Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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No. 15. | 1883. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Gebannt und erlöst.
Der Freiherr war an das Fenster getreten und preßte die Stirn gegen die Scheiben. Einige Minuten lang beobachtete ihn Paul schweigend, dann trat er zu ihm und sagte bittend:
„Raimund, laß uns nach Felseneck zurückkehren!“
Der Freiherr wandte sich um.
„Nein! Weshalb?“
„Weil Du Dich aufreibst in dem täglichen Kampfe mit all dieser Bosheit und Niederträchtigkeit, mit diesem hochwürdigen Herrn Pfarrer, der Alles gegen Dich hetzt. Er macht ja gar kein Hehl daraus, daß er die Feindseligkeit gegen Dich förmlich organisirt. Deine Wohlthaten werden mit Hohn und Spott zurückgewiesen, Deine besten Absichten werden durchkreuzt, und wenn man zufällig erfährt, daß Dir irgend etwas lieb ist, so wird es heimtückisch vernichtet. Du bist ja ganz wehrlos diesen Menschen gegenüber, die Dich immer nur aus dem Hinterhalte treffen. Ich wäre längst auf und davon gegangen, und Du, der sich jahrelang vor jeder Berührung mit den Menschen gewahrt hat, Du hältst jetzt Tag für Tag ihren schlimmsten Angriffen Stand.“
„Weil ich mir das Wort gegeben habe, diesmal Stand zu halten. Ich war mir vollkommen klar darüber, was ein Kampf mit Gregor Vilmut bedeutet.“
„O, hätte ich diesen Pfarrer nur einmal unter Händen!“ rief Paul wüthend. „Ich wollte ihn fragen, wie unsere schöne Ceder gefallen ist.“
Raimund schüttelte den Kopf.
„Nein, Paul, mit dem Verdachte thust Du ihm Unrecht, das ist ohne sein Wissen geschehen. Vilmut ist ein unbarmherziger, aber offener Gegner, diese kleinliche und heimtückische Rache liegt nicht in seiner Natur.“
„Das bezweifle ich sehr! Nennst Du es vielleicht auch Offenheit, daß er all den albernen Märchen über Dich Thür und Thor öffnet? Die Leute glauben ihm blindlings, ein Wort aus seinem Munde genügt, um den lächerlichen Aberglauben niederzuschlagen, der sich an Deine Person knüpft, aber er spricht dies Wort nicht und läßt es ruhig geschehen, daß die Leute Dich für den leibhaftigen Gottseibeiuns halten. Dies Volk ist ja so dumm, so grenzenlos beschränkt, daß man sich schämen muß, in unserer Zeit dergleichen noch zu erleben.“
Das Gesicht des jungen Mannes glühte in leidenschaftlicher Erregung, und es war ihm Ernst mit seiner Entrüstung. Jene Kälte und Fremdheit, welche einst zwischen ihm und seinem Onkel herrschte, War längst gefallen, er hielt wacker zu Raimund in dem aufgedrungenen Kampfe und nahm bei jeder Gelegenheit offen und rücksichtslos seine Partei. Auch Werdenfels fühlte es, welche Stütze er in dem jungen Verwandten besaß, den er anfangs in halb verächtlicher Art als einen liebenswürdigen, aber leichtsinnigen Taugenichts behandelt hatte. Im Kreise seiner italienischen Freunde war Paul das allerdings gewesen, weil er eben nichts Besseres anzufangen wußte, inmitten dieser ernsten und drohenden Verhältnisse aber kam seine ursprünglich tüchtige Natur immer siegreicher zum Vorschein. In erster Linie war es freilich seine Liebe zu Anna von Hertenstein, die ihm diesen Ernst und diesen Halt gegeben hatte. Der Einfluß einer wahren und ideellen Neigung zeigte sich selbst hier, wo diese Neigung hoffnungslos war, sie hob und adelte das ganze Wesen des jungen Mannes.
„Laß Dich zu keiner Unbesonnenheit fortreißen,“ warnte der Freiherr. „Hier gilt es nicht kämpfen, sondern ausharren, und das ist eine schwere Aufgabe für einen jungen Heißsporn, wie Du es bist. Ich habe Dich schon einige Mal gebeten, nach Buchdorf zu gehen, Du erträgst die hiesigen Verhältnisse schwerer als ich.“
„Und Du weißt, daß ich Dich jetzt um keinen Preis allein lasse,“ erklärte Paul. „Du wirst mich doch nicht fortschicken wollen.“
„Nein,“ entgegnete Raimund mit einem matten Lächeln. „Wenn Du willst, so bleibe, aber es wäre mir lieber, wenn ich Dich in Buchdorf wüßte.“
Paul schien die letzten Worte nicht gehört zu haben.
„Du willst heute ausreiten?“ fragte er. „Ich hörte, daß Du Befehl gegeben hast, den Emir zu satteln. Ich darf Dich doch begleiten?“
„Wozu das? Deine Besorgniß ist ganz unnöthig. Bis zu Thätlichkeiten versteigt man sich denn doch nicht gegen mich.“
„Wer weiß! Diese Menschen sind zu allem fähig. Laß mich mit Dir reiten, ich werde pünktlich zur festgesetzten Stunde bei Dir sein.“
Werdenfels erhob keine weitere Einwendung, und der junge Mann verließ das Zimmer. Raimund blieb allein, und jetzt wo er sich ohne Zeugen wußte, fiel die Maske ruhiger Gelassenheit, die er so lange getragen. Es kam kein Wort über seine Lippen, während er mit stürmischen Schritten das Zimmer durchmaß, aber die fest zusammengepreßten Lippen, der schwere, kurze Athem zeigte, wie er litt unter diesen Angriffen, die er nun seit Monaten Tag für Tag ertrug.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_237.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2023)