem Ziele entgegenzusteuern, das er jetzt, frei von den letzten Resten metaphysischer Beklemmungen, kühnlich in’s Auge faßte. Er wußte es nun, Olbasanus war kein Phantast, kein Schwärmer, der sich wenigstens halbwege selber betrog, sondern ein Gaukler, der sich zum Werkzeug hergab für die gemeine Selbstsucht eines tückischen Schleichers. Dieser Gaukler mußte entlarvt werden – das stand dem jungen Manne so fest, wie dem Beter die Ueberzeugung von der Gnade der Gottheit.
Dem Centurio war die Gemüthsbewegung seines Begleiters nicht entgangen. Offen und rückhaltslos, wie er war, fragte er geradezu, was ihn beim Anblick dieser Sicilianer so ungewöhnlich befremde; ob Cajus Bononius in Hero etwa eine lange vergeblich gesuchte Circus-Nachbarin wieder erkannt oder in Agathon einen unbequemen Rivalen entdeckt habe. Der Jüngling befand sich in einer Stimmung, die das Herz mittheilsam und bedürftig macht, von Anderen Rath zu erfragen; er schätzte den Centurio seit lange als einen zuverlässigen und besonnenen Mann; er glaubte überdies wahrzunehmen, daß auch Philippus für Agathon keine sonderlichen Sympathien verspüre.
Ein Wort gab das andere.
Ein wenig abseits aus dem Gewühl schlendernd, machte Bononius dem Centurio zunächst einige Andeutungen, und enthüllte ihm dann, nachdem Philippus ihm bei allen Göttern die strengste Verschwiegenheit zugesagt hatte, das Erlebniß mit Olbasanus.
Der wackere Centurio war außer sich. Er hatte niemals an die Narrenspossen der Beschwörer geglaubt: hier aber lag es ja klar zu Tage: Agathon, der niederträchtige Gauner, hatte den Olbasanus erkauft! Er, Philippus, wußte, daß Agathon sich in schlechten Vermögensverhältnissen befand. Die wenigen hunderttausend Sesterzien[1], die dem verschwenderischen Wüstling noch von vielen Millionen erübrigten, glaubte er natürlich nicht besser anlegen zu können, als wenn er sie zur Erlangung der ungeheuren Erbschaft verwandte, die Hero, als das einzige Kind ihrer Mutter, ihm in die Ehe mitbringen würde. Die Sache war so klar wie das himmlische Sonnenlicht. Aber noch hatte der freche Betrüger nicht seine Ernte gehalten und nach dem Ausdrucke in Hero’s lieblichem Antlitz zu schließen, hielt es Philippus für zweifelhaft, daß er jemals gewinnen werde, was er auf so tückische Weise erschleichen wollte. Gleichviel: mit dem voraussichtlichen Mißerfolge des Agaton war noch nicht gut gemacht, was der ruchlose Beschwörer dem armen Rutilius angerichtet. Er, Philippus, wollte Alles aufbieten, um in Gemeinschaft mit Cajus Bononius die Sache wieder in’s Geleise zu bringen.
„Besuche mich morgen zum Früstück,“ sagte er endlich, nachdem er in aufgeregter Gesprächigkeit alle diese Momente in Erwägung genommen. „Wir entwerfen dann einen Feldzugsplan, der nicht nur unsern trefflichen Lucius Rutilius in alle Rechte seines blühenden Glücks wieder einsetzen, sondern auch Deine brennende Wißbegierde nach den verborgenen Kräften, mit denen Olbasanus gearbeitet, stillen soll!“
„Wohl!“ versetzte Bononius. „Ich werde zur Stelle sein.“
So trennten sie sich.
Dieser Nummer ist Nr. 5 unserer „Zwanglosen Blätter“ beigelegt.
- ↑ Silbermünze = 20 Pfennig R.-W.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_284.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2023)