verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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weshalb im neuen deutschen Reiche die Hansestädte laut Artikel 34 der Reichsverfassung außerhalb des Zollvereins bleiben dürften, sei er nicht fähig. Zweifellos dachten die meisten Deutschen ebenso, und oft genug mußte der im „Binnenlande“ reisende Hanseat die Beobachtung machen, daß seine Freihafenstellung daselbst ein durchaus unverstandenes Ding sei. Es würde uns jedoch zu weit führen, hier eine wenn auch nur kurze Erläuterung der Eigenthümlichkeiten des Hamburger Welthandels-Verkehrs, welche diese Ausnahmestellung bedingten, zu geben.
Daß Hamburg bis zum Jahre 1866 außerhalb des Zollvereins blieb, war schon deswegen selbstverständlich, weil seine nächste Nachbarschaft (Schleswig-Holstein, Lauenburg, die mecklenburgischen Großherzogthümer) ein Gleiches that. Nachdem aber die Schlacht bei Königgrätz geschlagen war, rückte die Zollgrenze eng an die Mauern Hamburgs heran, und die Frage, ob dasselbe auch ferner außerhalb des deutschen Wirthschaftsgebietes bleiben solle, gewann für ganz Deutschland erhöhtes Interesse.
Die Bitte der Hanseaten um Beibehaltung des bisherigen Zustandes fand Gewährung und der erwähnte Artikel 34 der Reichsverfassung (die Hansestädte bleiben außerhalb des Zollverbandes, bis sie selbst ihren Eintritt beantragen) bestätigte eine Ausnahmestellung, wie sie außerhalb Deutschlands nur noch Triest und Singapore aufzuweisen haben: es wurden „zollfreie Niederlagen“ ohne jegliche Zollkontrolle durch ganze Städte gebildet.
Seitdem gab es in Hamburg eine, wenn auch winzig kleine, Zollanschluß-Partei. Sie bildete sich vorwiegend aus zweierlei Bestandtheilen. Erstens aus denjenigen Fabrikanten und Gewerbetreibenden, die nicht für die überseeische Ausfuhr, sondern für die benachbarte deutsche Kundschaft arbeiteten, unter Concurrenz mit dem Zollinlande. Daß für dieselben die Zollgrenze rings um Hamburg schwer schädigend, in manchen Fällen selbst ruinös war, braucht nicht näher beleuchtet zu werden. Zweitens klagten die Händler mit deutschen Fabrikaten. Was sie nach Hamburg eingeführt hatten, ließ sich nur in der Stadt selbst oder im Auslande verwerthen, konnte aber in die nächste, die deutsche Nachbarschaft nicht zurück. Einigermaßen Abhülfe ward ihnen durch eine großartige „Zollvereins-Niederlage“ geschaffen, welche Einrichtung die „Gartenlaube“ 1871 in einem ausführlichen illustrirten Artikel besprochen hat. Aber auch diese Zollvereins-Niederlage war und blieb insofern nur ein Nothbehelf, als ihre Interessenten zwei Lager, zwei Comptoirs, doppeltes Geschäftspersonal halten mußten, einmal in der Freihafenstadt, das andere Mal in der Zollvereins-Niederlage. Jeder Sachkundige wird bestätigen, wie drückend derartiges selbst für größere Geschäfte ist; der kleinere Kaufmann könnte solche Last überhaupt kaum tragen.
Indessen jeder Versuch der Zollanschluß-Partei, in Hamburg selbst zur Geltung zu gelangen, ward im Keime erstickt. Sammelte sie mühsam zu einer Kundgebung 30 Unterschriften an der Börse, so antworteten die „Freihäfler“ mit einem Protest, der sich sofort mit 1500 Unterschriften bedeckte. Auch in den Kreisen der Gewerbetreibenden war das Verhältniß kein wesentlich günstigeres, der Handwerkerstand entschied sich mit seltenen Ausnahmen bei Bürgerschafts- und Reichstagswahlen stets mit sehr großer Mehrheit in demselben Sinne wie die Kaufmannschaft. Selbst die socialdemokratischen Wahlprogramme verfehlten nie, die gut-freihändlerische Gesinnung der Candidaten zu bekunden. Der sonst so ruhige Hamburger, der selbst bei den wichtigsten politischen Fragen kalt zu bleiben pflegte, erwärmte sich sofort, wenn die Anschlußfrage auf’s Tapet kam, und ging begeistert zur Urne, wenn es galt, einen „Anschlüßler“ zu bekämpfen.
Senat und Bürgerschaft, Handels- und Gewerbekammer hielten fest zur Freihafenpartei, und sie fanden in Deutschland ihre mächtige Stütze an der von Camphausen und Delbrück in der Reichsregierung vertretenen Wirthschaftspolitik. Da schrieb der Reichskanzler den inhaltsschweren Brief an den Freiherrn von Thüngen, die „Zollreform“ trat ein, die Hamburger Zollanschluß-Partei, wandte sich an den Reichskanzler, und mit seiner im April 1881 aufgestellten Forderung, daß Altona nebst der hamburgischen Vorstadt St. Pauli dem Zollverband anzuschließen sei, ward der „Zollkrieg“ eröffnet.
Es würde zu weit führen, auf den Verlauf desselben einzugehen; der Hinweis auf den oben skizzirten Friedensvertrag genüge. Letzterer ließ den während der Feindseligkeiten geäußerten Ausspruch Bismarck’s, „er werde die Hamburger durch die Coulanz seiner Bedingungen in Erstaunen setzen“, in der That zur Erfüllung gelangen.
