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Seite:Die Gartenlaube (1883) 238.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Gregor Vilmut hatte Wort gehalten und den Kampf entfesselt gegen den „Hochmüthigen“, der es wagte, seiner Macht zu trotzen, aber es war ein ungleicher Kampf. Paul hatte Recht, der Freiherr war völlig wehrlos, denn all die Angriffe trafen ihn nur aus dem Hinterhalt. Niemand trat ihm offen entgegen, aber ganz Werdenfels stand in einer einzigen Verschwörung gegen ihn. Die Allmacht des Priesters zeigte sich hier in einer wahrhaft erschreckenden Weise, er hatte den Gutsherrn förmlich in den Bann gethan und der Gemeinde hatte das Wort ihres Hirten von jeher für ein Gotteswort gegolten. Der Haß aus früheren Zeiten, der einst nur noch wie eine alte dunkle Sage umging, loderte jetzt von Neuem in furchtbarer Wirklichkeit empor und trug seine bitteren Früchte.

Wohl stutzte man, als der Freiherr es versuchte, im Großen wie im Kleinen der Wohlthäter der Umgegend zu werden, als er überall, wo es Noth und Elend zu lindern gab, die helfende Hand hinreichte, aber trotz alledem wurde diese Hand zurückgestoßen, und die Wenigen, die sie in ihrer Noth vielleicht ergriffen hätten, wagten das nicht. Nur einmal drohten die Bauern den unbedingten Gehorsam zu versagen, als es sich um die Schutzmaßregeln zur Sicherung des Dorfes gegen den Strom handelte. Man hatte das so lange schon für nothwendig erkannt und es immer wieder hinausgeschoben, weil die Mittel zur Ausführung fehlten, und jetzt wurde das so lang Ersehnte als ein Geschenk angeboten.

Jetzt zum ersten Mal erhoben sich Stimmen, welche meinten, es sei gleich, von welcher Hand die Hülfe käme, wenn sie nur überhaupt geboten würde. Zum ersten Mal gab es heftige Debatten in der Gemeinde, die sich sonst blindlings den Beschlüssen ihres Pfarrers unterwarf, aber auch hier siegte Vilmut. Er überzeugte die Zweifelnden, daß man das „Gnadengeschenk“ nicht brauche, daß die Negierung eintreten werde und müsse, und die Energie, mit der er die Sache sofort in Angriff nahm und die nöthigen Schritte that, überzeugte die Bauern, daß ihr Pfarrer auch hier, wie überall, das Richtige getroffen habe. Das Anerbieten wurde durch Beschluß der ganzen Gemeinde abgelehnt. –

Raimund war vor dem Bilde seines Vaters stehen geblieben, und seine Augen wurden dunkler und dunkler, während sie auf jenen Zügen hafteten. Ihm weckte ja das Wort „Vater“ keine einzige jener heiligen Regungen, die sich sonst an diesen Namen knüpfen, ihm rief es nur die Erinnerung zurück an eine einsame Jugend, in sclavisch strenger Zucht verlebt, ohne Freude und ohne Freiheit. Dann war jene Zeit der Entfremdung gekommen, wo der Sohn das väterliche Haus floh, als ruhe ein Fluch auf dessen Schwelle, wo selbst der Befehl des Vaters ihn immer nur auf wenige Tage zurückführte und es nie erreichte, ihn länger festzuhalten. Und dann zuletzt kam die Katastrophe, wo all die jahrelang genährte Bitterkeit endlich ausbrach, wo Raimund offen seine Wahl und seine Liebe bekannte und vertheidigte gegen den Vater, der in seinem aristokratischen Hochmuthe diese Wahl nicht anerkennen wollte. Der Bruch war erklärt, Raimund ging als ein Enterbter, Verstoßener, um als Herr von Werdenfels zurückzukehren, aber segensreich war diese Herrschaft nicht für ihn geworden!

Der verstorbene Freiherr mußte noch im vorgerückten Lebensalter ein stattlicher und schöner Mann gewesen sein, das zeigte sein Portrait, aber sympathisch war dies Antlitz nicht, wo sich in jedem Zuge Hochmuth und rücksichtslose Härte ausprägten. Die kalten grauen Augen blickten wie höhnend nieder auf den Sohn, den er selbst im Leben „Träumer“ gescholten, und doch war er allein es gewesen, der dem jungen Manne Lebensmuth und Lebensfreude genommen hatte.

Auch der Vater war viel gehaßt worden, auch gegen ihn hatten sich Kampf und Feindschaft erhoben, aber er machte sich kein Gewissen daraus, die Menschen niederzutreten, die ihm im Wege standen, und er hatte dies sein ganzes Leben lang so nachdrücklich gethan, daß sich zuletzt keine Hand mehr gegen ihn regte. Das leise hohnvolle Lächeln, das um die schmalen Lippen spielte, schien zu sagen: Ich habe es verstanden, mit den Menschen fertig zu werden, und vor mir lagen sie im Staube! Du Thor, der Du um Liebe und Versöhnung wirbst – Dich werden sie zu Tode hetzen!

