Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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„Ja, er mischt sich in alles!“ rief Lily, die sehr naseweis sein konnte, sobald eine geschlossene Thür zwischen ihr und dem Vetter Gregor lag. „Seit Anna Wittwe geworden ist, bevormundet er sie bei jeder Gelegenheit, ganz wie in früheren Zeiten.“
Das Fräulein lächelte ein wenig.
„Ich glaube, Frau von Hertenstein läßt sich nur bis zu einem gewissen Punkte bevormunden. Es ist im Grunde nur natürlich, daß sie die Vertretung ihres Verwandten annimmt.“
„Der Justizrath ist ihr geschäftlicher Vertreter,“ beharrte das junge Mädchen, „wozu braucht sich da noch Vetter Gregor einzumischen? Der arme Onkel Justizrath mit seinen vier Körben! Er sah noch recht trübselig aus, als er gestern nach Rosenberg kam. Ich habe ihn nach Kräften getröstet.“
„Ja, Sie trieben wieder ein recht übermüthiges Spiel mit ihm,“ sagte Fräulein Hofer strafend. „Und es ist doch sehr anerkennenswerth, daß er wiederkam, um sich der gnädigen Frau in alter Freundschaft zur Verfügung zu stellen, trotz allem was geschehen war.“
„Trotz der Hochachtung Nummer vier!“ rief Lily mit übermüthigem Lachen. „Es muß eigentlich schrecklich sein, immer und ewig nur Hochachtung zu finden, wenn man eine Frau sucht. Sie haben aber gar kein Mitleid mit ihm, Fräulein Emma. Sie haben sich gestern wieder mit ihm gezankt.“
„Ja, das that ich,“ sagte Emma mit unverkennbarer Genugthuung, „oder vielmehr wir zankten uns Beide!“
Im Studirzimmer zog inzwischen der prophezeite Sturm heran. Auch Anna kannte das Gesicht Vilmut’s und sah, daß irgend etwas geschehen war. Kaum befand sie sich mit ihm allein, so fragte sie unruhig:
„Was ist vorgefallen, Gregor? Du bist auf das Tiefste verstimmt, ich sah es schon bei Deiner Rückkehr.“
Gregor schloß die Thür, dann trat er dicht vor die junge Frau hin und sagte plötzlich, ohne jede Einleitung:
„Ich habe eine Begegnung mit Werdenfels gehabt.“
In Anna’s Gesicht zeigte sich ein leichter Farbenwechsel, aber sie erwiderte mit anscheinender Ruhe:
„In der That? Ich hörte, er habe bisher sein Schloß noch nicht verlassen.“
„So that er es heute, und er war auf dem Wege zu mir.“
„Zu Dir?“
„Scheint Dir das unmöglich?“
„Wie ich den Freiherrn kenne, allerdings.“
„Und Du kennst ihn jedenfalls am besten! Du hast Recht, er kam nicht als Bereuender, aber ich erfuhr etwas ganz Seltsames bei dieser Gelegenheit. Du hast ihn kürzlich gesehen und gesprochen! Warum hast Du mir das verschwiegen?“
Die rücksichtslose Strenge dieser Frage rief das ganze Selbstgefühl der jungen Frau wach. Sie hob mit voller Entschiedenheit den Kopf.
„Weil ich kein Kind mehr bin, das von jedem Worte und jedem Schritte Rechenschaft abzulegen hat. Bedenke das, Gregor.“
Gregor schien wenig geneigt, seine herrische, rücksichtslose Art aufzugeben, aber er mochte wohl wissen, daß es hier eine Grenze für seine Macht gab, denn er milderte seinen Ton.
„Du verweigerst mir also die Auskunft?“
„Wenn Du sie wünschest – nein.“
„Nun also, wo und wie fand diese Begegnung statt?“
„Durch einen Zufall. Es war an jenem Tage, wo wir nach dem Mattenhofe fuhren. Du warst bei dem gestürzten Pferde zurückgeblieben und ich eilte nach der Försterei, um Dir Beistand zu senden. Auf dem Wege dorthin traf ich Rai– den Freiherrn von Werdenfels.“
„Und bei dieser Gelegenheit erfuhr er vermuthlich, daß Du Wittwe bist,“ sagte Vilmut hohnvoll. „Das erklärt allerdings sein plötzliches Wiederauftauchen.“
Die junge Frau schüttelte leise, aber entschieden den Kopf.
„Du irrst, ich bin es nicht, die er sucht. Aber wenn er es nur versuchen wollte, sich wieder den Menschen zu nähern, die ihn ausgestoßen haben! Gregor, Du bist allmächtig in Deiner Gemeinde und in der ganzen Umgegend, ein Wort von Dir giebt das Signal zum Kampfe oder zum Frieden. Wirst Du dem Zurückkehrenden wieder so unversöhnlich entgegentreten wie damals, wird sich auf Dein Geheiß wieder Alles gegen ihn wenden? Du bist ein Priester, Dein Amt schon fordert Versöhnung und Verzeihung, sei nicht unbarmherzig!“
Ihre Stimme bebte im leidenschaftlichen Flehen, aber gerade dies Flehen schien den starren Mann noch mehr in seiner Härte zu bestärken.
