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Seite:Die Gartenlaube (1883) 153.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 10.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Alle Rechte vorbehalten.

Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Es klang hart und kalt, dieses „Ja“. Raimund verstand es, und der matte verschleierte Ton, in dem er bisher gesprochen hatte, gewann eine herbe Beimischung, als er fortfuhr:

„Du brauchst mich nicht an die Kluft zu erinnern, die uns trennt. Ich kenne sie hinreichend, aber es giebt Andere, die Hoffnungen darauf bauen, daß Du wieder frei geworden bist. Vielleicht stößest Du den nächsten Herrn von Werdenfels nicht zurück, wenn er Dir Herz und Hand bietet. Seine Hand ist ja rein, und ich –“ seine Lippen zuckten – „ich darf vielleicht den Freiwerber meines Neffen bei Dir machen.“

In dem Antlitze der jungen Frau gab sich eine peinliche Ueberraschung kund.

„Deines Neffen? Du meinst wohl den jungen Baron von Werdenfels?“

„Gewiß, er hat Dich in Italien kennen gelernt. Solltest Du wirklich seine Huldigungen nicht bemerkt haben?“

„Ich habe nicht das mindeste Gewicht darauf gelegt. Solch eine flüchtige Jugendschwärmerei ist schwerlich ernst zu nehmen.“

„Du täuschest Dich; Paul nimmt es so ernst mit seiner Liebe, daß er sich nicht einen Augenblick bedachte, zwischen Dir und dem Besitze von Werdenfels zu wählen. Ich bin überzeugt, er wird schon in den nächsten Tagen mit seiner Werbung vor Dich hintreten.“

„Das ahnte ich nicht,“ sagte Anna gepreßt. „Ich hoffte, es würde mir erspart bleiben, ihm wehe zu thun.“

„Du liebst ihn also nicht?“

„Ich – Paul Werdenfels?“

Das mitleidige Erstaunen, das in der Frage lag, sprach dem armen Paul das Urtheil. Man sah es deutlich: er hatte nie auch nur die geringste Regung in dem Herzen der jungen Frau erweckt. Auch Raimund sah das, und unwillkürlich entrang sich ein tiefer Athemzug seiner Brust.

„So verzeih’ die Frage!“ sagte er leise. „Ich glaubte es einen Augenblick lang.“

Emir war inzwischen sehr unruhig geworden. Dem feurigen Thiere behagte das lange Stillstehen nicht, und es gab deutlich sein Mißfallen darüber zu erkennen; es schnaubte und stampfte ungeduldig den Schnee. Raimund trat zu ihm und strich mit flüchtiger Liebkosung über den schlanken Hals, während er die Zügel um den Arm schlang. Das Pferd wurde augenblicklich ruhig unter der Hand seines Herrn, den es sehr zu lieben schien, aber es wendete den Kopf und blickte mit seinen klugen Augen zu der jungen Frau hinüber, die dort unter den Tannen stand und jetzt schweigend in die Ferne hinaussah.

Die Bergwiese lag ziemlich hoch am freien Abhange und bot einen weiten Ausblick über das schneebedeckte Gebirg. Die Eisjungfrau hatte ringsum ihre weißen Schleier gebreitet; in jenem wilden Schneesturme, mit dem sich der Winter ankündigte, war sie in das Thal herabgestiegen, und unter ihrem eisigen Hauche erstarrte das Leben, das sich noch in den Spätherbst hinüber gerettet hatte. Aber auf ihren Wink war eine neue Welt voll märchenhafter Schönheit erstanden, eins jener Zauberreiche aus funkelndem Krystalle, von dem die Sagen erzählen. In geisterhafter Schönheit ragten die weißen Berggipfel empor in das kalte klare Blau des Himmels, und scharfe tiefblaue Schatten lagerten in den Schluchten und Klüften, wohin die Sonne nicht drang. Die Wasserfälle, die sonst brausend in das Thal niederschäumten, hingen erstarrt an den Felswänden. Im Sturze hatte sie der Frost aufgefangen und seltsam zackige Gebilde daraus geschaffen, die wie blinkende Geschmeide an dem Schneegewande niederhingen. Auch die schroffen Klippen, die dunklen Wälder standen in krystallener Pracht da, und überall funkelte und glänzte es, als hätten unsichtbare Hände all die Sagenschätze des Gebirges darüber ausgestreut.

Ueber dem allem aber thronte die sagenhafte Geisterspitze so klar, daß man deutlich ihre Schneefelder und das bläuliche Eis ihres Gipfels unterscheiden konnte; sie schien förmlich zu schwimmen im Sonnenlicht.

Aber es war eine kalte Wintersonne, und sie leuchtete einer erstorbenen Welt. Kein Rauschen und Flüstern wehte mehr aus dem Walde; die Tannen standen unbeweglich, und ihre Zweige senkten sich schwer unter der Schneelast, die sie trugen. Keine Quellen rieselten mehr über den Boden; der helle Strahl war versiegt, gefangen. Es herrschte eine gespenstige Oede in dieser funkelnden Märchenwelt; alles Leben darin schien gebannt zu sein – ringsum nur Todesruhe und Todesschweigen.

Da strich ein Windhauch über die verschneite Bergwiese und trug wie aus weiter Ferne einen Ton herüber. Es war ein Wallen und Rauschen, das aus der Tiefe emporzusteigen schien, das jetzt halb verwehte und dann wieder deutlicher heraufklang. Dort unten, wo das Thal sich schloß, brach aus Höhlen und Klüften, die noch keines Menschen Fuß je betreten hatte, der Bergstrom hervor, diese mächtige Lebensader des Gebirges, die allein nicht zu ertödten war. Bis in die geheimnißvollen Tiefen, wo

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_153.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2023)