Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Und auf diesem Grund und Boden bauen wir unsere Häuser. Fürwahr, da liegt es wohl im Interesse aller, daß seine Beziehungen zu den Krankheiten, namentlich aber zu den Epidemien gründlich erforscht werden, damit wir Mittel finden, uns vor seinen verderblichen Einflüssen zu schützen.
Doch der Wissensbegierde der Menschen sind in dieser Beziehung noch vielfache Schranken gesetzt. Die Ursachen der epidemischen Krankheiten sind noch in Dunkel gehüllt, nur aus ihren Wirkungen kennen wir die dämonischen geheimnißvollen Mächte, welche, von Zeit zu Zeit über die Menschheit hereinbrechend, Tausende und Millionen in der Blüthe ihrer Kraft dahinraffen. Aber zum Theil beginnt sich dieses Dunkel zu lichten, und wir wissen heute, daß einige Krankheiten durch mikroskopische Organismen, winzige Pilze, die in unsern Körper eindringen, hervorgerufen werden. So ist es festgestellt, daß der Milzbrand, die Malaria (das Wechselfieber) und vielleicht auch die Tuberculose Folgen einer solchen Vergiftung sind.
Mit Recht beantwortet daher Professor Max von Pettenkofer[1] die Frage: „Was mag das sein im Boden, was eine so mächtige Wirkung auf unsere Gesundheit im guten und bösen Sinne ausüben kann?“ mit folgenden Worten:
„Aller Wahrscheinlichkeit nach sind es kleinste Organismen oder Erzeugnisse derselben, Organismen, wovon viele Millionen von Individuen zusammengenommen erst den Umfang des kleinsten Stecknadelkopfes oder ein Milligramm Gewicht haben, welche den porösen Boden von seiner Oberfläche bis in große Tiefen hinab bewohnen, welche uns schädlich und unschädlich und selbst nützlich sein können, gleich wie wir größere schädliche und unschädliche und nützliche Thiere und Pflanzen schon längst kennen.“
Bisher waren sie uns unsichtbar, und erst in jüngster Zeit hat sie die Wissenschaft durch das Mikroskop und verbesserte Untersuchungsmethoden unserem Auge wahrnehmbar gemacht.
Von diesem Standpunkte aus betrachtet, erscheint uns der „todte“ Boden, auf dem wir wandeln, in neuem Lichte. Eine gewaltige Summe verschiedenartigster Lebenskräfte arbeitet in seinen Tiefen, die unzähligen Milliarden kleinster Geschöpfe, und er selbst enthüllt sich vor unseren erstaunten Blicken als ein riesengroßes, lebendes Wesen. Doch sinnreiche Vergleiche genügen nicht dem Forscher, er steigt, bewaffnet mit dem Rüstzeuge der Wissenschaft, in die Tiefen des Bodens hinab, er prüft die Zusammensetzung der in ihm enthaltenen Luft, und er findet die Bestätigung seiner Vermuthung. Die „Bodenluft“ ist reicher an Kohlensäure als die atmosphärische Luft, und dies kann nur daher kommen, daß die im Boden lebenden Wesen den Sauerstoff der Luft verzehrt und Kohlensäure ausgeschieden haben. Der Forscher prüft die Luft, welche das Erdreich ausdünstet, er findet sie geschwängert mit Kohlensäure, durchaus ähnlich der von den Menschen ausgeathmeten Luft, und nun kann er sicher behaupten: das ganze weite Land, die Aecker und die Wiesen, die Thäler und die Berge, athmen wie ein großes riesengewaltiges Wesen. Was die Dichter sangen, wird zur Wahrheit: in großen Zügen athmet die Erde. Am Tage saugt sie Luft ein, und wenn die kühle Nacht hereinbricht, haucht sie ihre wärmere Luft gegen den kalten Himmel aus. Das ist der langsame Rhythmus ihrer Athmung.
Wie gesundheitsschädlich für uns die ausgeathmete Luft ist, das ist zur Genüge bekannt, und wenn die ausgehauchte Luft des Bodens, die man allgemein „Grundluft“ nennt, der von uns ausgeathmeten Luft ähnlich ist, so liegt schon darin für uns eine zwingende Veranlassung, uns von dieser Grundluft freizuhalten.
Aber hierzu kommt noch ein anderer erschwerender Umstand. Es ist festgestellt worden, daß mit der Grundluft kleine Staubtheilchen in die Höhe steigen und daß unter diesen auch die Keime der in dem Grund und Boden lebenden Pilze vorhanden sind. Und wenn es wahr ist, daß solche Keime Epidemien und Krankheiten verursachen, ist dann nicht ein doppelter Grund vorhanden, die Berührung mit der Grundluft zu vermeiden? In der freien Natur ist dieser ausgehauchte Dunst ohne Belang für das thierische Leben, denn dort wehen Winde und toben Stürme, die das Gift in der Weise verdünnen, daß es unschädlich wird.
Anders verhält es sich aber mit der Luft in unseren geschlossenen Räumen. Kann in dieselben die Grundluft eindringen?
