Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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welche sie einander mittheilten, hätte verstehen können, würde man ihnen das Geflüster nicht allzusehr übel genommen haben.
Sie flüsterten nämlich einander ganz leise, heimlich verstohlener Weise in die Ohren, der Marschall Vorwärts werde die Tafelrunde mit einem Toast überraschen, und zwar mit einem Toast auf den Fürsten Schwarzenberg – und – das war noch das Interessanteste von Allem – sogar mit einem Toaste auf den Fürsten als Feldherrn. Das versetzte Alle in Spannung; denn der Marschall Vorwärts war zwar bekannt als glühender Patriot und als schneidiger Feldherr, als Mann von enormem Scharf- und Schnellblick und von unwiderstehlicher Thatkraft – Eigenschaften, die er bis in das höchste Alter hinein bethätigte, wo es Noth that, aber es war durchaus nicht seine Liebhaberei, dieselben in bloßen Worten kundzugeben. „Blücher als Redner“ – das gab’s nicht. Wenigstens wußte davon Keiner seiner Gäste. Sie wußten wohl, daß er es verstand, seine Armee mit kurzen kräftigen Worten zu packen und zusammen zu halten. Daneben wußten sie auch, daß er seinen Gedanken brieflichen und schriftlichen Ausdruck zu geben verstand, aber dieser Ausdruck war etwas eigenthümlich: Scharf, kurz, pikant, oft geradezu epigrammatisch, immer den Nagel auf den Kopf treffend, mit einem Worte oder mit ein paar Worten ein Ding oder einen Menschen genau charakterisirend. Aber zugegeben mußte andererseits wieder werden, daß seine schriftlichen Auslassungen aller und jeder Grammatik spotteten; daß sie nicht nur der Puttkamer’schen, sondern auch jeder andern Orthographie offenen Hohn entgegensetzten, und daß sie nur eine einzige Regel gelten ließen, nämlich die: „Schreibe wie Du sprichst!“
Um eine Probe zu geben, so schloß ein Brief, den Blücher kurz vor der Leipziger Schlacht schrieb, in dem er die Aussichten als günstig darstellte und den Eifer seiner Untergebenen lobte, mit der eigenthümlichen Wendung:
„Ob ich aber det misrabelig Faultir von enen franzeeschen Zigeiner rankriegen werde auf das Champ de Batalg – det weß ich nicht.“
Er meinte damit Bernadotte, den schwedischen Kronprinzen, mit dessen achselträgerischem Benehmen, Zögern und Ausweichen Blücher sehr unzufrieden war, und nicht Blücher allein.
Ueberhaupt pflegte der Marschall Vorwärts aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen und die Dinge bei dem Namen zu nennen, den er für den richtigen hielt, selbst auf die Gefahr hin, daß seine Ausdrücke nicht immer die feinsten und ausgewähltesten waren. Man pflegte das den „Blücher’schen Salonton“ zu nennen.
Auch über den Fürsten Schwarzenberg hatte Blücher oft ohne alle Umschweife und mit echt militärischem Freimuthe seine Meinung ausgesprochen, namentlich auch über die Fehler, die er bei Leipzig gemacht, wo er den größeren Theil der österreichischen Armee in das sumpfige Dreieck zwischen der Elster und der Pleiße postirt harte, von wo aus gar nichts zu machen war, und wo er Napoleon dem Ersten nach Lindenau zu ein Loch offen gelassen, durch das er denn auch richtig entwischt ist. Sonst wäre es da dem „Ersten“ ergangen, wie dem „Dritten“ bei Sedan.
Schwarzenberg war ein tüchtiger Mann, aber kein Feldherr. Es fehlten ihm die Eigenschaften Blücher’s. Er mußte sich zu sehr auf Andere verlassen und hatte keine glückliche Hand in der Auswahl seiner Vertrauensmänner. Auf der andern Seite muß man zu seiner Vertheidigung sagen: Seine Lage war außerordentlich schwierig. Er commandirte nicht ein einheitliches Heer, sondern einen aus einer Coalition zusammengesetzten kolossalen, aber gleichsam unorganischen Truppenkörper, der in Folge dieser seiner Schwäche sehr oft in Gefahr war, wieder in seine einzelnen Bestandtheile aus einander zu fallen. Hier aber, bei Leipzig, kam Alles auf richtiges Zusammentreffen und correctes Ineinandergreifen an. „Getrennt marschiren, vereint schlagen!“ Das war leicht gesagt, aber hier recht schwer auszuführen.
Zudem waren die Monarchen, aus deren Truppen die Armee zusammengesetzt, alle drei persönlich zugegen. Unzweifelhaft hatte Jeder von ihnen ein Recht auf das Ohr des obersten Commandanten, dem sie ihre Truppen anvertraut hatten.
Die drei Souveraine waren aber nur bis zu einem gewissen Punkte unter einander einig, in allen übrigen Dingen gingen sie weit aus einander. Rußland hatte bis jetzt nichts Großes geleistet; seine Armee hatte im Jahre 1812 beinahe ebenso sehr gelitten, wie die der Franzosen. Dagegen machte Kaiser Alexander Ansprüche auf ganz Polen und gedachte als der Agamemnon unter den verbündeten Herren zu glänzen.
