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Seite:Die Gartenlaube (1883) 251.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

hören bekommen haben, denn da ist der Wildgarten von Tirol. Was es überhaupt im Hochgebirge geben kann, kommt hier vor. Während man an der Table d’hôte im Fürstenhause, so viel aus den sich kreuzenden Schallwellen zu entnehmen ist, meist über Dinge spricht, die nicht in die Alpen gehören, und dort die Zeitung den tagtäglichen Gedankenvorrath liefert, kann der stille Beobachter in den anderen Gaststätten die Lücken seiner Kenntniß der Waidmannssprache, insbesondere der des Hochgebirges, ausfüllen lernen.

Da gellt es in die Ohren von guten Böcken, Geltgeisen, Jahrlingen und Kitzen – von Blatt und Grind, von Latschenstreifen, vom „auf haben“ und „Graben“ ausgehen – mitunter aber auch von „Lumpen“, das heißt von Wildschützen.

So belehrend es für den Neuling sein mag, dem Gespräche der Männer zu folgen, so wenig wäre es angezeigt, Unwissenheit durch Fragestellung oder andere Eingriffe zu verrathen. Nicht selten würde sich daraus einer jener Zwischenfälle entwickeln, welche während allgemeiner Dürre den Mühlen unserer Witzblätter Wasser liefern.

Die Gemse ist im Gebirge überhaupt der vornehmste Gegenstand der Touristenneugierde. Gilt dies schon für die Schweiz, wo es kläglich mit dem Vorkommen dieses Jagdthieres bestellt ist, wie viel mehr alsdann für das wildreichste Gebiet sämmtlicher Alpen!

Die Pertisau ist der beste Ort, von dem aus Gänge unternommen werden können, die den Zweck haben, der Gemse in ihrer Freiheit ansichtig zu werden.

Da war nun einmal eines Tages die Rede gewesen vom Venediger Mannl, das im Hochsee am Dalfazer Joche Fische mit goldenen Zähnen fand; vom Irdeiner See am Sonnwendjoche, der laut „billt“, wenn ein Ungewitter heraufzieht; vom Silberhannsl in der Scharnitz, der im Karwändelthale Schätze aufgrub; vom Erdbeersammler, der auf dem Stanser Joche dort abfiel, wo jetzt das Marterl steht; vom Streite der Ebener drüben mit den Goldsuchern; von den Zauberstollen am Roßkopfe. – Da fiel es einem Fremdlinge, der das für Narrethei erklärte, ein, beim stimmführenden Forstwarte anzufragen, ob es wahr sei, daß die Gemsen Wachen ausstellten.

Glücklich war also wieder einmal das unvermeidliche Thema der „Wachjemse“ angeschlagen.

„Das ist natürlich,“ entgegnete der Forstwart.

„Und die Wachen pfeifen, nicht wahr?“

„Gewiß.“

„Wie machen sie denn das?“

„Ganz einfach. Haben Sie einmal Gassenbuben in der Stadt beim Pfeifen zugeschaut?“

Und bevor der Neugierige bejahend antworten konnte, hatte der Forstwart den Zeigefinger und den Mittelfinger der rechten Hand in die Mundhöhle gesteckt. Es gellte, daß man es bis zum Ueberführer in der Buchau hätte hören können.

„Nu, schauen Sie, so machen’s die Gamsböck’, die auf der Wach’ stehen. Dazu hat ihnen unser Herrgott die gespaltenen Hufe gegeben. So stecken sie den Vorderlauf zwischen die Zähn’!“

Jetzt wußte unser Reisender, wie die „Wachjemsen pfeifen“. In Jagdbüchern steht das freilich ein wenig anders – aber der Forstwart, der muß es doch wissen.

Niemals geht ein Tourist über das Joch, ohne daß ihm sein Führer eine Gemse zeigt. Ich habe einen schlauen Holzknecht gekannt, der sich in solcher Eigenschaft, wenn einmal der Zufall in der That kein Stück zu Gesicht führte, ganz gut zu helfen wußte. Der gab an einer geeigneten Stelle seinem Begleiter – und wäre derselbe ein Consistorialrath gewesen – einen derben Schlag in die Seite und zeigte zugleich mit der linken Hand nach einer vorspringenden Felswand oder einem Graben hinter Geröllhalden. Und ehe der erschreckte Mann, der nicht wußte, wie ihm geschah, zu Wort kommen konnte, rief der Führer schier erzürnt:

„Himmelsakr…, ja bald S’ nit hinschaun! Grad is dort a Gams eini g’sprungen!“

Alles Anstrengen der Augen blieb nutzlos. Das „Gams“ wollte sich nicht mehr zeigen.

Mittlerweile hatte das zurückgebliebene Fräulein die Beiden eingeholt.

