Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1883) 232.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

von dem Licht des ersterbenden Tages noch gerade so viel hindurch ließen, daß man den buchsumfriedigten Kiesweg erkennen konnte, luden zur beschaulichen und vertraulichen Wanderung ein. Der Wächter an der Rückwand des Hauses bürgte dafür, daß kein Unberufener den Jünglingen nachschlich.

„Erfahre also,“ begann Lucius Rutilius, „daß Hero noch zu Ende des vorigen Monats fest entschlossen war, ihr Leben an das meine zu knüpfen. In Tibur hatte ich sie kennen gelernt, wo ihr Vater die Villa des Junius Gellius – Du weißt, sie stößt dicht an die meine – nach dem Tode ihres ersten Besitzers käuflich erstanden hatte. Im Parke lustwandelnd, gewahrte ich die bezaubernde Mädchengestalt jenseits der Mauer, die den Garten des Gellius von dem meinigen scheidet. Hero stand im Schatten eines Lorbeergesträuchs, das blonde Haar nur mit einer blühenden Rose geschmückt, und streute einer flatternden Wolke von Sperlingen mit ihrem zierlichen Händchen Brosamen oder Körner, die sie im Schooße ihres hochgeschürzten Gewandes trug. Von dem Sockel einer Herbstgöttin gedeckt, konnte ich sie ruhig beobachten, ohne daß sie meine Nähe vermuthete.

„Ach, theurer Cajus, vergeblich würde ich zu schildern versuchen, was sich in dieser Viertelstunde an zierlicher Anmuth, kindlicher Unschuld und bezauberndem Liebreiz vor mir entwickelte! Wie sie mit ihren Schützlingen plauderte, die Dreisten abwehrte und den Schüchternen zusprach, wie sie scherzte und lachte, wie ihr die lose Tunica von der schneeigen Schulter fiel – es war zum Entzücken! Kurz, diese Viertelstunde hatte über mein Schicksal entschieden. Zum ersten Mal in meinem sechsundzwanzigjährigen Leben hatte ich beim Anblick eines Mädchenbildes, das mich bezauberte, zugleich die Empfindung einer heiligen Scheu, einer Art von Ehrfurcht, die mir jeden leichtfertigen Gedanken wie einen Frevel erscheinen ließ. In meinen glühenden Träumen, die sich sofort mit begehrlicher Sehnsucht um diese liebenswerthe Erscheinung rankten, sah ich sie nur als die waltende Gebieterin meines Hauses, als die Beherrscherin meines Lebens …“

„Es scheint in der That ernst zu sein,“ murmelte Cajus Bononius. „Täuscht mich der Nachtwind, der in den Zweigen rauscht, oder was ist es sonst, was Deine Stimme so beben macht?“

„Zweifle nicht!“ versetzte Rutilius. „Was ich für Hero empfinde, ist heilig genug, um mein Herz mit jenen Gefühlen zu sättigen, die den Andächtigen bei der Nähe der Gottheit ergreifen. Höre nun weiter! Völlig von dem einen Gedanken erfüllt, trat ich in’s Haus zurück und plante in brütender Einsamkeit, wie mir’s gelingen möchte, an’s ersehnte Ziel zu gelangen. Sonst – Du weißt es – war ich im Verkehr mit schönen Frauen und Mädchen keiner von den Beklommenen; hier aber schien mich die oft bewährte Kunst der schlauen Anschläge gänzlich im Stich zu lassen. Nach zwanzig thöricht-abgeschmackten Entwürfen beschloß ich, mich beim nächsten Gastmahle ihres Vaters – sein Name ist Heliodorus – durch Agathon, der gleichfalls in Tibur weilte, als ungebetenen Gast mitnehmen zu lassen. Zum Vorwand sollte mir der geheuchelte Wunsch dienen, mit Heliodorus wegen der Abtretung eines kleinen Gehölzes zu sprechen. Agathon warf mir einen seltsamen Blick zu, da ich ihm mein Verlangen bekundete. Es mag ja sein, daß diese Art der Einführung nicht die beste war; aber ich hielt sie dafür, denn – auch Du wirst dies dereinst noch erfahren, trotz all der forschenden Weisheit, die jetzt Deine Seele erfüllt –: die Liebe macht auch den Erfahrensten ungeschickt.“

„Ich glaube im Gegentheil,“ versetzte Bononius, „daß große Leidenschaften uns erfindungsreich machen.“

„Streiten wir nicht. Erfindungsreich vielleicht in dem, was entscheidend ist; thöricht aber in allem Uebrigen. – Agathon also sagte mir’s zu, und am dritten Tage schon bot sich mir die Gelegenheit. Heliodorus empfing mich wie ein vollendeter Weltmann. Er begrüßte mich als den Nachbarn, dessen Bekanntschaft zu machen er seit lange gewünscht habe. Was das Gehölz betreffe, von dem ich stammelnd einige Worte hervorbrachte, so werde er die Sache erwägen und, wenn er mich ernstlich damit verpflichte, gern bereit sein, mir ein Opfer zu bringen.

