Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Hauswirthschaftliches.
Die übergelehrte Kochkunstliteratur ist in unsern Tagen so gewaltig angewachsen, daß wir fürchten müssen, die Leserinnen werden diesen Artikel, der über ein Kochbuch berichtet, sehr ungnädig aufnehmen. Sie wissen schon zur Genüge, daß einige Herren Volkswirthe, Chemiker und Aerzte unserer Zeit wahre Topfguckernaturen sind und ihren gelehrten Kram in breitspuriger Weise in das ausschließliche Gebiet der Hausfrau, in die Küche, hineinzutragen wagen und in dieser Hinsicht von unberufenen Laien leider noch übertroffen werden. Sie kennen schon diese Kochbücher, in welchen auf mehreren Hunderten von Seiten die chemische Zusammensetzung der Speisen, ihre Umwandlungen im menschlichen Körper und viel Anderes ausführlich behandelt wird, und wo am Schluß, gewissermaßen als Nachtrag, einige praktische Winke zu finden sind. Sie kennen auch jene Receptsammlungen, die gar verlockend klingen, aber selten ausgeführt werden können, weil der biederen Hausfrau, für welche das Buch bestimmt ist, das nöthige Geld nicht zur Verfügung steht.
Auch wir kennen diese sonderbare „Volksliteratur“, welche durch die Druckerschwärze dem Volke die Genüsse der fürstlichen Tafel zu vermitteln bestrebt ist, und auch jene merkwürdige wissenschaftliche Kocherei, die mit chemischen Formeln und naturwissenschaftlichen Offenbarungen sich dort breit macht, wo nur kurze praktische Winke und Nachschläge einzig und allein helfen. Ja, wir haben die Bücher dieser Art gelesen und werden uns wohl hüten, die praktische Leserin der „Gartenlaube“ mit einer Empfehlung derselben zu behelligen.
Aber wir wissen auch, daß die Zubereitung der Speisen eine überaus wichtige Sache ist, und wir brauchen wohl nicht besonders hervorzuheben, daß sie in den breitesten Schichten des Volkes in einer höchst unzureichenden Weise betrieben wird. Von den Wohlhabenden sprechen wir hier nicht. Diese haben ihre Kochschulen und ihre guten Mütter, welche die Töchter für die Küchenpoesie zu begeistern wissen, und sie haben auch das Geld, welches ihnen leicht macht, gute und nahrhafte Speisen zu bereiten.
Wir haben vielmehr jene breiten Volksschichten, jene Tausende von Familien im Sinne, welche von einem täglichen Einkommen von 11/2 bis 2 Mark leben müssen und deren Hausfrauen auch besorgt sind, den Ihrigen ein schmackhaftes Gericht vorzusetzen. Da sieht es traurig in den Küchen aus und noch trauriger in den Töpfen, denn die sorgsamste Hausmutter dieser Stände hat mit zwei unerbittlichen Feinden zu kämpfen, mit der Armuth und der eigenen Unwissenheit. Die armen Frauen tragen oft keine Schuld an der letzteren, unmittelbar nach ihrer Confirmation mußten sie ja auf Arbeit gehen, sie dienten als Aufwartung, vermietheten sich in einer Fabrik, und selten gab es Gelegenheit für sie, kochen zu lernen. Selbst wo es die Gelegenheit gab, lernten sie aber kochen für einen andern reicheren Hausstand, als denjenigen, dem sie als verheirathete Frauen vorzustehen haben. Von Kochbüchern für diese Familien war bis jetzt selten etwas zu hören. Mit Freuden ergriffen wir daher ein kleines Büchlein, welches uns vor wenigen Tagen zugeschickt wurde, denn es versprach schon seinem Aeußerm nach, das zu erfüllen, was wir eben vermißt haben. Es trägt den Titel „Zur Volksküche in der Familie. Ein Beitrag aus den dreißigjährigen Erfahrungen der Suppen-Anstalt zu Darmstadt“ und umfaßt nur 13 Seiten. Gleich auf der ersten Seite erfahren wir seine Entstehungsgeschichte, die für die Wichtigkeit des Büchleins so deutlich spricht, daß wir sie an dieser Stelle wiedergeben.
„Die segensreichen Wirkungen einer guten Volksküche sehen wir täglich in unserer Suppen-Anstalt,“ bemerkt der anonyme Verfasser. „In den ersten Tagen des Betriebs kommen viele Kinder, welche die Speisen holen, bleich und mager, und schon nach vier Wochen sind sie rothbackig, wohlgenährt und blicken uns aus glänzenden Augen freundlich an; außerdem bemerken die Lehrer der Volksschulen eine bedeutend erhöhte Lernkraft.
Wir hören aber in der Suppen-Anstalt auch so manches Lob der Speisen von den abholenden Frauen, so manches Bedauern, daß man sie nicht ebenso gut zu kochen wisse; ja wir wollen nicht verhehlen, daß wir vielfach entnehmen konnten, wie manche Männer das Wirthshaus meiden und zu Hause bleiben würden bei Frau und Kindern, wenn ihnen nahrhaftes, wohlschmeckendes Essen reinlich und mit freundlichen Mienen geboten würde. Aber die Suppen-Anstalt hat nur die Bestimmung, in schweren Zeiten den weniger bemittelten Einwohnern über die Wintermonate hinwegzuhelfen, damit sie im Frühjahr in die wiederkehrende Arbeit mit vollen Kräften eintreten können.
