Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
schon im Jahre 1865 durch Anlegung eines artesischen Bohrbrunnens zu steuern versucht, ist nun durch den Bau eines kolossalen Wasserturms, in dessen Riesenreservoire das kostbare Wasser aus meilenweiter Ferne geleitet wird, vollkommen abgeholfen.
Die Werft ist, trotz häufiger Erweiterungen, vollendet. Innerhalb ihrer Mauern erheben sich unzählige Bauten, meist von gewaltigen Dimensionen, wie die großen Kesselschmieden, die Schlosserwerkstätte etc. Ebendaselbst befinden sich auch die vielen Ausrüstungsmagazine, die mit ihrem bunten Inhalt einen eigenthümlichen, selbst das Laienauge interessirenden Anblick bieten. Je eins zu je einem Schiffe gehörig und dessen Namen schon über der Eingangsthür tragend, sind sie bestimmt, alle zur Schiffsausrüstung benötigten Gegenstände, vom größten bis zum kleinsten, mit alleiniger Ausnahme der Geschütze, in sich zu bergen. Mit größter Accuratesse aufgespeichert, enthalten sie die verschiedenartigsten Dinge, bequem greifbar und übersichtlich geordnet, zur sofortigen Uebernahme bereit.
Imposant anzusehen ist auf der Werft auch noch der große Dampfkrahn, mit dessen Hülfe die schwersten Lasten spielend leicht gehoben und z. B. die Krupp’schen Monstrekanonen bequem an Bord der Schiffe befördert werden.
Hohes Interesse bieten dort ferner die mächtigen Trockendocks und die Hellinge. In ersteren, den Docks, werden jeweilige größere Beschädigungen der Schiffswände unterhalb der Wasserlinie, die nicht mehr von den Tauchern bewältigt werden können, nachgesehen und ausgebessert. Soll ein Fahrzeug zu diesem Behufe in das betreffende Dock gehen, so werden die trennenden Pontons geöffnet und mit dem einströmenden Wasser schwimmt das Fahrzeug in den mächtigen, sonst leeren Raum. Sodann werden die Pontons wieder geschlossen und das Wasser wieder abgelassen, bis das Schiff trocken liegt und die Arbeiter ungehindert unter seinen Boden gelangen können. Auf den Hellingen dagegen baut man die Schiffe und stellt sie dort bis auf Masten, Takelage und Maschine fertig. Zuerst im bloßen Gerippe, dann immer vollendeter in den kühn geschwungenen Linien, liegen sie, seitlich durch gewaltige Holzpfähle gestützt, ebendaselbst auf ihren Stapelklötzen, um dann am Tauftag, wenn eine Stütze nach der andern unter ihnen fortgeschlagen wird, langsam und majestätisch die sanft abschüssige Bahn des Hellings herab und in’s Wasser, mit einem Wort „vom Stapel“ zu gleiten.
Bemerkenswerth ist auf der Werft ferner der „Schnürboden“, ein saalartiger Raum von so bedeutender Ausdehnung, daß auf seinem glatten Holzfußboden die größten Panzerfahrzeuge in Originalgrößeverhältnissen aufgezeichnet werden können.
All diese und noch manche andere Baulichkeiten umgiebt eine hohe steinerne Umfassungsmauer, deren ohnehin sehr beträchtliche Ausdehnung man neuerdings beschäftigt ist noch bis zum Vorhafen hin zu verlängern. Nach der Stadtseite zu wird sie unterbrochen und zugleich abgeschlossen durch ein schönes, in Rothsteinen aufgeführtes Gebäude, dessen verschiedene Stockwerke die Bureaus und dessen Mitte das große Eingangsthor enthält.
Eins der umfangreichsten und wichtigsten Werke aber, das im letzten Jahrzehnt unter dem deutschen Reiche und seinem Marineminister von Stosch entstanden, dürfte jedenfalls die Ausgrabung einer neuen Hafeneinfahrt und die Anlage eines geeigneten Kauffahrteihafens sein. Diese zweite Hafeneinfahrt befindet sich in unmittelbarer Nähe der ersten und ist in denselben großen Verhältnissen gebaut, die Schleusen sind, um den Panzerkolossen das Einlaufen zu erleichtern, sogar noch um einige Fuß breiter veranlagt. Zum zweiten Mal hat also Wilhelmshaven den seltsamen Anblick rings gähnender, ungeheurer Abgründe, und wiederum wird es sehen können, wie die Jahde sich in sie hinein ergießt. Die Erd- und Mauerarbeiten an den neuen Werken sind bereits soweit vorgeschritten, daß man hoffen kann, sie binnen wenigen Jahren beendet zu sehen.
Und diesem bedeutenden Bau stellt sich ein kaum minder großer und wichtiger an die Seite: der des Ems-Jahde-Canals. Zwischen Stadt und Deich zieht sich diese jüngste aller Neuschaffungen hin, um zuletzt in den vorerwähnten Handelshafen zu münden. Durch sie ist die directe Verbindung der Ems mit der Nordsee hergestellt. Man verspricht sich viel von der damit verknüpften Verkehrserleichterung für die Hebung des Orts und erhofft namentlich Gutes für die Herabdrückung der immerhin recht teuren Lebensmittelpreise. Auch an diesem neuen Wasserwege ist so rührig geschafft worden, daß man ihn gleichzeitig mit der zweiten Einfahrt und dem Kauffahrteihafen dem öffentlichen Verkehr wird übergeben können.