Preußen wollte gründlich aufräumen in Deutschland und unter allen Umständen Napoleon stürzen. Daß dies allein helfen könne, darüber waren der überlegene, klare und höhere Blick eines Gneisenau und der glühende Haß, der richtige Instinct eines Blücher vollkommen einig. Auch Friedrich Wilhelm der Dritte wollte sein Land vollständig entschädigt wissen für die erduldeten entsetzlichen Leiden und unzweifelhaft sicher gestellt gegen die Wiederkehr derselben. Die Rheinbundstruppen hatten übel gehaust in seinen Landen, und vielleicht war es deshalb, daß er die Rheinbundsfürsten nicht allzu sehr liebte. Auch hatte sich Preußen, damals noch ein armes Land von nur fünftehalb Millionen Seelen, angestrengt, daß es solches spürte bis in das innerste Mark seiner Knochen; das wollte es nicht umsonst gethan haben.
Kaiser Franz und Metternich waren ganz anderer Meinung. Sie wollten die eigene Macht stärken und, so weit es zu diesem Zwecke nöthig war, die Macht Napoleons schmälern, aber bei Leibe nicht vernichten. Sie hätten ihm gern irgend einen Ausweg offen gelassen, sei es über Magdeburg oder über Erfurt. Sie wollten sich ihn zu Rathe halten, damit nicht die Preußen oder die Russen zu sehr in die Höhe wüchsen. Vor Allem aber fürchteten sie sich vor einem Nationalkrieg, wie ihn Preußen auffaßte. Sie wollten nur einen Cabinetskrieg. Der alte verderbliche Spruch: „Lieber zwei Provinzen verlieren, als an den deutschen Volksgeist appelliren“, galt hier noch immer. Man schwärmte für mittelalterliche Romantik oder für das, was man sich fälschlicher Weise darunter vorstellte. Man liebte die Rheinbundsstaaten, weil man sie unter habsburgischer Aegide gegen Preußen zu vereinigen dachte. Eine gleiche Stellung glaubte man in der italienischen Viel- und Kleinstaaterei einnehmen zu können. Man wollte die alte „Standesherrlichkeit“ wieder aufbauen, und haßte Preußen, obgleich es absolutistisch und weil es aufgeklärt und modern war.
So gingen in den Leipziger Tagen die Ansichten in den obersten Spitzen aus einander, und auch Jeder der Souveraine hatte wieder eine ganze Schaar von Vertrauensmännern und Rathgebern um sich, welche ebenfalls nicht einig unter einander waren. So war denn da eine Menge die Action lähmender, einander kreuzender und bekämpfender Einflüsse gewesen, unter welchen Niemand mehr gelitten, als der alte Marschall Vorwärts, der ohnedies stets einen bösen Zahn hatte auf die „Federfuchser“.
Es genügt, auf das Alles hinzudeuten, um es Sachkundigen begreiflich zu machen, wie man an der Tafelrunde in Karlsbad sehr neugierig war: erstens überhaupt eine Toastrede aus dem Munde des Marschall Vorwärts zu vernehmen – zweitens eine solche auf Schwarzenberg – und drittens eine auf Schwarzenberg als Feldherrn.
So saß man denn da in namenloser Spannung.
Nach dem Braten aber erhob sich der Fürst Blücher, und es gab eine feierliche, lange und bange Stille. Es war, als wenn ein Engel durch die Luft flöge.
„Meine Herren!“ sagte der Marschall Vorwärts, „trinken wir auf das Wohl eines Feldherrn, den wir die Ehre haben, in unserer Mitte zu sehen – eines Feldherrn, der drei Monarchen in seinem Hauptguartier hatte und dennoch den Feind schlug!“ –
Da war es denn kein Wunder, wenn Fritz Gentz der Meinung war, das sei ein „merkwürdiges“ Diner gewesen und es sei bei demselben „nichts als Deutsch“ gesprochen worden – – –
Ich habe keine verbürgten Nachrichten darüber, aber ich bin fest überzeugt, daß damals, 1818, in der Zeit der Denuncianten und „Demagogenfänger“, auch dem Fürsten Blücher sein Trinkspruch übel genommen wurde, und wenn er nicht der „Marschall Vorwärts“ gewesen wäre, dann hätte es ihm blühen können, von den „Kamptz- und Schmalzgesellen“ eingesteckt zu werden.
Wenn er aber einer nachträglichen Rechtfertigung bedurft hätte, so würde er sie in den Jahren 1870 und 1871 gefunden haben, wo an der Spitze der deutschen Armee, welche Napoleon den Dritten niederwarf, ein einheitlicher Wille stand. Statt der drei Adler von 1813, wovon verschiedene mehrere Köpfe besaßen, war es 1818 nur einer, und dieser eine Adler hatte nur einen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_159.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)