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Seite:Die Gartenlaube (1883) 267.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

welchem der Zauberer die skeptische Untersuchung der Inschrift beobachtete. Für den Scharfblick des jungen Mannes wohnte diesem Lächeln eine sonderbare Bedeutung inne. Das war nicht jenes hoheitsvolle Lächeln des Mitleids und der gottbegnadeten Größe, die im Vollbesitz ihrer heiligen Kräfte auf den verblendeten Zweifler herabschaut, sondern das pfiffige Lächeln des Griechen, dem es gelungen ist, im Bretspiel seinen Gegner um einen Stein zu betrügen, das Lächeln eines tollkühnen Abenteurers, der eine verwegene That vollbracht und jegliche Spur seiner Thäterschaft glücklich ausgetilgt hat. So schöpfte denn seltsamer Weise der Philosoph da, wo ihn die Logik im Stich ließ, erneute Widerstandsfähigkeit aus dem Reich des Gefühls, aus dem Instincte, der ihn die Sache gering schätzen ließ, weil die Person verdächtig ward.

„Zweifelst Du immer noch, Cajus?“ raunte Lucius Rutilius mit zuckender Lippe. „Komm, ich weiß jetzt genug. Wie ich’s ertragen werde, das ruht im Schooße der Götter.“

„Ich zweifle entschiedener als je,“ gab ihm Bononius zurück. Der Tag wird kommen, daß ich diese Wunder enträthsele. Jetzt, ich beschwöre Dich, laß mich, und vor Allem Dich selbst und Deine Hoffnung nicht so ohne Weiteres im Stiche. Stell’ ihm erneute Fragen, fordere noch andere Zeichen! Man sagt, aus einem Todtenschädel lasse er die Stimme der Göttin sprechen, und die Tochter des Heliodorus selber hat Dir’s geschrieben, daß der Zauberer die Flammengestalt der Hekate vom nächtlichen Himmel herabführt. Wieg’ ihm seine Wunder mit Gold auf, aber laß ihn leisten, was er vermag, zum Heile der Wahrheit und zum Gedeihen Deiner glücklichen Zukunft. Mehr als zuvor brenne ich jetzt darnach, Alles zu schauen, um Alles verachten zu können!“

„Cajus, Du lästerst!“ sagte Lucius erschreckt. „Wenn sie Dich straft, die Entsetzliche, die Vernichterin meines Lebens!“

„Strafen? Wofür? Wenn sie ist, so muß sie mir dankbar sein, daß ich den Mißbrauch ihres Namens enthülle; aber sie ist nicht, sonst hätte sie Diesen da längst hinabgerissen in den ewigen Abgrund.“

Es entstand eine Pause. Olbasanus schien sich an dem Eindruck, den seine Prophezeiung auf die Beiden hervorgebracht, heimlich zu weiden, denn er hielt die geflüsterte Rede des Cajus Bononius für den Ausfluß staunender Bangigkeit.

„Den Tod hat die Herrscherin der Nacht mir geweissagt,“ hub endlich Rutilius an. „Aber Eins noch lastet mir auf der Seele. Darf ich fragen?“

„Frage!“ erwiderte Olbasanus.

„So möchte ich wissen, ob dieses Geschick durch kein Opfer, keine sühnende That von mir abgelenkt werden kann. Steht es in Deiner Macht, so laß mich’s vernehmen. Beschwöre die Göttin, daß ihre eigene furchtbare Stimme dem Fragenden das Orakel spreche.“

Wie vorher schaute der Chaldäer nach oben; wie vorher blitzte es auf, und den Stab erhebend rief er:

„Gewährt!“

Abermals entlockte er dem Altar jenen räthselhaften Metallton, der den weißgekleideten Knaben hereinrief. Auf ein unverständliches Wort des Chaldäers hin trat er zu einem benachbarten Monopodium, nahm ein steinbesetztes Kästchen herab und setzte es neben den Zauberer. Dann kam wieder die Onyxschale zum Vorschein, und klingend senkten sich die Goldstücke des Lucius Rutilius in die bauchige Höhlung. Gleich darauf schob sich hinter dem Altar zwischen den beiden Pfeilern der dunkle Vorhang zurück. Eine halbrunde Nische ward sichtbar, von einer bläulichen Ampel beleuchtet. Der Zauberer entnahm dem Kästchen ein kleines Gefäß, dessen Inhalt er an dem Kohlenbecken entzündete. Ein wohlriechender Rauch stieg zum Gewölke empor. In demselben Augenblicke erloschen sämmtliche Lichter mit Ausnahme jener bläulichen Ampel. In ihrem Schimmer gewahrte man am Boden der Nische einen grinsenden Todtenschädel.

Olbasanus winkte den Fragesteller heran. Beide Hände auf den Altar gestemmt, sollte Lucius Rutilius hinüberschauen in die gespenstische Nische und den Wahrspruch der Schreckensgöttin vernehmen. Auch Cajus Bononius mußte, da er zu sehen und zu lauschen wünschte, mit der Rechten die Altarkante fassen.