Zu diesem Zwecke verkauft der Verein der Suppen-Anstalt die Portion, deren Herstellung durchschnittlich nahezu 9 Pfennig kostet, zu 5 Pfennig, und ein Betrieb von wenigen Monaten erfordert bei einem täglichen Verkauf von 16,000 bis 18,000 Portionen eine Zubuße von ungefähr 3000 Mark. Auf längeren Betrieb ist also die Anstalt nicht eingerichtet, und wir halten es auch für gut und wünschenswerth, daß man, sobald der Nothstand vorüber ist, wieder an den eigenen Herd zurückkehrt.
Es liegt eben in diesem eigenen Herde, in dem Brodeln des eigenen Topfes, in der Sorge und Mühe der Hausfrau für die gute Zubereitung des Essens, in dem Anlernen der Tochter dazu, ein mächtiger Reiz, wir möchten ihn Zauber nennen, ein Band mehr, welches die Familie zusammen hält, und welches die Suppen-Anstalt trotz ihrer Bequemlichkeit und der Güte ihrer Speisen nicht ersetzen kann.
Wir wollen uns daher die wichtige Aufgabe stellen, zu prüfen, was sich von dem im Großen so vollkommen gelungenen Betriebe unserer Suppen-Anstalt in das Leben der Familie und auf den häuslichen Herd übertragen läßt.
Wir können in unserem Schriftchen Vieles weglassen, was die feinen Kochbücher lang und breit behandeln, werden aber dafür Einiges hervorheben, wovon in jenen Kochbüchern nichts zu lesen ist.“
Hierauf giebt das Büchlein praktische Rathschläge, von denen wir nur einen, der den Einkauf der Nahrungsmittel betrifft, ausführlich mittheilen.
„Es lautet seltsam, ist aber gewiß wahr, daß eine Hauptursache guter Erfolge bei dem Kochen darin liegt, daß die Victualien, welche gekocht werden sollen, baar bezahlt wurden, nicht etwa nur weil man sie dann ohne Sorgen wegen der Schuld essen kann und die Speise deshalb besser bekommt, sondern weil man gegen baares Geld nicht nur billiger kauft, sondern auch bessere Sachen erhält. Für den Schuldenmacher ist Alles gut genug, er wird dem Kaufmann beinahe leibeigen und darf nichts tadeln, während der Baarzahler die beste Waare erhält, weil der Kaufmann sonst fürchten muß, daß der überall willkommene Kunde ihm untreu wird. Und es ist ja so leicht, in kurzer Zeit so viel zu ersparen, daß das Geld für Baarzahlung der Bedürfnisse stets bereit liegt; das haben die Pfennigsparcassen bewiesen. Gerade so gut, ja viel leichter, weil sorgenlos, legt man täglich für den nächsten Tag, wöchentlich für die kommende Woche, und vierteljährlich für die größeren Bedürfnisse das Geld im Voraus zurück, als man den Lohn der Arbeit für längst verzehrtes Brod, für längst zerrissene Schuhe oder Kleider unter Angst und Sorgen erwirbt. Dabei gewöhnt man sich auf solche Weise ganz unmerklich an Ordnung und Genügsamkeit, man gewöhnt sich daran – zu rechnen.
Bei dem Borgen wird es natürlich nicht so genau genommen, aber zehnfach kommen die Sorgen nach, und während der Baarzahler – ein wahrhaft freier Mann, weil er sich selbst beherrschen kann – mit klarem Kopf und frohem Sinn an die Arbeit geht, schleicht der Borger scheu an den Läden der Bäcker, Krämer, Schuhmacher etc. vorbei, welchen er schuldig ist, denkt bei der Arbeit an den Gerichtsvollzieher, der jetzt vielleicht zu Hause pfändet, und sucht endlich die Sorgen zu betäuben mit Trinken, welches ihn rasch völligem Verderben überliefert.“
Diese Probe möge genügen, um auf den echt volksthümlichen Ton der kleinen Schrift, an dem Jeder seine Freude haben muß, hinzuweisen.
Doch wir wollen nicht das ganze Büchlein abdrucken, wir heben nur noch hervor, daß unter Anderem in demselben auch ein praktischer Herd empfohlen wird, welcher für die Bedürfnisse der Arbeiterfamilien wie geschaffen ist. Ein solcher Herd mit zwei Kochöffnungen und einem Wasserbehälter, auf dessen ganzer Platte es kocht, ist durch die Fabrik der Gebrüder Röder in Darmstadt zu beziehen und kostet ohne Ofenrohr, aber fertig zum Gebrauch aufgestellt, 40 Mark, ohne Wasserbehälter aber nur 17 Mark. Der Ofen ist 76 Centimeter lang und 50 Centimeter breit.
Der zweite Theil des Büchleins enthält Kochrecepte der Suppen-Anstalt zu Darmstadt, wobei die Speisen für den Bedarf einer Familie von fünf Personen berechnet sind. Wir finden in diesem zweiten Theile Recepte für sieben Mittagssuppen und drei Abendsuppen, für zehn Arten Gemüse und zwei Arten Klöße, also zusammen für zweiundzwanzig Gerichte.
Das ist allerdings ein kleines Verzeichniß von Speisen, es hat jedoch, wie der ungenannte Verfasser des Schriftchens sagt, einen großen Vorzug: die Speisen sind nicht von der feinen Art, welche den Appetit reizen soll, aber den Magen verdirbt, dafür sind sie geeignet, Gesundheit und
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_216_a.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2023)