Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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wie man denken möchte. Kaum haben wir die Eingangspforte im Rücken, und schon stehen wir mitten in einem Gewirre von allerlei Hummerpyramiden, Pasteten, Hlrschrücken, Marcipanbildsäulen, Tafelservicen und Kochgeschirren. Wir sind in ein wahres Labyrinth gerathen, und wenn wir bei dem Besuche der Ausstellung nicht allein sehen, sondern auch lernen wollen, so müssen wir einen Ariadnefaden zur Hand haben, der uns vor Verirrungen schützt. Glücklicher Weise ist ein zuverlässiger Führer durch diese Schlaraffia nicht schwer zu finden. Vergegenwärtigen wir uns nur den Stand und die Aufgaben der modernen Kochkunst, und wir werden das Bedeutende von dem Gewöhnlichen sicher unterscheiden können.
Das zahlreiche Heer der Männer, deren Stand sich durch die weißen Mützen und Schürzen kennzeichnet, und das viel zahlreichere der Jungfrauen und Frauen, die den Quirl und Löffel als Küchenscepter schwingen, hat ihr Wirken und Streben in den Dienst einer und derselben Aufgabe gestellt: Was die Natur an verzehrungswerthen Gegenständen über Länder und Meere verstreut hat, das wissen die Köche und Köchinnen in menschenwürdige Kost zu verwandeln; sie Alle, ohne Ausnahme und ohne Unterschied, sind aufmerksame Diener des menschlichen Magens. Die Art und Weise jedoch, in welcher dieser zahlreichste unter allen Berufsständen für seinen Herrn und Gebieter Sorge trägt, ist von sehr verschiedenem Werth, wie überhaupt alle Dienstleistungen, die auf dieser Erde verrichtet werden.
Es giebt zunächst Meister und Meisterinnen der Kochkunst, die den Mantel auf zwei Schultern tragen und also zweien Herren dienen. Indem sie für den Magen arbeiten, berücksichtigen sie in entgegenkommendster Weise alle Wünsche seines Collegen, des Gaumens, der bekanntlich ein sehr launenhafter und wetterwendischer Gesell ist. Daß der Magen und mit ihm die Gesundheit dabei sehr oft schlecht fährt, ist allgemein bekannt. Und trotzdem ist die Zahl der Köche, die in solcher Weise handeln, die bei weitem größte, umfaßt sie doch namentlich alle höher Chargirten dieses Standes. An diesem Uebel, welches so alt ist wie die menschliche Cultur, tragen freilich die Köche selbst am wenigsten Schuld; denn immer gab es und immer wird es reiche Leute geben, welche an der einfachen spartanischen Kost kein Wohlgefallen finden. Ja, die Verbreitung dieser Feinschmecker ist so groß und ihr Beispiel so ansteckend, daß, wenn man überhaupt von der Kochkunst spricht, die Menschen nicht an die Herstellung der gewöhnlichen Hausmannskost denken, sondern darunter die Kunst, lucullische Mahlzeiten zu bereiten, verstehen. Diese Auffassung entsprach auch durchaus der Wahrheit, so lange die Köche nur Fürstendiener waren oder im alleinigen Sold des Reichthums standen.
Als aber in der Neuzeit Voksküchen entstanden, da feierte der spartanische Koch in neuer Gestalt seine Wiedergeburt, er, der weniger auf den Geschmack achtet und es sich vor Allem angelegen sein läßt, gesunde und kräftige Kost zu schaffen. Diese Art der Kochkunst war in früheren Zeiten unbekannt; sie ist ein Kind des modernen Fortschritts, der rastlos und unermüdlich daran arbeitet, die sociale Lage der untersten Schichten des Volkes günstiger zu gestalten.
Außerdem hat der Koch in Ausnahmefällen noch besondere Pflichten zu erfüllen, indem er nicht für den gesunden, sondern für den kranken Menschen arbeitet. Er ist alsdann kein selbstständiger Meister, sondern nur ein Handlanger des Arztes. Im grauen Alterthum war sein Ansehen in dieser Beziehung viel größer, als heutzutage; denn der Koch hatte auch die Arzneigetränke, die der Arzt verordnete, zu bereiten und zu verabreichen.
Der aufmerksame Leser weiß jetzt, wo hinaus wir wollen. Gemäß den verschiedenartigen Aufgaben der Kochkunst, gedenken wir die Ausstellung von den Gesichtspunkten der Luxusküche, der Volksküche und des Tisches für Kranke zu betrachten, und wir werden dabei keine Gefahr laufen, Unvergleichbares mit einander vergleichen zu wollen. Leider müssen wir im Voraus bemerken, daß der Tisch für Kranke sehr schwach beschickt wurde.
Wie man sich leicht denken kann, war die Luxus- oder die feine Küche auf der Leipziger Ausstellung am stärksten vertreten. Ihre Erzeugnisse eignen sich ja am besten zum Schaugepränge, und außerdem war ja die Ausstellung von den deutschen Gastwirthen in’s Leben gerufen worden, die bei ihren Table d’hôtes bekanntlich keine Volksnahrung auftischen. Alle diese Prachtstücke entzücken ohne Zweifel das Auge des Beschauers und schmecken vortrefflich, aber wir können sie in diesem Artikel nur flüchtig berühren.