Sie kann es unbedingt, und zwar ohne besondere Schwierigkeiten. Es sind ja Fälle bekannt, daß große Mengen von Leuchtgas aus unterirdischen defect gewordenen Straßenleitungen in benachbarte Häuser eindrangen und zu Erkrankungen, ja selbst zu Todesfällen führten. Sorgfältig angestellte Versuche ergaben auch, daß ein Wechsel zwischen der Haus- und Grundluft fortwährend stattfindet und daß den größten Theil des Jahres hindurch der Zug vom Boden in’s Haus hereingeht. Außerdem wurde nachgewiesen, daß die in’s Haus ziehende Grundluft selbst bei langsamem Tempo, in dem sie sich bewegt, entwickelungsfähige Pilzkeime mit sich bringt. „In der kälteren Jahreszeit,“ bemerkt hierzu Pettenkofer, „so lange geheizt wird, und auch im Sommer während jeder Nacht, wo die Luft in unseren Häusern wärmer ist, als die sie umgebende äußere Luft, wirken die Häuser wie Zugkamine und saugen Luft aus dem Boden, wie aufgesetzte Schröpfköpfe.“
Durch die Ermittelung dieser Thatsachen hat die Wissenschaft in unseren Bauverhältnissen einen Culturdefect entdeckt, den zu beseitigen eine lohnenswerthe Aufgabe der Herren Architekten sein müßte. Namentlich auf siechhaftem Boden dürften unsere Häuser nicht so „barfuß“ dastehen. In dieser Hinsicht muß man ohne Weiteres der Aussage der Oberstabsarztes Dr. Port beipflichten:
„Wir haben vom hygienischen Standpunkte durchaus keine Ursache, auf die Landpfahlbauten mancher fremder Völkerschaften und auf die Lehmhütten, die sich noch bei unsern Bauern hier und da vorfinden, mit Geringschätzung herabzublicken; beide haben, wenn auch auf ganz verschiedenem Wege, ein hygienisches Princip berücksichtigt, das unsern Bautechnikern entgangen ist, sie haben ihre Wohnräume vom Boden unabhängig gemacht, dort durch Unterlegung eines die Luftcirculation ermöglichenden Pfahlrostes, hier durch Absperrung der Hütten mittelst eines Lehm-Estrichs.“
Es würde uns zu weit führen, hier an einzelnen Beispielen zu beweisen, wie bei Epidemien solche verachtete Lehmhütten ihren Bewohnern tausendmal besseren Schutz boten, als die luftigen, mit allem Comfort ausgestatteten modernen Wohnhäuser eines und desselben Ortes. Wir müssen uns in Anbetracht dieser Thatsachen rückhaltslos der Meinung des zuletzt genannten Fachmannes anschließen, daß als die erste hygienische Rücksicht, als die oberste verhütende Maßregel gegen gewisse ansteckende Krankheiten eine geeignete Behandlung des Bodens zu betrachten sei, wodurch wir Häuser, Baracken, Zelte etc. zu seuchenfreien Wohnsitzen machen können. Aus solchen Wohnsitzen brauchen wir bei dem Auftreten der Epidemien nicht zu fliehen; wir können darin einer Seuchenbelagerung Trotz bieten. Von solchen Wohnsitzen können wir in Wahrheit sagen: Mein Haus meine Burg!
Vor Kurzem sind Pläne und Entwürfe derartiger durch Cementunterlage etc. geschützter „Gesundheitshäuser“ aufgetaucht, die anscheinend den von der Wissenschaft gestellten Bedingungen genügend Rechnung tragen. Da jedoch die Erfinder derselben auf der bevorstehenden Hygiene-Ausstellung in Berlin um die Siegespalme zu concurriren gedenken, so verzichten wir vorläufig aus die Veröffentlichung dieser Pläne, um alsdann darüber Bericht zu erstatten, was die berufenen Fachmänner für erstrebenswerth und brauchbar erklärt haben.
Bis dahin mögen sich unsere Leser mit der Thatsache trösten, daß glücklicher Weise nicht überall ein siechhafter Boden vorhanden ist, und daß wir, wie unsere Vorfahren, auch die Absicht haben, in unseren „barfüßigen“ Häusern alt an Jahren zu werden.
Blätter und Blüthen.
Das Judas-Verbrennen in Portugal. Was man auch immer gegen die Portugiesen sagen möge, heiter und liebenswürdig, frisch und kindlich ist das Volk.
Die letztere Eigenschaft spiegelt sich in vielen Sitten und Gebräuchen wieder, die auf ein protestantisch-nordisches Gemüth einen schon mehr kindischen Eindruck machen. Obenan steht unter diesen das Judas-Verbrennen am Osterabend, das besonders in Oporto, der Stadt der Camelien und des Feuerweines, mit Leidenschaft betrieben wird.
Tiefe Trauer hat während der Charwoche über der ganzen Bevölkerung gelegen. Die Hunderte von Glockenthürmen haben ihre eherne
- ↑ Vergleiche: „Der Boden und sein Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen“ von Max von Pettenkofer (Berlin, Gebr. Paetel, 1882), eine Schrift, die wir hiermit der allgemeinen Beachtung empfehlen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_199.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2023)