Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Am 22. Mai 1813 war Wagner zu Leipzig geboren – dem Frühling des großen Jahres der nationalen Erhebung entstammt auch der Erheber der nationalen Kunst. Ein paar Monate nach der Geburt des Knaben rollte um seine Wiege der Kanonendonner der Völkerschlacht. Seine Mutter hat es dem heranwachsenden Jungen oft erzählt, wie Napoleon, ohne Hut auf dem Kopfe, auf seinem Pferde den Brühl hinunter und am „weißen und rothen Löwen“ vorbeisprengte, in welchem der kleine Richard lag. Sein Vater, der Polizei-Actuar Friedrich Wagner, fiel noch dem großen October zum Opfer – er starb am Lazarethtyphus, der ihn bei der Pflege der Kranken und Verwundeten ergriff.
Wie ein Vermächtniß, das in so schwerer Zeit doppelt heilig war, hatte der Sterbende Weib und Kind dem treuesten seiner Freunde, Ludwig Geyer, an’s Herz gelegt. Mit ihm, der bald Richard’s Stiefvater wurde, siedelte die Familie nach Dresden über.
Es muß ein prächtiger Mann gewesen sein, der Maler und Hofschauspieler Geyer.
„Wer ihn kannte,“ sagte nach seinem Tode Böttiger in der „Dresdener Abendzeitung“, „war stets zweifelhaft, ob er seiner vielfachen Kunstfertigkeit, oder seiner geistreichen Unterhaltung, oder seinem tiefen Gefühl, wo es Liebe und Pflichterwiderung galt, seinen Beifall zunächst schenken sollte.“
Wer aber in alten Briefen und Familienpapieren den Lebensäußerungen dieses Mannes nachgeht, dem blüht aus den vergilbten Blättern eine so frische lebenathmende Gestalt entgegen, daß er sie nimmermehr vergißt. Es ist köstlich zu sehen, wie er ein jedes Glied der Familie anders und ein jedes gerade ihm angemessen zu leiten sucht, wie er bald freundlich zuspricht, bald tröstet, bald seine Ermahnungen durch Humor verzuckert, bald mit prächtigen Knittelversen die Sorgen und Kleinlichkeiten des Lebens zum Tempel hinausjagt. Die bösen Geister, welche sich aus dem Zusammenstoß seines hochstrebenden Künstleridealismus mit den Sorgen um Fleisch und Brod und mit deren Verkörperung in der Hausfrau entwickeln mochten, bannt er in seinem Lustspiel vom „Bethlehemitischen Kindermord“ auf’s Papier. Denn auch als Lustspieldichter bethätigte sich Geyer und auch hier erfreute er sich der Anerkennung. Ludwig Tieck, damals Dresdener Dramaturg, hoffte viel von seinem Talent. Aber Geyer starb jung.
Und trotzdem sein Stiefsöhnchen kaum sieben Jahre beim Tode Geyer’s zählte, war doch er es, der den größten Einfluß auf Richard’s Jugend übte. Durch sein Wort, so lange er lebte, durch seine Denkart, seine Anschauungen, kurz, durch seinen in der Familie fortwirkenden Geist, nachdem er gestorben. Das empfanden auch Richard’s Verwandte wohl – es war ein Ausdruck solchen Gefühls, wenn sie den Knaben bis zu seiner Confirmation nur „Richard Geyer“ nannten. Auch die Schülerlisten der Kreuzschule, die er nun bald bezog, kennen ihn nur als solchen.
Es steht noch, das alte Haus am Dresdener Jüdenhof, in welchem der Knabe heranwuchs. Sein Mannesalter sollte sorgenvoller werden, als seine Kindheit, denn seine Mutter, der zudem klarer Menschenverstand und praktischer Lebensblick über manches hinweghalf, ward von den gröbsten Sorgen des Lebens nicht berührt. Vater Geyer’s Bilder waren nach seinem Tode im Werthe noch gestiegen, die ältesten Geschwister hatten schon gute Einnahmen, und eine königliche Pension scheint hinzugetreten zu sein; denn Geyer, der feingebildete, vielseitige und geistreiche Künstler war am sächsischen, wie – im Hinblick auf seinen Sohn ein eigenthümlicher Zufall – am baierischen Hofe sehr beliebt. Ein Theil der besten Dresdener Gesellschaft verkehrte im Hause seiner Wittwe.
Der kleine Richard aber fand seinen ersten Freund, seinen eigentlichen Spielcameraden in Cäcilie, seinem zwei Jahre jüngeren Stiefschwesterchen.
„Wenn Du Dich so wieder einmal an mich wendest,“ schrieb er an sie, als Beide lange erwachsen waren, „so fällt mir doch immer unwillkürlich unsere Jugendzeit ein, wo wir zwei doch eigentlich am meisten zu einander gehörten: keine Erinnerung aus jener Zeit kommt mir, ohne daß Du mit darin verflochten wärst.“
Ihr, der späteren Gattin des Verlagsbuchhändlers Avenarius, meiner Mutter, danke ich das meiste von dem, was ich erzähle. Alle anderen Geschwister Wagner’s ruhen gleich ihm.