Wir reden hier nicht von der Ansehnlichkeit des vom Reiche zu leistenden Kostenbeitrages, haben vielmehr im Auge, daß den berechtigten Eigenthümlichkeiten des hamburgischen Welthandels voll und ganz Rechnung getragen wird. Schwindet auch die Freihafenstellung, so bleibt doch der Freihafenbezirk, und er ist von überreichlich genügender Größe zur Erfüllung der Bedürfnisse des Welthandels und der hamburgischen Exportindustrie. Selbst eine allgemeine Revision der Zollregulative, speciell bezüglich ihrer Anwendung auf Hamburg, ward vereinbart. Eigene Zollverwaltung durch hamburgische Behörden und hamburgische Beamte ward zugestanden. Unter Berücksichtigung der hamburgischen örtlichen Verhältnisse (Ebbe, Fluth, Eisgang etc.) soll selbst im zollangeschlossenen Theile Hamburgs auf Erleichterung und Vereinfachung der Zollabfertigung Rücksicht genommen werden.
Die Elbe zwischen Hamburg und dem Meere ward zwar zollangeschlossen, indessen die für den Freihafen bestimmten oder denselben verlassenden Schiffe ziehen die schwarz-weiße Zollflagge oder Nachts die grün-weiße Zolllaterne auf und passiren ohne Aufenthalt durch Revision oder Controlle. Selbst die eifrigsten Vertheidiger der Freihafenstellung mußten zugeben, daß die Senatscommission weit mehr vom Reichskanzler erlangt hatte, als je erwartet worden war.
Eine naheliegende Frage möge hier beantwortet werden, diejenige, welchen Vortheil denn das deutsche Reich von der so kostspieligen Umwandlung habe?
Auf einen erhöhten Verbrauch deutscher Fabrikate in der künftig zollangeschlossenen Stadt ist nicht viel zu rechnen, derselbe beträgt jetzt schon, wie Delbrück im Reichstage betonte, siebenzig Procent des gesammten Consums, und von den verbleibenden dreißig Procent wird auch in Zukunft noch Manches dem Auslande zufallen. Auch daß die Freihafenstellung „ein Einfallsthor der englischen Industrie“ sei, wie es während des Zollkrieges hieß, ist falsch; ein solches müßte auch der Freihafenbezirk sein. Triftiger als diese Scheingründe ist die Erwägung, daß Hamburgs Handel in weit kräftigerer Weise für die Förderung des Absatzes deutscher Erzeugnisse nach dem Auslande wirken kann, wenn dieselben beim Lagern in der Hansestadt nicht mehr in die Grenzen einer Zollvereinsniederlage gebannt sind, wenn der deutschen Industrie der freie Verkehr, die unbehinderte Lagerung in der ersten Handelsstadt des europäischen Festlandes eröffnet wird.
Auf diesen Standpunkt stützte sich auch die öffentliche Meinung in Deutschland, welche der Reichskanzler vertrat; das gab selbst der Senat zu. So entstand der Friedensvertrag, ein Vergleich, welcher die gerechten Anforderungen beider Parteien erfüllte.
Dann gab es in Hamburg selbst noch einen heißen Kampf auszufechten, bei welchem zum Glück nicht Pulver und Blut, sondern nur Tinte und Druckerschwärze[WS 1] zu massenhaftem Verbrauch kamen. Es handelte sich um Abgrenzung des Freihafenbezirks, bei welchem die Reichsregierung dem eigenen Ermessen der Hamburger einen mäßigen Spielraum gelassen hatte.
Die zwei bis drei Procent des Gesammtraums, um welche es sich handelte, sind städtisch bebaut, liegen in den werthvollsten Stadttheilen, sind viele Millionen werth. Sollte man möglichst viel oder möglichst wenig abbrechen? Die Antwort wäre leicht gefunden, wenn sich das Raumbedürfniß der Kaufmannschaft hätte genau schätzen lassen; hier aber galt es, nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft zu schätzen, und die Kaufmannschaft theilte sich in zwei ziemlich gleich große Parteien. Die „Abbruchsgegner“ betonten, daß die von dem großartigsten Project geforderte Last von 83 Millionen (nach Abzug der 40 Millionen vom Reiche) viel zu schwer für die Finanzen des kleinen hamburgischen Staates sei. Die „Abbruchsfreunde“ schalten über Flickwerk und Stückwerk. Nach langem Streit kam ein Compromiß zu Stande, welcher das im Eingange dieser Zeilen erwähnte, 106 Millionen kostende Project mit großer Mehrheit Annahme finden ließ.
Eine Uebersicht des demgemäß in den nächsten Jahren zum Abbruch gelangenden Stadttheiles führt unser größeres Bild den Lesern vor. Das Ganze bildet die sogenannte Kehrwieder- und Brooksgegend nebst einem Theile der Wandrahmsgegend, es liegt fast sämmtlich im Katharinen-Viertel und macht einen großen Theil desselben aus. Das Bild gewährt zugleich einen Einblick in das rege Treiben am Hafeneingange eines der hamburgischen „Fleete“, wie die Wasserläufe, mit denen Elbe und Alster die Stadt durchziehen, genannt werden. Die vielen flachen mit Waaren beladenen Fahrzeuge,
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Druckerschärze.
verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_212.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2023)