Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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No. 12. | 1883. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Ostern.
Eiszeitstürme rissen sich los
Von Gletscherhöh’n, schwarz die Nacht,
Schwarz die Erde, Stromgetos,
Hagelschauer und Wolkenschlacht. –
Finster noch ist sein Antlitz, seine Brauen
Seh’n drohend umschattet, Kampf ist sein Loos.
Es trotzten ihm Frost und Nebelgrauen,
Es trotzt verschlossen der Erde Schoos.
Wie ein Erob’rer nur im Zerstören groß.
Aber bald regt es sich milder, es thauen
Frühere Morgen, Herzen erglühten,
Herzen erglühen, und Veilchen schauen
Jetzt führt er, ein Sieger, sein dampfend Gespann
Jauchzend über Bergesspitzen –
Unter Blumen dann, weil er die Schlacht gewann,
Schlummert er ein, gekrönt von Blitzen.
Ahnungsvoll nah,
Leuchtet schon wärmerer Schimmer,
Ostern ist da!
Ostern! Lieblicher Name, gestickt
Schon aus duftenden Kelchen blickt
Sonnengold wieder und Himmelsazur!
Ostern! Ihr jubelnd Frohlocken
Schmettert die Lerche dem Aether zu,
Menschenherz, frohlock’ auch du!
Ueberall breiten im Frühlingssegen
Deiner Sehnsucht, liebenden Armen gleich,
Sich die Wunder der vom Todtenreich
Ostern ist da!
Hermann Lingg.
Gebannt und erlöst.
Der junge Mann stand noch immer wie aus den Wolken gefallen, aber er sah, daß es dem Onkel Ernst war mit seinem Entschlusse und daß jede Frage und jedes Erstaunen darüber ihn peinlich berührte. Er verabschiedete sich also und ging, um seinen Arnold in Schrecken zu jagen mit der Nachricht, daß der Koffer schleunigst gepackt werden müsse.
Als Werdenfels allein war, öffnete er die Glasthür, welche nach dem Altan führte, und trat hinaus. Die Mauern des Thurms waren hier dicht an den Rand des Felsens gebaut, und der kleine Altan hing unmittelbar über der schwindelnden Tiefe. Der scharfe Bergwind wühlte in den lang niederhängenden Epheuranken, welche das Gitter umflochten, und umwehte die bleiche Stirn des Mannes, der dort stand und so unverwandt hinunterblickte in den Abgrund, der sich drohend und winkend zugleich zu seinen Füßen aufthat. Er kannte längst die Versuchung dieses Abgrundes, und er kannte auch das Brausen des Stromes da unten, es hatte ihn oft genug gelockt und ihm gewinkt mit dämonischer Gewalt. Aber seit jener Stunde auf der Bergwiese klang etwas Anderes in diesem Rauschen. Es hatte jene ernste zürnende Mahnung aufgefangen und trug sie immer und immer wieder empor zu dem einsamen Träumer, und sie mußte wohl gesiegt haben. Raimund richtete sich plötzlich auf, finster, aber entschlossen, und als antworte er der mahnenden Stimme da unten, sagte er halblaut:
„Die letzte Zuflucht der Schwäche! – Ich will kein Feigling sein in ihren Augen!“ –
Im Schlosse gab es eine förmliche Revolte, als bald darauf die Dienerschaft von dem Haushofmeister erfuhr, der Herr wolle nach Werdenfels. Die Sache war so unerhört, so unglaublich, daß sie anfangs in der That nicht geglaubt wurde, und dabei kam der Entschluß des Freiherrn so plötzlich und blitzähnlich; selbst der Haushofmeister hatte ihn erst heute Morgen erfahren, denn die Weisung an den Castellan war brieflich abgegangen. Indessen die Thatsache stand fest, und es wurden in aller Eile die nöthigen Anstalten getroffen. Ein Theil der Dienerschaft ging mit den Wagen und den Reitpferden voraus nach Werdenfels, der Haushofmeister mit dem Kammerdiener und Arnold wollte später nachfolgen. Das Ganze sah nicht aus wie ein Ausflug von wenigen Tagen, sondern wie eine wirkliche Uebersiedlung.
Es war in später Nachmittagsstunde, als der Wagen, in welchem sich Raimund und Paul von Werdenfels befanden, das
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_185.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2023)