„Schweigt und schwindet, ihr Dämonen und Geister,“ begann jetzt der Chaldäer geheimnißvoll. „Schweigt und schwindet, denn Hekate, die Unerforschliche, selber will zu diesem Staubgeborenen sprechen durch das Symbol ihrer Allmacht, durch den Todtenschädel am Boden ihres Sanctuariums. Das fleischentblößte, hirnentleerte Gebein, ehedem der Sitz der Gedanken, die erloschene Lampe eines längst vergessenen Menschendaseins, dient der Unsichtbaren als Stätte, wenn sie emporsteigt aus den Tiefen der Unterwelt. Künde mir, Allgewaltige, ist der Hauch Deines göttlichen Lebens eingekehrt in das vermorschte Gehäuse?“

Ein dumpfes, grausenhaftes „Du sagst es“ klang aus der hochstirnigen Wölbung des Schädels hervor.

Lucius Rutilius erschrak heftig. Cajus Bononius glaubte noch bezüglich der Richtung, aus der die Stimme kam, sich getäuscht zu haben. Nach vorn übergebeugt, lauschte er athemlos.

Olbasanus hatte sein Antlitz auf den Altar geneigt, gleich als ob die Gegenwart der unsterblichen Göttin sein Antlitz niederzwinge in schauernder Ehrfurcht. Jetzt erhob er sich langsam.

„Sei uns gnädig, Du Herrscherin über uns Alle!“ sprach er, die Hände wie ein Schutzflehender nach der Nische hin ausstreckend. „Dieser Jüngling begehrt zu wissen, ob das Schicksal, das Deine Strenge ihm weissagt, unabänderlich ist wie ein Fatum, und, wenn es nicht unabänderlich ist – was er thun muß, um das Schreckliche abzuwenden.“

Nach einer Pause erklang die Stimme aus dem Todtenkopfe von Neuem.

„Unabänderlich ist sein Schicksal, dafern er ausführt, was er geplant hat,“ raunte es so deutlich in der gräßlichen Höhlung, daß auch Bononius nicht länger zu zweifeln vermochte. „Nur im Entsagen liegt das Heil seines Lebens! Dies kündet ihm Hekate, die Alles hinwegnimmt, was ihr Odem berührt hat.“

Bei diesen Worten erscholl ein furchtbarer Donnerschlag. Der Schädel in der Nische begann sich zu regen und – o unbegreifliches Wunder! – kleiner zu werden, wie eine Wolke am Abendhimmel, die sich allmählich in Nichts auflöst. Starren Auges verfolgten die beiden Jünglinge diese räthselhafte Erscheinung. Noch zwei Minuten, und der Todtenschädel war völlig von dem glänzenden Boden hinweggeschwunden – nicht in die Erde gesunken, sondern gleichsam in sich selbst zusammengebrochen, verweht, verraucht wie ein Trugbild.

Als Cajus Bononius aufblickte, gewahrte er seinen Freund wie leblos auf den Stufen des Altars.

„Es ist aus,“ murmelte er schreckensbleich, da Bononius ihm die Schulter berührte.

Eine Zeit lang überließ Bononius den Bekümmerten seinen verzweiflungsvollen Empfindungen. Olbasanus, der an solche Scenen gewöhnt sein mochte, verharrte schweigend einige Schritte abseits.

„Lucius,“ begann der junge Weltweise nach einigem Zögern, „überlege nur Eins! Die Götter, dafern sie sind, müssen gedacht werden als der Inbegriff alles Erhabenen. Das Grausige aber und Gespenstische stößt den Menschen um so entschiedener ab, je reiner und edler und den Göttern also verwandter seine Seele geartet ist. Eben der Begriff der Gottheit, und selbst der einer Gottheit über das Todtenreich, verbietet uns, Vorgänge wie die soeben erlebten für einen Ausfluß ihres Willens zu halten. Auch ich vermag die Räthsel dieses Chaldäers nicht zu errathen: aber ich zweifle mit aller Kraft, daß sie das sind, wofür er sie ausgiebt. Zweifle auch Du, Lucius! Bekenne ihm, daß Du zweifelst, spare Dein Geld nicht, und fordere ihm erneute Gewähr ab! Deine Hero, so sagtest Du, hat die Todesgöttin geschaut; heische auch Du ihren Anblick, um entweder unabweislich zu glauben, oder den Hebel zu finden, mit dem Du all dies Unerklärliche aus den Angeln hebst.“

Es währte diesmal geraume Zeit, bis sich Lucius Rutilius bereden ließ. Endlich aber, durch die wachsende Ruhe des Freundes immer stärker beeinflußt, gab er ihm nach und verlangte, was Bononius ihm vorschrieb.

Der Scharfblick des Olbasanus hatte diese Wendung der Dinge seit lange vorausgesehen. Schweigend geleitete er die beiden Jünglinge durch ein halbes Dutzend kreuz und quer verlaufender Gänge in den nächtlichen Park. Sanft am Hügel emporsteigend, bedeckte dieser Garten des Zauberers mehrere hundert Schritte im Viereck. Nahezu haushohe, mit Epheu und anderen Schlinggewächsen überkleidete Mauern schlossen ihn ein wie ein Heiligthum. Hier und dort in alabasternen Becken spielten die Wasser; seltsame Statuen, im Sternenschimmer der mondlosen Nacht nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_267.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2023)