Es liegt uns zwar durchaus fern, das hohe Verdienst, welches sich die Aussteller der fertigen Gerichte um die Ausstellung selbst erworben haben, in irgend welcher Welse schmälern zu wollen, aber eine Würdigung dieses Verdienstes kann hier nicht unsere Aufgabe sein; denn wie sollten wir unseren Lesern einen Begriff von der Pracht einer Hummerpyramide beibringen, die meterhoch auf dem Tische in die Höhe ragt, oder von dem gewaltigen Eindruck eines gebratenen Hirschrückens, der auf einem fußhohen Fettsockel ruht? Solche Kunstwerke kann man nur dann bewundern, wenn man sie mit eigenen Augen sieht, und nur dann würdigen, wenn man sie ißt. Nur einen flüchtigen Blick werfen wir daher auf die zahlreichen speisebeladenen Tische, die in dem großen Theatersaale des Krystallpalastes aufgestellt waren.
Schier gewaltig war das Frühstück, welches der „Verein Leipziger Gastwirthe“ servirte; fein säuberlich geputzt und geordnet standen da mehrere Hirschrücken, ein Wildschweinskopf, zwei große Rheinlachse, Truthähne, Birkwild, Fasanen, Salate, Hummerpyramiden, Pasteten u. dergl. m. Sehr gefällig präsentirte sich auch die Ausstellung des „Vereins der Hamburger Gastwirthe“, als deren Verfertiger Ph. Kern zu nennen ist; ein großes Schiff stand, mit dem Hamburger Wappen geziert, in der Mitte des Tisches; es barg einen mächtigen Lachs, der in Aspic, einer Art säuerlichen Gelées, eingebettet war. Ueberhaupt waren die Kunstwerke aus Gelée in den mannigfachsten Formen vertreten ; wir sahen zahlreiche Bassins, in denen Aspic die Stelle des klaren Wassers vertrat und in welche verschiedene Fische in schwimmender Stellung eingesetzt waren. Der „Verein Kieler Gastwirthe“ stellte sogar ein Aquarium mit verschiedenen Fischen in Aspic aus. Aber dieses Kunstwerk entstand keineswegs an dem bernsteinreichen Ostseestrande, sondern in der „Seestadt“ Leipzig; denn als Verfertiger desselben wurde uns der Leipziger Stadtkoch Karl Hoffmann genannt. Diese Aquariumfische waren selbstverständlich reine Zwerge im Vergleiche zu dem 37 Pfund schweren Hechte, mit welchem der „Verein der Gastwirthe von Frankfurt an der Oder und Umgebung“ die Ausstellung beschickte. So wechselte hier Großes mit Kleinem in mannigfachster Weise ab.
Nicht weniger zahlreich war auch die Verwendung der geflügelten Welt zum Aufputz der verschiedensten Aufsätze. Fasanen, Schnepfen, ja selbst Pfauen schmückten allerlei Pasteten, oft zu humoristischen Gruppen vereint, wie dies in der Schlußvignette zu diesem Artikel angedeutet ist.
Mit diesen Erzeugnissen der Kochkunst wetteiferten um die Siegespalme Producte der verschiedenartigen Conditoreien, und die Leipziger freuten sich ungemein, die Zierde ihres berühmten Augustusplatzes, das Neue Theater mit dem Schwanenteich in täuschender Aehnlichkeit auf einem Ausstellungstische zu sehen. Die gelungene Nachbildung des Hauses selbst bestand aus feinen Waffeln; das Wasser des Schwanenteiches war durch Aspic angedeutet, und in diesem Wasser sah man selbstverständlich Fische aller Art. Die letzteren waren leider viel zu groß für ihre Umgebung, und ein echtes Leipziger Kind hatte daran unendlich viel auszusetzen; das junge Dämchen betheuerte, solche Walfische gebe es gar nicht in dem herrlichen Schwanenteich, und der Verfertiger sollte statt der „Riesenfische“ doch lieber „Sardellen“ in Aspic gesetzt haben. Trotz des nicht unbegründeten Einwandes machte dieses Werk der Herren Uhlemann und Scheidhauer, welches aus der Kunstwerkstätte des Leipziger Theater-Restaurants hervorgegangen war, ein nicht geringes Aufsehen und zog viele Neugierige herbei.
Auch die Bildhauerkunst wurde der Kochkunst-Ausstellung dienstbar gemacht, aber wo sah man je Bildsäulen in solcher Größe und aus solchem Material gehauen? Wer sich schon beklagt über die kurze Dauer von Marmor und Erz, der würde ohne Zweifel mit Verachtung an dem Kunstwerke vorbeischreiten, das wir hier zu nennen haben. Aber wir sind nicht so wählerisch in Sachen des Ruhmes und zollen gern Lob und Anerkennung der Huster’schen Marcipanfabrik in Hannover, welche uns Siegfried den Drachentödter, ein aus freier Hand gearbeitetes Kunstwerk, vorführte. Das Pferd war aus Tragant und Zucker, und süß war auch der Körper des Reiters und der Leib des Drachen; denn sie bestanden ebenso wie der Sockel aus reinem Marcipan.
Doch wir hätten diesen reichbesetzten Speisesaal beinahe verlassen, ohne zwei Specialitäten zu erwähnen. Wir hätten euch beinahe
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_147.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2023)