Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Dame aus Neapolis, um die Zukunft befragt, und mit eigenen Augen, wie Hero, die schreckliche Erscheinung der Hekate wahrgenommen, die, von Flammen umloht, vom sternenbesäeten Himmel herniederschwebte. Du weißt, Cajus, ich bin keiner der Leichtgläubigen. Oft genug habe ich unserer Auguren[1] und Wahrsager gelacht, und jenem Feldherrn aus den Tagen des Freistaats meine Achtung gezollt, wie er die heiligen Hühner, als sie nicht fressen wollten, in’s Meer warf. Hier aber drängte sich mir die Ueberzeugung mit so ungestümer Gewalt auf, daß ich ihrem Andrang erlag …“
„Hekate also!“ murmelte Cajus Bononius. „Auch mir ward dieses Wunder bestätigt, nicht von Einem, nicht von Zweien, die es geschaut, sondern von Zwanzigen. Wisse, Rutilius, seit Monden schon rechne ich diesem Olbasanus nach, was er vermöge seines Bündnisses mit den Göttern und Dämonen zu Wege bringt … Indessen – Du warst mit Deiner Erzählung noch nicht völlig zu Ende. „Sprich, Lucius; aber beeile Dich!“
„Ich bin zu Ende!“ versetzte der Jüngling, „Eins nur hab’ ich hinzuzufügen. Inmitten all der dumpfen, herzzerfressenden Trauer, die mich beherrschte, regte sich mir täglich unabweisbarer das Verlangen, den Mann, der so – wenngleich in gütiger Absicht – meine Zukunft zerstörte, aufzusuchen in der Halle seiner Beschwörungen … Ich selbst gedachte eine Frage zu stellen an die entsetzliche Fürstin der Unterwelt. Alle Bemühungen, die Geliebte wiederzusehen, waren erfolglos geblieben. Auch Heliodorus schien mir nachgerade verwandelt – so scheu, so bänglich trat mir der sonst so Rückhaltslose entgegen. Diese Unmöglichkeit, mich Hero oder selbst nur Lydia gegenüber auszusprechen, drängte mich vollends zur Ausführung. Ja, ich überwand meinen Widerwillen gegen jede Berührung mit dem Uebernatürlichen – und jetzt, o Cajus, erblickst Du mich auf dem Weg nach dem Hause des Olbasanus, fest entschlossen, mit eigenem Auge zu sehen, was die Götter mir zugetheilt, und so zum wenigsten doch den einen Trost mit hinwegzunehmen, der im Bewußtsein der Unabänderlichkeit und des ewig vorbestimmten Geschicks liegt.“
„Auf dem Wege zu Olbasanus!“ rief Cajus Bononius voll Leidenschaft. „Wohl, so laß uns nicht zögern. Auch ich stand im Begriffe, ihn aufzusuchen. Gestern schon sandte ich meinen Glabrio, und Olbasanus bestimmte mir die zweite Stunde nach Sonnenuntergang …“
„Auch Du?“ fragte Lucius erstaunt.
„Ja, auch ich – wenngleich aus anderen Gründen als Du, mein theurer Rutilius. Du weißt, ich bin Philosoph. Jahrelang hab’ ich geforscht und geprüft; ich kenne die mannigfachen Erscheinungen der belebten wie der unbelebten Natur. Ich glaube nicht an die wunderbaren Phantasmen dieser Beschwörer. Gleichwohl: die Aussage so vieler wahrheitsliebender Männer liegt vor; ich kann nicht zweifeln, daß sie treu und ehrlich verkünden, was sie gehört und gesehen haben. So ergiebt sich mir ein quälender Widerspruch. Entweder ich irre mich dennoch, wenn ich mit Plinius und Lucretius das Eingreifen dämonischer Gewalten in das Schicksal der Menschen leugne: oder all diese wahrheitsliebenden Männer täuschen sich und sind die Opfer eines elenden, gewissenlosen Betrugs. Im Drang meiner Wißbegierde bin ich gewillt, dafern es möglich ist, diese Frage so oder so zu entscheiden. Komm also, damit ich die Stunde, die Olbasanus mir festgesetzt, nicht versäume.“
Lucius Rutilius fühlte einen freudigen Schreck. Ein Schimmer von Hoffnung blitzte durch seine Seele, denn die Worte des Freundes athmeten trotz ihrer gemessnen Zurückhaltung eine kraftvolle Zuversicht.
„Eilen wir!“ sagte er, bebend vor Ungeduld.
So schritten die beiden Freunde in’s Haus zurück und wandten sich, den viminalischen Berg von der Seite der tullischen Mauer her umkreisend, nach der Wohnung des Olbasanus.
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Unweit der gewaltigen Bäder, die der Kaiser Diocletianus, gleichsam zur Sühne dafür, daß er lieber in Nicomedia oder Salona als in Rom residirte, am nordöstlichen Hang des viminalischen Hügels bis zu der Stelle hatte erbauen lassen, wo diese Anhöhe in den quirinalischen Hügel übergeht, stand in der Nähe des collinischen Thores ein seltsames Bauwerk – in dem wuchtigen Prunke seiner farbengeschmückten Frontseite fast an die Königspaläste Assyriens und Persiens erinnernd, und dennoch so frisch und so neu, als sei es eben erst aus den Händen der Baumeister und Stuckarbeiter hervorgegangen, eine architektonische Verkörperung jenes Zeitgeschmacks, der damals schon mit Vorliebe den Stil altvergangener Epochen nicht nur in den schwachen Schöpfungen einer entarteten Literatur, sondern auch auf anderen Gebieten menschlicher Thätigkeit geistreich nachkünstelte.