„Willst Du mich meine Priesterpflicht kennen lehren?“ fragte er kalt. „Ich fordere Unterwerfung des Schuldigen unter mein Urtheil, volle, ganze Unterwerfung, dann mag von Versöhnung die Rede sein, eher nicht!“
„Du hassest ihn!“ sagte Anna leise.
„Nein, ich richte ihn! Und wenn er diesen Richterspruch nicht anerkennen will – um so schlimmer für ihn.“
Die junge Frau mochte wohl einsehen, daß jeder Versuch der Milderung vergebens sein würde. Sie wandte sich ab und ließ sich auf den Stuhl nieder, der vor dem Schreibtische stand. Nach einem minutenlangen Schweigen trat Vilmut zu ihr und seine Haud legte sich schwer auf ihren Arm.
„Und Du, Anna?“ fragte er langsam. „Hast Du endlich diese unselige Neigung überwunden, oder muß ich Dir von Neuem die Vergangenheit in das Gedächtniß zurückrufen? Muß ich Dich an den Tag erinnern, wo –“
„Nein, nein, schweig davon!“ unterbrach sie ihn mit angstvoller Abwehr. „Du weißt es ja, was mich und Werdenfels trennte, das besteht noch in voller Kraft.“
„Ja, es besteht!“ bekräftigte Gregor. „Und wehe ihm, wenn er versuchen sollte, daran zu rühren! Ich werde Dich vor ihm zu schützen wissen.“
Um Anna’s Lippen zuckte ein halb bitteres, halb schmerzliches Lächeln.
„O gewiß! Das hast Du schon einmal gethan, und Du hattest ja auch Recht, aber ich hege seitdem doch ein Grauen vor Deinem Schutze.“
„Und doch hat er allein Dich damals gerettet. Dieser Werdenfels hätte gesiegt trotz Allem, was geschehen war, ohne mein Dazwischentreten. Du bist ja nur ein Weib und Du liebtest ihn.“
„Und Du, Gregor, bist ein harter Richter, wo es sich um die Liebe handelt, die Du nie gekannt und erfahren hast.“
Gregor kreuzte die Arme, und in seinem Antlitze erschien wieder jener Ausdruck stolzer, kalter Genugthuung, als er fragte:
„Weißt Du das so genau?“
„Ja. Du brachtest sicher kein Opfer, als Du Dein ganzes Leben und Sein dem Priestergelübde zu eigen gabst. In Deinem Herzen hat die Liebe keinen Raum.“
„Nein, sie hat ihn nicht gefunden, aber sie nahte auch mir einst als Versuchung, und bei dem geweihten Priester war diese Leidenschaft für ein Weib ein Verbrechen. Auch mir ist der Kampf nicht erspart geblieben, den Jeder im Leben einmal durchkämpft, aber ich habe ihn bestanden.“
„Du hast geliebt, Gregor?“ rief Anna, indem sie sich in höchster Ueberraschung erhob. „Das hätte ich nie für möglich gehalten, aber ich möchte die Frau kennen, die Dir eine Empfindung abzwang.“
Das Auge des Priesters ruhte eisig auf dem schönen Antlitze und den goldschimmernden Haaren, es war auch nicht die leiseste Regung in diesem Blicke.
„Du kennst sie!“ erwiderte er. „Glaubst Du denn, ich hätte Dich jemals hinaus gelassen aus dem sicheren Schutze meines Hauses, wenn die Trennung nicht nothwendig gewesen wäre?“
Die junge Frau erblaßte. „Die Trennung von mir? Das kann nicht Dein Ernst sein!“
„Weshalb nicht?“ fragte Vilmut mit derselben eisigen Gelassenheit. „Du warst in meiner Hut aufgewachsen und jahrelang glaubte ich Dir nur Lehrer und Beschützer zu sein, bis ich eines Tages entdeckte, daß ich am Abgrunde stand, und den Schwindel fühlte, der mich hinabzog. Ich bin Sieger geblieben, weil ich nicht unterliegen wollte, weil ich den Muth hatte, das Messer an die Wunde zu setzen, ohne der Schmerzen zu achten. Ich brachte Dich zu Fräulein von Hertenstein, deren Reise Dich monatelang entfernte, und das gab Deinem Schicksale eine neue Wendung. Ich weiß, Du hast es mir niemals verziehen, daß ich damals, als jene Katastrophe hereinbrach, Deine Verzweiflung, Deine halbe Betäubung benutzte, um Dich zu der Verbindung mit dem Präsidenten zu bestimmen. Ja, diese Heirath war mein Werk, aber mein eigenes Herz war es, das dabei zermalmt und
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_218.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2023)