„Sieh mal, Mathilde, wie schade. Auf ein Haar hätten wir eine Gemse zu sehen bekommen!“

„Jägerisch“ geht es zu in der Pertisau. Freilich. wenn man das kleine Chronikbüchlein des oben gedachten Herrn Sebastian Ruf durchblättert, so möchte man sich schier darob wundern, wie überhaupt noch ein Stück Wild in jenen Bergen vorhanden sein kann. Denn man ersieht aus ihm, daß die Bauern, so oft irgendwo ein Rummel in der Welt los war, der ihren Drängern, mochten es Fürsten oder Aebte sein, den Athem nahm und ihnen etwas Anderes zu schaffen gab, als sich um das Achenthal und seinen Wildstand zu kümmern, sofort zugriffen. Dann gab es ein allgemeines Niederschlagen von Hirsch, Reh und Gemse. Alles wurde umgebracht. Es waren so und so viele „1848“ im Hochgebirge. Hinterher kamen dann immer wieder die strengen Verordnungen und Strafen. Gewiß mehr aber noch als diese hat dem Waidwerk die Ausdehnung der Bergwildnisse geholfen. In den unbewohnten Thälern zwischen Achensee, Isar und der Seefelder Höhe wird der Gemsbock so leicht nicht ausgerottet.

Die schönste Jagd ist freilich zu einer Zeit, wo kein Mensch in die Berge reist. Ich meine die Jagd auf den Auer- und Birkhahn. Da meine Worte nicht vermögen, ein Bild jener regen Frühlingstage zu geben, so verweise ich den Leser, den ein gutes Geschick zum Achensee führt, auf ein schönes Gemälde im gastlichen Hause des Oberförsters zu Vorderriß. Dasselbe stellt einen Hahn vor, der in dämmeriger Morgenfrühe des Maientages in die Frühlingsluft des Hochgebirges hinaus balzt. Das Bild hat die Form einer Schießscheibe und eben einer jener Malerbuben hat es gemacht, die sich noch immer zwischen Achensee und der Isar herumtreiben.

So empfehle ich die Reise in die Pertisau. Wenn der Ankömmling beim „Zigeunerbrünnl“ lagert und seinen Blick in die blaue Tiefe des Sees versenkt, oder von der herrlichen Hoch-Iß oder vom Unnutz aus (der wohl den Achenthalern ein „Unnutz“ ist, weil sie Hochgebirg ohnehin genug haben, nicht aber dem Fremdling) zugleich in die Münchener Fläche und in die Eiswelt schaut, dann wird er mir in Gedanken Recht geben, daß ich ihn auf diesen Strand als auf eine der schönsten Tiroler Sommerfrischen hingewiesen habe. Ich aber wünsche mir, um der Erinnerung in weiter Ferne nachzuhelfen, ein Bild desselben für meine Schreibstube. Ich werde es mit Edelweiß umkränzen.




Blätter und Blüthen.


Das Berliner Verbrecher-Album.

 „Ha! … hamm! hammer dich emol, emol, emol
 An dei’m verrissene Camisol,
 Du schlechter Kerl.“
 Victor von Scheffel („Gaudeamus“).

Wenn in früheren Zeiten Häscher, Waibel, Stadtsoldaten, Constabler, Polizeidiener oder wie die Greiforgane der Justiz sonst hießen, einen Uebertreter der Gesetze festnahmen, so mögen sie wohl oft triumphirend in die Tonart des oben angeführten Citats eingestimmt haben, denn es gehört nun einmal zu den berechtigten oder unberechtigten Eigenthümlichkeiten der Mitglieder der Spitzbubenzunft, sich nicht immer „kriegen“ zu lassen, im „Betretungsfalle“ aber auch nach Möglichkeit wieder zu entweichen. Wie Rübezahl seiner entflohenen Emma Blitze des Aergers nachschleuderte, so verfolgte einst der starke Arm der Gerechtigkeit den Entsprungenen durch Steckbriefe nebst dem ominösen Signalement, ein Modus, welcher in Ermangelung eines besseren auch heute noch vielfach zur Anwendung gelangt. Wie es indeß um eine solche kurze Personalbeschreibung beschaffen ist, weiß Jeder, der schon in die ernste Lage gekommen, nach einem solchen Signalement ein bestimmtes Individuum ausfindig zu machen und zu erkennen. „Blaue Augen“, „blondes Haar“, „mittlere Statur“ sind innerhalb der deutschen Grenzen nichts ungewöhnliches, und figurirt unter „besonderen Kennzeichen“ nicht wenigstens ein sichtbares Deficit an Gliedmaßen oder Sinnen, so ist mit der Rubrik nichts „besonderes“ anzufangen. Neuerdings ist aber den „schlechten Kerlen“ in der Photographie ein Feind erwachsen, der in seinen Erfolgen das beste Signalement weit hinter sich zurückläßt.

Verbrecher-Album – wer hätte je gedacht, daß das Album, jener moderne Familientempel, der in seinen Hallen nur geliebte Personen, Freunde und Geistesheroen versammelt, auch in den Dienst der Criminalpolizei treten und auf den grünen Tischen derselben, ganz wie bei uns in der guten Stube, „zur gefälligen Ansicht“ ausgelegt werden würde.

Betreten wir die melancholisch-düsteren Räume des Berliner Criminalcommissariats am Molkenmarkt, wir brauchen trotz der Inschrift über der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_251.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2023)