Hier frellich war es nicht sowohl die Laune des Architeken oder die Geschmacksrichtung seines Auftraggebers, als ein bewußter praktischer Zweck gewesen, was die einfache Façade des römischen Hauses durch diesen phantastischen Luxus des Orients hatte verdrängen lassen. Hinter den wuchtigen, thierkopfgeschmückten Säulen trieb Olbasanus, der chaldäische Zauberer und Dämonenbeschwörer, der erklärte Günstling der römischen Damenwelt, sein geheimnißvolles Wesen, und so stimmte denn schon das Aeußere des umfangreichen Gebäudes zu den räthselhaften Begebnissen, die sich in seinem Inneren vollzogen. Der fremdländische Anblick der Frontseite konnte als Vorbereitung gelten für die Erkornen, denen Olbasanus gestattete, die Schwelle seines verborgenen Heiligthums zu beschreiten.
Lucius Rutilius und Cajus Bononius erreichten die Pforte in dem nämlichen Augenblick, da dieselbe, von innen geöffnet, eine lange, hagere Gestalt in dichter Pänula auf die Straße ließ. Trotz der Milde der Witterung hatte der Unbekannte die Regencapuze voll herauf über das Haupt gezogen.
Ein wenig zur Seite tretend, ließen die beiden Jünglinge den Vermummten vorbei.
„Diesen Gang und diese Haltung sollt’ ich kennen,“ sagte Lucius Rutilius, dem Enteilenden nachblickend. Vergeblich indeß besann er sich. Der Thürsteher hatte inzwischen die Pforte nicht wieder angedrückt. Die silbergetriebene Laterne mit den Scheiben aus ölgetränktem Papyrus vorhaltend, gewärtigte er des Eintritts der beiden Gäste.
Cajus Bononius gab ihm ein Silberstück und fragte, ob der Chaldäer, wie vereinbart, zu sprechen sei.
Der Thürsteher winkte einem der sieben bartumwallten Aethiopier, die in langer Gewandung, den breiten, mit seltsamen Zeichen übersäten Gürtel um die Lenden geschlungen, am Ausgang des Corridors harrten. Schweigsam führte der Mann, den es traf, die beiden Ankömmlinge durch die getäfelte Vorhalle. Wie er so fast unhörbar dahinschritt, die Schleppe seines kuttenartigen Mantels leise über dem Estrich dahinknisternd, in der Rechten die Fackel, die allenthalben an den zahllosen Vorsprüngen und Gliederungen des Mauerwerks gespenstisch flackernde Schatten erzeugte, schien er selbst eine Art übernatürlichen Wesens, wohl geeignet, auf empfängliche Seelen einen unheimlich erregenden Eindruck zu machen. Der Weg führte durch eine Doppelreihe schwerer kurzer Colonnen und erreichte so eine Treppe, deren Basaltschwellen in die Tiefe führten. Ein unterirdischer Gang that sich auf, gerade hoch genug, daß ein stattlicher Mann aufrecht unter dem tropfsteinartig verkrusteten Gewölbe hinwegschreiten konnte. Schauerlich zog der Qualm der Fackel an der Decke entlang. Es herrschte hier eine dumpfe, athembenehmende Luft. Rechts und links in schwärzlich ausgemalten Vertiefungen lag eine unermeßliche Reihe von Todtenschädeln. Nach einer Weile begann der Stollen nach der Seite hin abzulenken; ein zweiter Gang that sich auf, und als Verästelung von diesem ein dritter und vierter. Schließlich hatten die jungen Männer jede Richtung verloren. Lucius Rutilius meinte, sie müßten längst auf der Jenseite des Hügels angelangt sein; Cajus Bononius dagegen war geneigt, die Ausgangstreppe, die sie jetzt in ein weites, spärlich erhelltes Gemach führte, nicht allzu weit von jener Eingangstreppe am Ende des Säulengangs zu vermuthen.
Der Raum, den sie jetzt betraten, war ein Meisterstück in Beziehung auf wirkungsvolle Verwendung architektonischer, plastischer und decorativer Mittel. Als der Aethiopier mit seiner lodernden Fackel sich wieder entfernt und die eiserne Fallthür auf die Mündung der Treppe gelegt hatte, wähnten sich die beiden Jünglinge zunächst in völliger Dunkelheit. Im Hintergrunde auf mannshohem Candelaber brannte allerdings ein blaßblaues Flämmchen; aber die Strahlen, die es rings in dem mächtigen Raume warf, reichten nicht aus, um den vom Fackellicht geblendeten Augen mehr zu zeigen, als die dämmernden Umrisse großer, wuchtiger Massen.
- ↑ Staatlich besoldete Priester, welche die Zukunft voraussagten.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_246.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2023)