„Das Gastmahl verlief allerdings, ohne daß ich den Gegenstand meiner glühenden Sehnsucht auch nur ein einziges Mal zu Gesicht bekam; aber ich konnte dennoch zufrieden sein. Die Trennungsmauer zwischen unseren beiden Besitzthümern war von dieser Stunde an wie geschleift: es begann ein Verkehr, der sich schon nach kurzer Frist zu einem freundschaftlichen Verhältniß gestaltete, und jetzt natürlich war auch Hero, die sich dem Anblick der Gäste bei den geräuschvollen Zechgelagen entzog, für den Nachbarn, der gleichsam in der Tunica zu dem Vater herüberkam, zu jeder Tageszeit sichtbar.

„Laß mich verschweigen, wie nun Alles gekommen ist. Aus hundert Einzelheiten wob sich mir nach und nach die Gewißheit zusammen, daß die Tochter des würdigen Sicilianers mir hold sei, und eines Abends im Park, an derselben Stelle unter dem Lorbeergesträuch, wo ich sie zum ersten Mal erblickt hatte, küßte ich ihr das Wort der Gewährung von den jungfräulich erbebenden Lippen.

„Das waren selige Tage, Bononius! Noch hielten wir das Glück unserer Liebe geheim; nicht als ob wir Ursache gehabt hätten, an der Einwilligung ihres Vaters zu zweifeln; aber es lag ein unbeschreiblicher Reiz in diesem Verschweigen; ich möchte sagen: wir fürchteten unser Glück zu entweihen, wenn wir gar zu frühzeitig den Schleier hinwegzögen. Dem trefflichen Heliodorus freilich waren unsere Beziehungen durchaus nicht entgangen. Mehr als einmal begegnete ich, wenn ich an Hero’s Seite durch die Colonnaden des Peristyls wandelte, seinem vertraulich-sympathischen Lächeln, das mir zu sagen schien: ‚Freund, ich durchschaue Dich; aber ich zürne nicht ob Deiner heimlichen Werbung.‘

„Da, eines Abends – wir hatten des Tags zuvor den Beschluß gefaßt, am folgenden Freitag, am Ersten des Monats October, als dem Geburtstag des Heliodorus, Hand in Hand vor ihn hinzutreten und ihm Alles zu offenbaren – empfing mich Hero mit einem Ausdrucke der Verstörtheit, der mich heftig erschreckte. Ihr Vater war in Geschäften nach Rom gereist und wurde erst spät zurück erwartet. Hero war den Tag über mit Lydia, einer jungen Verwandten, mit der sie gemeinsam erzogen worden, allein gewesen, hatte ihrer Vertrauten, der greisen Septimia, jeden Zutritt in ihre Gemächer verweigert, das Mahl verschmäht und erst um die Stunde, da ich zu kommen pflegte, sich angekleidet, um auf der steinernen Bank unter der Halle des Peristyls auf mich zu warten. Lydia – beiläufig ein allerliebstes Geschöpf, das nur ein wenig zu sehr an unsere buntgeschminken Modedamen erinnert, um neben Hero’s himmlischer Einfachheit aufzukommen – saß neben ihr, als ich die Colonnade betrat. Mein holdes, trauerndes Mädchen hielt ein dreieckiges Blatt in der Hand; Lydia dagegen preßte stirnrunzelnd mit der zierlichen Faust ein Pergament zusammen, das mit röthlichen Lettern bedeckt war. Nach langem Hin- und Herfragen erfuhr ich das Folgende:

„Kurz nach Sonnenaufgang waren die Beiden wie allmorgendlich durch den Park gewandelt. Da mit einem Male hatte ein altes Weib von erschreckender Häßlichkeit, ganz in Lumpen gehüllt, den ahnungslosen Mädchen die Straße verlegt, mit krächzender Stimme und dem Ausdruck eines Gorgonenhauptes dreimal ein prophetisches ‚Wehe!‘ gerufen, meiner zitternden Hero eine umschnürte Rolle vor die Füße geworfen und sich dann eilig entfernt.

„Wie im Bann dieser unheimlichen Erscheinung hatten die Mädchen die Rolle vom Boden genommen und von ihren Schnüren befreit. Der Inhalt bestand aus einem beschriebenen Pergament und einem dreieckigen leeren Papierstück. Das Pergament aber hatte etwa folgenden Inhalt:

„‚Olbasanus der Chaldäer, der Erforscher der Zukunft und der Warner der verblendeten Menschheit, schreibt dies an Hero, die Tochter des Heliodorus. Die Götter haben uns kund gethan, daß Du, in Liebe zu Lucius Rutilius entbrannt, die Absicht hegst, ihn zum Gatten zu nehmen. Olbasanus warnt Dich ob dieses Vorhabens, denn sein Auge hat in den Sternen gelesen, welch entsetzliches Unheil Dir und den Deinigen, insbesondere auch dem Lucius Rutilius selber droht, wenn Ihr Euer Vorhaben ausführt. Da Du meiner Warnung nicht glauben möchtest, sende ich Dir mit diesem Brief ein heiliges Blatt aus dem Buche des Gottes Amun. Trage das Blatt zum Herde, lege es auf die Steinplatten, doch so, daß die Flammen es nicht erreichen können; neige Dich dreimal mit gefalteten Händen und harre der göttlichen Offenbarung. Mit unsichtbarem Finger wird Amun selbst dies Blatt aus seinem Buche beschreiben und Dir kund thun, was Dir bevorsteht, wenn Du seinen heiligen Willen mißachtest.‘

„Das ungefähr war der Inhalt des Pergamentes, das Lydia krampfhaft zwischen den Fingern hielt.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_232.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2023)