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Seite:Die Gartenlaube (1883) 154.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

seine Quellen ruhten, drang nicht die Macht der Eisjungfrau, die sonst alles niederzwang. Sie versuchte es vergebens, seinen Lauf zu hemmen, ihn mit ihren eisigen Armen festzuhalten und zu ersticken. Er rang sich immer wieder empor zum Lichte, entwand sich immer wieder den Banden, welche ihn bedrohten, und durch eisumstarrte Schluchten, über schneebedecktes Felsgeröll eilte er nur stürmischer dahin – das einzige unbezwungene Leben in dieser todten Natur.

Das Rauschen drang nur dumpf zu der einsamen Bergeshöhe empor, wo die Beiden standen, die sich jetzt so fern waren und sich doch einst so nahe gestanden hatten, aber es klang etwas darin, wie eine Erinnerung an das todte Frühlingsleben, das auch ihnen geblüht hatte und nun versunken war auf Nimmerwiederkehr.

So leise und träumerisch wallte das Meer, damals als sie zum ersten Male einander begegneten. Ein Zufall hatte die deutschen Landsleute am Lido zusammengeführt, und jetzt trug sie das Schiff gemeinsam zurück nach Venedig. Die Fluth erglänzte in purpurnem Abendschein; fern und still zogen die Segel der Fischerboote dahin, roth angestrahlt von dem sinkenden Lichte, und dort drüben lag die alte Meeresstadt mit ihren marmornen Palästen und Kirchen, wie verklärt in der Gluth und Glorie des Sonnenunterganges.

Aber der junge Fremde sah nichts von alledem; sein Auge haftete unverwandt auf dem schönen ernsten Mädchen, das ihm gegenüber an der Seite der alten Dame saß; er konnte den Blick nicht losreißen von diesem Antlitz.

Dann kam jene Mondnacht, wo der Dampfer die Reisenden wieder zurückführte nach den deutschen Küsten, wo die Marmorstadt wie eine leuchtende Fata Morgana weiter und weiter zurückwich und endlich wie ein großer flammender Stern in den Wogen versank, aber es war kein Stern des Glückes gewesen. Und dann nahte jener Frühlingstag in den heimischen Bergen, der endlich das ersehnte Alleinsein brachte, und mit ihm das Geständniß, das die Lippen bisher noch nicht ausgesprochen. Da strömte die Empfindung voll und heiß aus der Brust des Mannes, und der Ernst des jungen Mädchens schmolz in weiche glückselige Hingebung. Damals blühte und duftete alles ringsum; die Wälder rauschten im Frühlingswinde; die Bäche schäumten von den Felsen; das Gebirg lag in Duft und Sonnengold, und die Beiden, deren Herzen sich gefunden, hatten sich gelobt, an einander fest zu halten in allen Lebensstürmen.

Der Sturm war gekommen und hatte jenen Schwur zerbrochen und vernichtet, als er die Beiden aus einander riß. Den Einen trieb er in die öde, weltverlorene Einsamkeit, wo es keine Liebe und kein Glück mehr gab, und die Andere führte er mitten hinein in das glänzende Treiben der Welt und des Lebens, das ihr vielleicht ebenso öde war. Jetzt, nach Jahren, standen sie zum ersten Male wieder bei einander – und zwischen ihnen starrte Schnee und Eis!

Anna’s Augen ruhten wieder forschend auf den Zügen des Freiherrn, als wolle sie enträthseln, was in jenen tiefen Linien geschrieben stand, und sie mußte wohl Schweres darin lesen; denn sie brach das minutenlange Schweigen.

„Raimund!“

Er wandte sich um, einen Moment lang zog ein flüchtiges Aufleuchten über sein Antlitz, als er seinen Namen von diesen Lippen hörte, dann aber legte sich wieder die alte Starrheit über die bleichen Züge. Er trat zu ihr, und das Pferd, dessen Zügel er noch immer hielt, folgte ihm geduldig; es zeigte keine Spur seiner sonstigen Wildheit; es senkte schmeichelnd den schönen Kopf zu seinem Herrn nieder und ließ ein leises Wiehern hören.

„Das Thier scheint Dich sehr zu lieben,“ sagte Anna.

