Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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„Laß das, Paul! Vielleicht bin ich ungerecht gegen Dich – ich kann es nicht ändern. Du siehst wenigstens, daß ich Dich mit keinem Zwange binden will. Von heute an bist Du Dein eigener Herr und hast weder nach meinem Wohlwollen noch nach meinem Mißfallen mehr zu fragen.“
Er war während des Gesprächs langsam über die Bergwiese geritten, und sie erreichten soeben jenseits wieder den Saum des Waldes, als Emir sich plötzlich wild aufbäumte. Paul sah es nicht, daß der Reiter die Schuld trug, der auf einmal jäh und heftig in die Zügel griff; er glaubte, das Thier scheue vor der fremden Gestalt, die soeben zwischen den Bäumen hervortrat. In der nächsten Secunde erkannte er aber diese Gestalt und rief in lebhaftester Ueberraschung:
„Frau von Hertenstein!“
Es war in der That Anna von Hertenstein, die dort stand. Der Sprung des Pferdes mußte sie wohl erschreckt haben; denn sie war sehr bleich und ihre Augen hafteten starr und unverwandt auf Roß und Reiter, während sie zugleich eine Bewegung machte, als wolle sie wieder in den Wald zurückweichen, aber Paul war bereits an ihrer Seite.
„Fürchten Sie nichts, gnädige Frau!“ sagte er beruhigend. „Das Pferd scheute nur einen Augenblick; hat es Sie erschreckt?“
„Nein, ich bin nicht schreckhaft!“ erwiderte die junge Frau, aber ihre bebenden Lippen widerlegten die Worte. Sie mochte das fühlen; denn sie trat rasch aus den Bäumen hervor in das Freie; es lag etwas Entschiedenes, beinahe Trotziges in diesem Hervortreten, aber Paul glaubte sie noch nie so schön gesehen zu haben, wie jetzt, wo sie in dem hellen Sonnenschein dastand. Ihr Anzug zeigte auch heute tiefes Schwarz, aber die enganschließende pelzbesetzte Winterkleidung machte nicht mehr so ausschließlich den Eindruck der Trauer, und das kleine Pelzbarett ließ die ganze Fülle der schweren braunen Flechten sehen, die hier in der kalten Wintersonne des Hochgebirges ebenso warm und goldig schimmerten, wie dort im Lichte des Südens.
„Ich bin in Begleitung meines Onkels – der Freiherr von Werdenfels ist Ihnen bekannt, wie ich glaube,“ sagte Paul, nicht ohne Verlegenheit; denn er fühlte, daß bei der nun einmal herrschenden Feindschaft dieses Zusammentreffen ein peinliches sein müsse. Die Begrüßung entsprach denn auch seiner Erwartung; der Freiherr zog den Hut, und die Dame neigte das Haupt, Beide gleich fremd und eisig. Dann wandte sich Frau von Hertenstein ausschließlich zu dem jungen Manne.
„Sie sind sicher überrascht, Herr von Werdenfels, mich hier zu sehen.“
„Allerdings, gnädige Frau! Sie sind allein und zu Fuß, wie ich sehe –“
„Wir haben einen Unfall mit dem Schlitten gehabt,“ sagte Anna hastig, als gelte es, ihr Hiersein zu entschuldigen. „Unser Pferd stürzte auf der glatten Bahn und muß wohl ernstlich Schaden genommen haben; denn es war nicht wieder empor zu bringen. Mein Vetter Vilmut ist bei dem Gefährt zurückgeblieben, und ich will nach der Försterei, um dort Beistand zu erbitten. Hoffentlich bin ich auf dem rechten Wege; Gregor konnte mir nur die Richtung angeben.“
„Nein, der Weg führt dort oben durch den Wald, er ist aber ganz verschneit, Sie können ihn unmöglich zu Fuß zurücklegen. Ich stelle mich indessen ganz zu Ihrer Verfügung und will selbst nach der Försterei eilen, wenn Sie glauben, daß meine Hülfe nicht ausreicht.“
„Ich fürchte, sie wird nicht ausreichen – wir werden die Leute des Försters brauchen. Wenn Sie die Botschaft übernehmen wollen, Herr von Werdenfels, so werde ich Ihnen dankbar sein. Weisen Sie die Leute nur an, den Fahrweg thalabwärts zu verfolgen; ich kehre inzwischen zu meinem Vetter zurück.“
Paul wäre nun allerdings am liebsten mit umgekehrt, selbst auf die Gefahr hin, dem Herrn Pfarrer Vilmut Beistand leisten zu müssen. Sein Eifer, der jungen Frau einen Dienst zu leisten, war aber viel zu groß, als daß er ihrer Weisung nicht hätte folgen sollen, und überdies nahm er sich natürlich vor, die Hülfsmannschaften zu begleiten.
