Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
Zwietracht gerufen, versuche es, ob Dein bloßer Wink sie wieder bannen kann, ich zweifle daran.“
„Mäßige Dich, Anna!“ sagte Vilmut streng. „Du weißt nicht, was Du sprichst. Wenn wirklich eine Gefahr Werdenfels bedroht –“
„So trage ich die Schuld daran!“ fiel Anna leidenschaftlich ein, „denn ich habe ihn hergerufen.“
„Du?“
„Ja, und er ist dem Rufe gefolgt.“
„Also das war der Inhalt jener Unterredung in den Bergen? Ich hätte es wissen können, als er so plötzlich wieder erschien. Deinem Rufe folgte er natürlich.“
„Zu seinem Unglücke! Ich wollte ihn der Träumerei, der Entnervung entreißen, in der er zu Grunde ging, und stachelte ihn so lange, bis er sich zu dem Entschlusse aufraffte. Nun ist er gekommen, nun steht er mitten in dem Kampfe, den Du ihm aufgezwungen hast, und wird darin unterliegen, denn weichen wird er Dir nicht zum zweiten Male – ich kenne Raimund.“
Das ganze Wesen der jungen Frau bebte in leidenschaftlicher Erregung; so hatte Gregor sie nur einmal gesehen, als er mit erbarmungsloser Hand ihren Glückes– und Liebestraum zerstörte. In seiner Schule hatte sie jene Selbstbeherrschung gelernt, die jeden Sturm der Seele niederzwingt vor fremden Augen, und jetzt brach der Sturm doch hervor, das sagte ihm genug. Die drohende Falte stand noch auf seiner Stirn, aber seine Stimme klang im herbsten Spotte, als er erwiderte:
„Du bist ja ganz außer Dir! Der bloße Gedanke an die Gefahr dieses Mannes raubt Dir fast die Besinnung. Beruhige Dich! Ich konnte dem allgemeinen, dem verdienten Hasse einen gewissen Spielraum lassen; sobald er sich bis zum Verbrechen versteigt, werde ich ihn zu zügeln wissen.“
„Kannst Du auch den Aberglauben zügeln?“ fragte Anna mit schmerzlicher Bitterkeit. „Paul Werdenfels hat Recht, er ist eine mächtige Waffe in Deiner Hand, aber auch eine zweischneidige Waffe. Du selbst hast das Volk gelehrt, in Raimund einen Unheilsbringer zu sehen, dessen bloße Nähe schon verderblich wird, dessen Wohlthaten selbst zum Fluche werden. Du hast geschwiegen zu all jenen unsinnigen Märchen, in denen er als der leibhaftige Böse erscheint. Die Leute glauben ja ihr Seelenheil gefährdet, wenn sie ein Geschenk aus solcher Hand annehmen, und damit allein hast Du es erreicht, daß Deine Gemeinde in blinder Unterwerfung unter Deinen Willen ihre eigene Sicherheit preisgab. Wer schützt das Dorf, wenn die Wasser ihm wirklich einmal drohen?“
„Der Gott im Himmel, der es so lange geschützt hat!“ sagte Vilmut energisch. „Wo die Gefahr von den Elementen droht, die seinem Willen gehorchen, da heißt es, ihm vertrauen.“
„Und wo Menschenarme den Elementen wehren können, da heißt es ihn herausfordern, wenn man diese Arme zurückhält, und das hast Du gethan.“
„Was soll das heißen, Anna?“ fuhr Gregor gereizt auf. „Welch eine Sprache wagst Du gegen mich zu führen? Habe ich Dir von meinem Thun Rechenschaft abzulegen? Ich dulde keinen Einspruch in dem, was ich für recht anerkenne, ich folge einzig der Stimme meines Gewissens.“
„Und die Noth der ganzen Umgegend giebt Dir die Antwort darauf!“ sagte Anna unerschrocken. „Wir können ihr nicht wehren mit all unseren Kräften, aber Raimund konnte und wollte es. Du weißt am besten, weshalb er die Arbeiten an den Dämmen mitten im Winter beginnen ließ und weshalb sie abgebrochen wurden. Jetzt darben die Leute auf Dein Geheiß und all ihr Haß, all ihre Bitterkeit wendet sich gegen den, der ihnen Hülfe bringen wollte. Raimund allein –“
„Raimund und immer Raimund!“ unterbrach sie Vilmut mit einer beinahe wilden Heftigkeit. „Hast Du denn gar keinen anderen Namen für diesen Werdenfels? Muß ich Dich an das Wort erinnern, das Du mir gabst, als Du die Gattin Hertenstein’s wurdest? Du selbst sagtest mir: Meine Liebe ist überwunden und begraben, ich nehme nichts davon mit hinüber in des neue Leben! Hast Du damals mich oder Dich selbst belogen?“
Er war zu der jungen Frau getreten, und seine Hand umschloß die ihrige mit so eisernem Drucke, daß es sie schmerzte. Trotzdem entzog sie ihm ihre Hand nicht, und ihr Auge begegnete groß und flammend dem seinigen.