„Ja, ich sehe meinen Emir auch täglich, so selten ich ihn reite. Er ist das Einzige auf der Welt, was mich noch liebt.“

„Und wohl auch das Einzige, was Du liebst! Du fliehst ja Welt und Menschen und zeigst ihnen deutlich genug, daß Du sie verachtest.“

„Glaubst Du, daß es die Liebe der Menschen gewesen ist, die mich hinaufgetrieben hat in meine Einsamkeit?“ fragte Raimund mit schwerer Betonung. „Frage Dienen Vetter Vilmut danach! Er kann Dir Auskunft geben; denn er hat den Riß, der mich von denen dort unten im Thal trennte, zur endlosen Kluft erweitert.“

„Gregor hat Dir den Weg zur Versöhnung gezeigt – Du wolltest ihn nicht gehen.“

„Nein! Ich weiß, was ich der Vergangenheit abzutragen habe – vor dem Hochmuth des Priesters, der mich und den Namen meines Geschlechtes in den Staub ziehen will, beuge ich mich nicht.“

Es lag eine ungewohnte Energie in den Worten; auch der jungen Frau schien das aufzufallen; denn sie streifte den Sprechenden mit einem halb verwunderten Blick, dann aber sagte sie ernst:

„Gregor ist nicht hochmüthig. Was er auch thun und fordern mag, er hat immer nur seine Priesterpflicht vor Augen, aber er kann erbarmungslos sein im Dienste dieser Pflicht.“

„Das habe ich erfahren! Er hat mich in den Bann gethan, und seine getreue Heerde folgte dem Befehl ihres Hirten. Ich bin geächtet auf meinem eigenen Grund und Boden.“

„Und wer trägt die Schuld daran? Gregor oder Deine seltsame Art zu leben, die weit und breit das Märchen der Gegend ist? Da läßt Du in öder Felseneinsamkeit ein Schloß voll fürstlicher Pracht entstehen und vergräbst Dich darin vor jedem menschlichen Auge. Du wirfst Unsummen hin für Werdenfels und seine Gärten und läßt sie veröden, ohne daß sie der Fuß eines Fremden auch nur betreten darf. Du ziehst einen Bannkreis um Deine Person, den Niemand überschreiten, Niemand durchbrechen darf, und nährst mit eigener Hand alle jene unheimlichen Gerüchte über Dich. Du hast keinen Blick, keinen Gedanken für die Menschen, die dort auf Deinen Gütern arbeiten und darben und Tag für Tag mit der Noth des Lebens ringen. Was fragst Du denn auch nach ihrem Elend oder ihrem Glücke? Du stehst unzugänglich und unnahbar auf Deiner Felsenhöhle!“

„Am Abgrund!“ ergänzte Werdenfels. „Du weißt nicht, was für Tage und Stunden ich da oben verlebt habe; Du kennst nicht die Versuchungen des Abgrundes. Er hat mich mehr als einmal gelockt, in seiner Tiefe Vergessenheit zu suchen, und mit der Vergangenheit auch den alten Fluch zu begraben.“

Ein tiefes Erschrecken zeigte sich in dem Antlitz der jungen Frau, dann aber nahm es den Ausdruck jener unbeugsamen Härte an, der ihr bisweilen eigen war, und dieselbe Härte klang aus ihrer Stimme, als sie antwortete:

„Das ist die letzte Zuflucht der Schwäche – Männer sühnen ihre Schuld!“

Raimund richtete sich empor; in seinem Auge begann etwas aufzuglühen, wie Funken unter der Asche, aber noch verschleierte sich die Tiefe dieses Blickes.

„Also bin ich nur ein Schwächling in Deinen Augen?“

„Ein Träumer bist Du, der es nicht wagt, in den hellen Sonnenschein zu schauen, weil er ihm weh thut nach der langen Nacht, weil er nicht ungestört darin weiter träumen kann. Wach’ auf, Raimund! Entreiß’ Dich diesem Hinbrüten, das Deine letzte Kraft verzehrt! Ich habe nicht geglaubt, daß unsere Trennung das aus Dir machen würde.“

Raimund ließ mit einer heftigen Bewegung die Zügel fallen. Man sah es, wie der halb verächtliche Ton ihn verwundete, und hörte es, wie seine Stimme mehr und mehr die dumpfe Ruhe verlor.

„Nicht solche Worte, Anna!“ sagte er finster. „Haß kann ich ertragen, und ich habe viel davon erfahren mein Leben lang. Verachtung trage ich nicht.“

„So zeige, daß Du sie nicht verdienst!“ sagte Anna in steigender Erregung. „Es ist viel in Deine Hände gegeben, und die Menschen dort unten haben ein Leben von Dir zu fordern. Du bist es ihnen schuldig. Versuche es, tritt mitten unter sie und wirb um Versöhnung und Du wirst sie finden!“

„Meinst Du?“ fragte Werdenfels schneidend. „Es wäre nicht das erste Mal, daß ich es versuchte! Ich habe es damals nach dem Tode meines Vaters gethan. Weißt Du, wie der alte Eckfried mir antwortete, als ich in seine Hütte trat? Er riß den Stutzen von der Wand und drohte, mich niederzuschießen, wenn ich noch einmal den Fuß über seine Schwelle setzte. Und so ging es weiter; wohin ich mich auch wandte, überall trat mir der alte Haß, die alte Feindschaft entgegen. Sie stießen mich Alle zurück, Alle – sogar meine Braut!“

Das stolze zürnende Auge der jungen Frau senkte sich; sie hatte keine Erwiderung auf den letzten Vorwurf.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_154.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2023)