Soweit die Marinebauten! Mit ihnen, mit der Werft und ihren Werkstätten und Magazinen, dem wie ein Römercastell sich emporhebenden Wasserthurm, dem innen wie außen mustergültigen Lazareth, dem schloßartigen Stationsgebäude, kurz, mit all den zum Theil schon beschriebenen maritimen Baulichkeiten um die Wette hob sich nun auch die in dieses Fach schlagende Privat- und Gemeindethätigkeit. Ganze Straßen mit stattlichen Häusern und leidlichen Läden wuchsen aus der Erde. Auch der Reichsfiscus begann sich zu regen, und ein ansehnliches Polizei- und Amtsgebäude sowie eine wirklich schöne, oder um modern zu sprechen, stilvolle Post zeugen davon.
Entsprechend der Vergrößerung Wilhelmshavens nahm aber auch seine Bevölkerung zu. Das weiland von wenigen hundert Menschen bewohnte „Stadtgebiet“ zählt jetzt eine Einwohnerzahl von 13,000 Köpfen, die Garnison nicht eingerechnet. Noch immer aber wächst diese Zahl, und das Gymnasium, die höhere Töchterschule, die Mittel- und Volksschulen bilden eine von Jahr zu Jahr wachsende Schaar junger Bürger und Bürgerinnen heran.
Der Ort selbst, von Anbeginn an auf eine bedeutende Ausdehnung veranlagt, zieht sich in großer Weitläufigkeit hin. Die eigentliche Geschäftsgegend mit ihrer Hauptader, der Roon-Straße, lehnt sich noch ziemlich eng an die Werft an. In schon etwas vornehmer Entfernung von ihr liegt die breite, von vier Reihen Bäumen bepflanzte Adalbert-Straße, eine ganz eigenartige Schöpfung, die bezeichnend für den Coloniecharaker des Ganzen ist, indem in ihr sich nur das Stationshaus, der Wohnsitz des jeweiligen Stationschefs, und die Hänser der Marine-Officiere, sowie einiger Beamten befinden.
Von beiden Stadtgegenden durch einen weiten Umkreis getrennt, dehnen sich dann die Vorstädte mit den nicht gerade geschmackvoll gewählten Namen „Belfort“, „Elsaß“, „Lothringen“, „Sedan“ aus. In ihnen sind die Wohnungen der Arbeiter zu suchen; namentlich ist Belfort eine vollkommene Arbeiterniederlassung. Straße bei Straße bedecken hier kleine, ganz gleichmäßig gebaute Häuschen, und meist nach ihrer Richtung hin lenkt sich allabendlich der unabsehbare Zug von Tausenden von Werkleuten, die, von dem Hafenbau oder der Werft kommend, ihre müden Schritte der Heimath zuwenden. Zwischen diesen verschiedenen, weit aus einander gelegenen Stadtteilen ziehen sich nun breite, sauber mit Klinkersteinen gepflasterte, aber fast noch völlig unangebaute Straßen hin, öde, unwirtliche Wege, die indessen allabendlich mit derselben Opulenz durch Gaslicht erleuchtet werden wie die bebauteren. Ein mächtiger Lichtstrom ergießt sich somit vom Bahnhof bis zum äußersten Ende der Molen, und ganz Unrecht mögen die losen Spötter nicht haben, die behaupten, Wilhelmshaven präsentire sich am besten bei Nacht.
Im hellen, Nichts verschleiernden Sonnenlichte gesehen, tragen diese leeren, kahlen Flächen wenigstens nicht sonderlich zur Verherrlichung des Ganzen bei, um so minder, als sie durch keinerlei landschaftlichen Reiz unterbrochen und verkleidet werden. Die Natur ist eben karg gegen die neue Schöpfung gewesen und giebt sich den Anschein, als wolle sie nun auch Alles, selbst das sonst in ihr Fach Schlagende, hier den unermüdlich schaffenden Menschenhänden überlassen. Diese Menschen, ihre hier so vernachlässigten Stiefkinder, haben auch wirklich den Kampf mit der ungütigen Mutter angenommen und nicht ohne Erfolg durchgeführt.
Der große Friedrich-Wilhelms-Platz, eine Sandwüste, die gleich vom Bahnhof aus dem Beschauer entgegengähnte, ist jetzt mit Grasplätzen und Gartenanlagen versehen worden. Die Königsstraße erfreut sich einer schon ziemlich schattigen Rüsterallee, und die Werft weist zwischen ihren Baulichkeiten hübsche Gärtchen mit Teppichbeeten und blühenden Sträuchern auf. Im Rücken der Adalbert-Straße aber breitet sich der weitläufige, der Benutzung des Publicums übergebene Stationspark mit seinen frischen, grünen Wiesen, seinem keinen hellen See, mit hübschen Springbrunnen und einem Musiktempel, vor Allem aber mit schattenspendenden Baumgruppen und Alleen aus. Diese freundlichen Schöpfungen sind die einzigen Brosämlein ersehnter Poesie, die sich hier, inmitten so vielen Realismus, dem lechzenden Auge darbieten.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_135.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)