„Wenn es eine Lüge war, mit der ich mich täuschte, so hast Du allein sie mir aufgezwungen. Du stelltest mir diese Liebe ja als ein Verbrechen hin, bis ich selbst daran glaubte, bis ich Raimund von mir stieß. Vielleicht hätte ich es nicht gethan, vielleicht hätte ich Schuld und Verzweiflung mit ihm getheilt, wäre der erbarmungslose Richter nicht an meiner Seite gewesen, der mich immer und immer wieder auf diese Schuld hin wies. Ich glaubte damals mit der Vergangenheit gebrochen zu haben, aber man hält Manches für todt und begraben, was dann plötzlich nach Jahren wieder aufwacht mit seiner alten unbezwungenen Macht.“
Gregor erbleichte bei den letzten Worten, langsam, wie unwillkürlich löste sich seine Hand von der Anna’s und sank nieder. Die junge Frau mißverstand diese Bewegung, sie trat zurück, und es legte sich ein unendlich herber Ausdruck auf ihre Züge, als sie fortfuhr:
„Fürchte nichts, Dein Werk bleibt bestehen! Wir sind und bleiben getrennt. Die Kluft zwischen uns ist zu weit und zu tief, als daß wir uns je die Hände reichen könnten. Aber geliebt habe ich Raimund von dem Augenblicke an, wo ich mich von ihm losriß, bis zu dieser Stunde. Das ist nicht niederzuzwingen und zu ertödten mit aller Willenskraft, das löscht keine Schuld aus und kein Verbrechen. Ich kann ihn verlassen, verwerfen, verdammen – lieben werde ich ihn in alle Ewigkeit!“
Sie athmete tief auf, als sei mit dem Geständniß eine Last von ihrer Brust genommen. Gregor stand regungslos da, ohne zu antworten, aber seine Augen hafteten mit einem seltsamen Ausdruck auf dem schönen, glühend erregten Antlitz. War es Zorn über das Bekenntniß, oder Haß gegen Raimund, der Blick ließ sich nicht enträthseln, aber es glühte unheilverkündend darin.
Da drang plötzlich das Geläute der nahen Kirche herüber, und Vilmut zuckte zusammen bei dem ersten Glockenton, wie von einer Mahnung getroffen.
„Die Messe!“ sagte er halblaut. „Ich muß zur Kirche.“
„So will ich gehen,“ versetzte Anna, der diese Unterbrechung nicht unwillkommen zu sein schien. „Ich war im Begriff, mit Lily nach Hause zurückzukehren, wenn Du jedoch wünschest, daß wir der Messe beiwohnen –“
„Nein. Ich erlasse es Dir. Geh!“
Die Schroffheit dieser Worte verletzte die junge Frau sichtlich, sie wandte sich kurz und kalt ab.
„Dann fahren wir sofort. Leb’ wohl!“
Sie verließ das Zimmer, und Gregor hatte kein Wort des Abschiedes für sie. Er stand noch immer wie in sich selbst verloren und noch immer weilte der räthselhafte Ausdruck in seinem Auge. Lauter und mahnender klangen die Glocken, die den Priester sonst hinwegriefen von jeder Arbeit, von jedem weltlichen Gedanken zu dem Dienst am Altare, dem er sich mit voller, begeisterter Ueberzeugung geweiht hatte. Sie riefen ihn auch heute, und er hörte den Ruf und war bereit, ihm zu folgen, aber mitten hinein in den Glockenton flüsterten und raunten die Worte, die wie mit glühender Schrift in seiner Seele eingegraben waren: Ich kann ihn verlassen, verdammen, verwerfen – lieben werde ich ihn bis in alle Ewigkeit!
Auf der Försterei, die inmitten der großen Bergforsten von Felseneck lag, herrschte ein ungewöhnliches Leben, denn man erwartete nichts Geringeres als den Besuch des Freiherrn. Das war nun freilich nicht mehr so unerhört, als es noch vor sechs Monaten gewesen wäre, denn seit der Gutsherr sich in Werdenfels befand, hatte er seine frühere Unzugänglichkeit und Abgeschlossenheit theilweise aufgegeben, aber es blieb doch immer ein außerordentliches Ereigniß.
Die Veranlassung dazu lag freilich nahe. Das Forsthaus war ein altes baufälliges Gebäude, dem die Stürme und Schneelasten dieses Winters hart zugesetzt hatten; ein Umbau erwies sich als dringend nöthig, und der Förster hatte sich deshalb brieflich an den Freiherrn gewandt. Er hatte auch die gewünschte Zusage erhalten, es sollte ein Baumeister aus der Stadt kommen, um die Besichtigung vorzunehmen und Bericht darüber zu erstatten, urplötzlich aber hatte Werdenfels seinen Entschluß geändert. Er wollte selbst kommen, um an Ort und Stelle persönlich die nöthigen Anordnungen zu treffen, und hatte seinen Besuch zu einem bestimmten Tage ankündigen lassen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_271.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2023)