Raimund’s Lippen zuckten, als habe er wirklich jene Worte vernommen. Ja wohl, es war ein Erbtheil des Hasses und des Fluches, das der Vater ihm hinterlassen hatte, und sein ganzes Leben war nur ein einziges Ringen gegen dieses Erbe gewesen. Er hatte schon einmal müde und gebrochen den Kampf aufgegeben und den Fluch, der nicht zu lösen war, mit sich genommen in seine Einsamkeit. Jetzt hatte ihn eine Stimme, deren Macht er sich noch immer nicht entziehen konnte, wieder auf den Kampfplatz gerufen, und er war dem Rufe gefolgt. Zum zweiten Male begann das harte verzweifelte Ringen mit der Vergangenheit – die Sünde des Vaters wurde heimgesucht an seinem Kinde!




Im Pfarrhause war der Gemeindevorstand versammelt, der aus den angesehensten Bauern bestand. Sie hatten sich nach der Verhandlung mit dem Verwalter des Gutsherrn zu ihrem Pfarrer begeben, um ihm pflichtschuldigst mitzutheilen, daß der Protest überreicht sei. Es befand sich aber noch ein Fremder dort, der Ingenieur, den Freiherr von Werdenfels aus der Residenz hatte kommen lassen, um die nöthigen Messungen und Pläne aufzunehmen. Er hatte acht Tage lang im Schlosse gewohnt und soeben erst von dem Ausgange der Sache erfahren, die er sich nicht erklären konnte.

„Ich komme, Hochwürden,“ begann er, „um mir von Ihnen die Bestätigung oder vielmehr die Widerlegung einer Nachricht zu holen, die mir ebenso unglaublich als unerhört erscheint. Der junge Baron Werdenfels hat mir im Namen des Freiherrn mitgetheilt, daß meine Thätigkeit zu Ende sei und daß die sämmtlichen schon begonnenen Vorarbeiten eingestellt werden müßten, da die Gemeinde die projectirten Dammbauten nicht ausführen lassen wolle. Es kann sich hier doch nur um ein Mißverständniß handeln oder höchstens um einen Aufschub. Ich bitte um Aufklärung darüber.“

Die Worte klangen ziemlich erregt, desto ruhiger war die Antwort Vilmut’s.

„Ich bedaure, Ihnen die Sache bestätigen zu müssen. Die Gemeinde hat einstimmig und nach reiflicher Erwägung das Anerbieten des Freiherrn zurückgewiesen. Sie hat schwerwiegende Gründe dafür.“

„Gründe, welche sie veranlassen, die Sicherheit des Dorfes preiszugeben?“

„Das Dorf wird nicht preisgegeben; die Hülfe ist uns bereits von anderer Seite zugesagt. Die Regierung wird und muß eintreten, und die Verhandlungen, die schon seit längerer Zeit darüber geführt werden, sind ihrem Abschlusse nahe.“

Der Ingenieur zuckte die Achseln.

„Ich rathe Ihnen, diesen Versprechungen nicht allzusehr zu vertrauen. Ich kenne den Gang derartiger Verhandlungen mit den Behörden. Sie werden endlose Schwierigkeiten zu überwinden haben, im günstigsten Falle erfolgt die Entscheidung erst nach Jahr und Tag, und daß der Gemeinde ein bedeutender Zuschuß aus eigenen Mitteln auferlegt wird, ist selbstverständlich.“

„Die Gemeinde ist bereit diesen Zuschuß zu leisten,“ erklärte Vilmut, sich zu den Bauern wendend, die ohne Zögern beistimmten. „Ich habe selbst die Schrift über diese Angelegenheit ausgearbeitet und werde persönlich nach der Residenz reisen, um sie an betreffender Stelle zu überreichen. Es handelt sich hier nur um eine Beschleunigung der Sache, denn im Princip ist unser Recht auf die Hülfe des Staates längst anerkannt.“

„So will ich wünschen, daß Sie keine unliebsamen Erfahrungen machen,“ sagte der Ingenieur mit einiger Schärfe. „Wenn man dort oben erfährt, daß das fürstliche Geschenk, welches Freiherr von Werdenfels seinem Dorfe machen wollte, bedingungslos machen wollte, so ohne Weiteres zurückgewiesen worden ist, steht die Gewährung von jener Seite noch sehr in Frage. Verzeihen Sie, Hochwürden, wenn ich Ihnen ganz offen sage, daß ich das nur gerechtfertigt finden würde.“

„Sie kennen die Verhältnisse in Werdenfels nicht,“ versetzte Vilmut unbewegt, „und können deshalb auch kein Urtheil darüber haben. Ich erkläre Ihnen, daß nach der Art, wie sich hier der Gutsherr und die Gemeinde einander gegenüberstehen, eine Annahme jenes Vorschlags nicht möglich war. Das ist eine Privatsache, welche für die Behörden durchaus nicht maßgebend sein kann. Uebrigens habe ich bestimmte Nachricht erhalten, daß eine für uns günstige Entscheidung noch im Laufe dieses Jahres zu erwarten steht.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_238.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2023)