Nun aber wollen wir nach dem Jungen ausschauen! Da kommt er, im kurzärmeligen Kittel – ein schmächtiger, blasser, kleiner Kerl. aber wild, daß er „alle Tage einen Hosenboden auf dem Zaune läßt“, wie Papa Geyer klagt. Mit seinen Schulcameraden, den guten Dresdener Philisterjungen, kommt er schlecht zurecht, mit der dunkelhaarigen kleinen „Cile“ um so besser, denn alle seine Streiche macht sie mit, all seine Dummheiten hält sie für Gott weiß wie gescheidt. Tags tollen sie zusammen herum, Nachts schlafen sie in derselben Kammer – wenn sie sich nämlich schlafen lassen; denn unruhige Gesellen sind sie alle Beide, und von Richard’s Schreien, Weinen, Lachen und Gespenstersehen, während er im Bette lag, weiß meine Mutter genug zu berichten.
Ueberhaupt war seine Phantasie dasjenige, von dem er am meisten litt. Wenn er schon am hellen lichten Tage Geister sah und Stimmen hörte, so läßt sich’s begreifen, daß er vor der Dunkelheit einen mächtigen Respect hatte und absonderlich an der schmalen, düstern Treppe, die zur Wittwe Geyer hinaufführte, gar kein Gefallen fand.
Der Knabe ward größer, trieb sum und habeo, und, da er einen guten Kopf hatte, trotz weniger Schularbeiten und vieler Allotria bald auch Griechisch. Ja, das war eine Welt, die ihn packte – nichts als Homer hatte er im Kopf, nun er ihn einmal kennen gelernt! Saß er zu Haus, so übersetzte er daraus, ging er mit seiner Schwester spazieren, so erzählte er von nichts, als den Wundergeschichten der Odyssee, von groben, plumpen Cyklopen, von der niederträchtigen Zauberin Circe und vor allem von ihm, dem urgescheidten Odysseus, der doch mit all der Gesellschaft machte, was er wollte. Der erste selige Rausch, den damals der Knabe aus dem Becher griechischer Schönheit trank – er weht durch sein ganzes Leben als schöne Begeisterung weiter.
Und noch ein anderer Zug in Richard’s Charakter äußerte sich schon damals lebhaft: die innige, nein, leidenschaftliche Liebe zur Natur. Als der Knabe zum Mann geworden war und manchen bittern Trank gekostet hatte, schrieb er einmal an seine alte Mutter: „Fühl’ ich mich so bald gedrängt, bald gehalten, immer strebend, selten des vollen Gelingens mich freuend, oft zur Beute des Verdrusses über Mißlingen – fühl' ich mich fast immer empfindlich verletzt durch rohe Berührungen mit der Außenwelt, die ach! so selten, fast nie, dem innern Wunsche entspricht, so kann mich einzig der Genuß der Natur erfreuen. Wenn ich mich ihr oft weinend und mit bitterer Klage in die Arme werfe, hat sie mich immer getröstet und erhoben.“
In seltenem Maße entwickelt war schon früh seine Thierliebe. Er kannte alle Hunde weit und breit, hatte es mit seinem Schwesterchen ganz sicher ausspionirt, wenn es irgendwo einen überflüssigen Hundesäugling vom schnöden Ertränkungstode zu retten galt, und suchte einmal eine verkommende Kaninchenfamilie dadurch dem süßen Dasein zu bewahren, daß er sie vor ihren Verfolgern in seinem – Arbeitssecretär versteckte. Endlich setzte er von seiner Mutter die Erlaubniß durch, sich ein Hündchen zu halten. Das arme Thier fiel, als die Kinder einmal ausgegangen waren, zum Fenster hinaus und brach den Hals. Es wurde lange, lange beweint – soll doch Wagner später die Trauer um seinen Tod als den tiefsten Schmerz jener Jahre bezeichnet haben.
Es war auch dem Erwachsenen so gut wie unmöglich, recht froh zu sein, ohne daß „etwas um ihn herumbellte“. Mitunter kam er dabei in Verlegenheit – köstlich und meines Wissens noch nie erzählt ist jene Geschichte, bei der sein großer schwarzer Hund, „Rüpel“ geheißen, die Hauptrolle spielt. Es war in Magdeburg zur Zeit, als Wagner dort Musikdirector war. Wie ein Wahrzeichen folgte ihm, der damals in blauem Frack und weißen Hosen gerade auf Freiersfüßen ging, auf allen Wegen und Stegen der ehrliche „Rüpel“ nach. Ueberall hin, nur in’s Theater nicht. Einmal aber doch. Wagner, der die Zwischenactsmusik dirigirt hat, sitzt, während er im Orchester nicht nöthig ist, in der Theaterkneipe bei einem Glase Bier. Auf der Bühne scheidet gerade ein Uebelthäter von einem moralischen Manne, den er zurückläßt. Da erscheint auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, kein Geringerer, als Rüpel, der seinen Herrn sucht. Verzweifeltes Locken und Rufen hinter den Coulissen hervor – „Rrrr!“ als einzige Antwort. Der Schauspieler stockt – soll er fortfahren? Ihm scheint’s am geratensten, den Eindringling stolz zu ignoriren. Er weist auf die Stelle, an welcher der Bösewicht, mit dem er im Stücke gesprochen, soeben hinausgegangen ist – leider steht Rüpel nicht entfernt von ihr. „Der ist gerad’ ein so leichtfertiger Geselle, wie sein Herr!“ Da bricht das Publicum in stürmischen Jubel los. Endlich erscheint, zu Hülfe gerufen, der Capellmeister selbst hinter den Coulissen, er ruft den Köter – der erkennt ihn, sein Knurren
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