„Ich eile sogleich nach der Försterei,“ versicherte er. „Du entschuldigst mich mohl, Raimund. – Auf Wiedersehen, gnädige Frau!“
Er zog grüßend den Hut und eilte davon, und schon in der nächsten Minute entzogen ihn die Tannen den Blicken der Zurückbleibenden.
Werdenfels hielt noch immer auf seinem Roß, und Anna von Hertenstein stand noch auf derselben Stelle, wo Paul sie verlassen hatte, jetzt aber grüßte sie, ebenso fremd und kalt wie das erste Mal, und wandte sich zum Gehen.
„Anna!“ sagte der Freiherr leise.
Sie bebte zusammen bei dem Klange, der kaum vernehmbar zu ihr hinüberwehte, und blieb wie gefesselt stehen, aber ihre Stimme klang unbewegt.
„Herr von Werdenfels?“
„Willst Du mir nicht auch noch den Freiherrntitel geben ?“ fragte er bitter. „Anna, es ist das erste Mal seit Jahren, daß wir uns wiedersehen, und da glaubte ich doch nicht, daß Du so an mir vorübergehen würdest.“
Anna stand noch immer halb abgewendet, und sie hob den Blick nicht vom Boden empor, als sie antwortete:
„Wozu dieses Wiedersehen verlängern? Es ist uns Beiden peinlich – leben Sie wohl, Herr von Werdenfels.“
„Wenn Du wirklich gehen willst, ohne mir auch nur ein Wort zu gönnen – ich halte Sie nicht, gnädige Frau!“
Es lag ein ruhiger, aber schwerer Vorwurf in diesen Worten. Die junge Frau erwiderte nichts darauf, aber sie blieb. Raimund schwang sich aus dem Sattel und trat zu ihr, doch seine Nähe schien die alte Feindschaft wieder wach zu rufen. Anna richtete sich empor, und ihr ganzes Wesen war starre, eisige Abwehr, als sie sagte:
„Es ist ein Zufall, der mich heute in die Berge führt. Droben im Mattenhof liegt eine Schwerkranke; sie hat früher in Rosenberg im Dienst gestanden und verlangte mich noch einmal zu sehen. Deshalb entschloß ich mich, Gregor zu begleiten, sonst –“
„Hättest Du den Umkreis von Felseneck nicht betreten,“ ergänzte Raimund. „Ich weiß es, aber wir sind Beide unschuldig an dieser Begegnung. Du bist über eine Stunde von dem Schlosse entfernt, und ich bin seit Wochen zum ersten Male wieder im Freien.“
Anna sah auf, zum ersten Male während der ganzen Begegnung streifte ihr Blick die Züge des Freiherrn, und sie mußten ihr wohl anders erscheinen, als das Bild, das sie davon in der Erinnerung trug; denn sie fragte mit verhaltener Stimme:
„Bist Du – krank gewesen?“
„Nein! Du willst sagen, ich habe mich in den letzten sechs Jahren sehr verändert? Ich gebe Dir das zurück. Es ist auch nicht mehr Anna Vilmut, das eben erblühende Mädchen, das jetzt vor mir steht. Du freilich hast seitdem andere Tage und Stunden erlebt als ich; das sieht man – ich begreife vollkommen die Triumphe, welche Frau von Hertenstein in den Salons der Residenz gefeiert hat.“
Er hatte Recht, die Schönheit, die damals noch in der Knospe schlief, hatte sich jetzt zur vollsten Blüthe entfaltet; selbst der einfach dunkle Anzug vermochte nicht, sie zu beeinträchtigen; sie leuchtete nur sieghafter hervor aus der unscheinbaren Hülle. Die junge Frau stand wie die Verkörperung des reichen blühenden Lebens neben dem bleichen düsteren Manne, aber sie schien seine Worte wie einen Vorwurf zu empfinden.
„Der Präsident führte mich in die große Welt ein,“ erwiderte sie rasch. „Es war sein Wunsch, sein ausdrücklicher Wille, daß wir dort lebten, nicht meine eigene Wahl.“
„Der Präsident! Wie fremd das klingt! Er ist ja doch Dein Gatte gewesen, der Mann, dem Du am Altare die Hand reichtest. Freilich, das war Vilmut’s Werk! Es war ihm nicht genug, Dich von mir zu reißen; er wollte noch eine unübersteigliche Schranke zwischen uns aufrichten, und dazu war ihm jedes Mittel recht. Mich hat er ja von jeher gehaßt, und nach Deinem Glücke fragte er nicht, als er Dich in die Arme des Greises warf.“
Anna hatte ihrer jungen Schwester gegenüber geleugnet, daß bei ihrer Vermählung fremder Einfluß thätig gewesen war. Hier widersprach sie nicht. Sie ging schweigend über diesen Punkt hinweg und entgegnete nur:
„Du irrst. Ich bin an Hertenstein’s Seite nicht unglücklich gewesen und jetzt –“
„Bist Du Wittwe.“
„Ja!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_140.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2023)