Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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von jeher ein wehrhafter gewesen. Man greift nicht fehl, wenn man annimmt, daß hart neben Sichel und Melkeimer auch Axt und Beil gelegen haben.
Auf diesem Grund und Boden entstand die neugeschaffene Welt, die wir von der Höhe des Deiches zu unseren Füßen erblicken. Unfertig noch, im steten Wachsen begriffen, wie ein einziger ungeheuerer Bauplatz erscheinend, ist sie nicht schön, noch weniger romantisch zu nennen; jedem Fußbreit ihrer Erde hat aber dahier der menschliche Genius seinen Stempel aufgedrückt. Die Natur ist in keiner Weise der Arbeit entgegen gekommen – im Gegentheil: das nötige Terrain hat ihr Schritt für Schritt abgekämpft werden müssen. Kein Gebäude vermochte sich ohne einen tragenden Rost von Rammpfählen auf dem morastigen Untergrund zu erheben, und nur unter unsäglichen Mühen und schweren Kosten konnte diese moderne Herculesarbeit zu Ende geführt werden. Wohin das staunende Auge blickt, nimmt es jetzt aber auch mit Bewunderung wahr, welche Riesenaufgabe Intelligenz im Bunde mit der Thatkraft zu lösen und zu bewältigen vermag.
Als König Friedrich Wilhelm der Vierte im Jahre 1848 die preußische Kriegsmarine in’s Leben rief und sie sich, glücklicher als ihre in demselben Jahre zu Frankfurt am Main vom damaligen Parlament geborene Schwester, die „deutsche Marine", welche nach rühmlichem Anfange unter dem Auctionshammer der Reaction endete – als lebensfähig erwies, da waren ihre ersten Regungen naturgemäß nur schwach und schüchtern. Am Dänholm zu Stralsund und in Stettin machte man die ersten bescheidenen Schwimmversuche. Später genügte das schöne Danzig mit seiner guten Rhede zu Neufahrwasser vollkommen den nur langsam sich entwickelnden Größeverhältnissen, und erst als das junge Institut allmählich erstarkte, die Zahl der Schiffe sich mehrte und das Verständniß für die Bedeutung einer wehrhaften Vertretung auch zur See sich mehr und mehr Bahn brach, erst da stellte sich das Bedürfniß nach einem zweiten großen Kriegshafen heraus. Schon lange erkannte der inzwischen zum Oberbefehlshaber ernannte Prinz Adalbert in richtiger Voraussicht, daß zur ferneren gedeihlichen Entwickelung der jungen Seestreitmacht noch ein an der Nordsee gelegener Hafen wünschenswert sei; er bot seinen Einfluß auf, dieser Ansicht Geltung zu verschaffen. Sein königlicher Vetter ging denn auch auf das Project ein. Bald begannen die Unterhandlungen mit Oldenburg wegen Abtretung des benöthigten kleinen Gebiets zwischen Rüstringersiel, Altheppens und dem Bant, das unmittelbar an der Jahde gelegen ist, und diese Unterhandlungen führten auch im Jahre 1855 zum erwünschten Resultate.
Zwei Jahre später wurde der erste Spatenstich gethan und damit der Anfang zu einer der schwierigsten Unternehmungen gemacht. Nicht nur die vorerwähnten Terrainverhältnisse und örtlichen Mißstände, auch Krankheiten, vor Allem das böse Marschfieber, das, durch die Erdaufwühlungen und die dadurch emporsteigenden Miasmen verstärkt, unter den Arbeitern hauste, namentlich aber auch der große Mangel an genügenden Arbeitskräften hinderten und verzögerten das Werk. Demungeachtet wurde unermüdlich fortgearbeitet. – Zuerst schoben sich die kolossalen, massiv geballten Molen in die Jahde hinein. Zu ihrer Linken hob sich das stark befestigte Fort Heppens, das mit seinen Batterien die Rhede bestreicht. Sodann schlossen sich am inneren Ende der Molen die Schleusen an, durch die hindurch die Schiffe in das erste ausgemauerte Bassin, den sogenannten „Vorhafen“, einlaufen sollten.
Von beträchtlicher Größe, vermag er auch ein gut Theil derselben aufzunehmen, bildet aber doch nur gewissermaßen und wie auch schon sein Name besagt, einen Vorhof, durch den hindurch – mittelst der nächstfolgenden, zweiten Schleusen und eines außerordentlich breiten, sehr lang sich hinziehenden Canals – die Schiffe in das innere, 370 Meter lange und 240 Meter breite Hauptbassin gelangen. In diesem Hauptbassin ist nun genügend Raum für eine mächtige Flotte, und in ihm überwintern und harren ihrer Ausrüstung die Panzerfahrzeuge, deren vornehmlichste Station die Nordsee ist, sowie zahlreiche andere Schiffe. An seinem Ende liegen auch die großen Docks und Hellinge, und um seine gemauerten Quais herum ziehen sich die gewaltigen Werkstätten und die zahlreichen Magazine. – Fuß für Fuß mußten alle diese durch ungeheuere Raumverhältnisse sich auszeichnenden Anlagen ausgegraben respective geräumt werden, und einen eigentümlichen Anblick gewährten die leeren, gähnenden Schlünde mit den in ihrer schwarzen Tiefe wimmelnden Arbeitergestalten. Nicht minder merkwürdig aber war das Bild, als man endlich die Schleusen mit äußerster Vorsicht und sehr allmählich öffnete, den damals die beiden Canalufer verbindenden Deich durchstach und nun die Jahdefluthen langsam ihren Einzug in das ihnen neubereitete Bett hielten.
Geraume Zeit war mittlerweile seit dem Beginne dieser Erdarbeiten verstrichen. Eine kleine Gemeinde, bestehend aus Beamten, Baumeistern, Arbeitern und durch die Aussicht auf lohnenden Erwerb angezogenen Handeltreibenden und Unternehmern, hatte sich gebildet und rüstig den Kampf mit dem Fieber und dem Mangel an fast jeder Lebensannehmlichkeit aufgenommen; noch immer aber war die Stätte, wo sie weilten, eine namenlose. Man mußte sich begnügen, den preußischen Erwerb, im Gegensatze zu dem nächstgelegenen Oldenburger Dorfe Heppens, als das „Stadtgebiet“ zu bezeichnen. Endlich verbreitete sich das Gerücht, an maßgebender Stelle sei der jungen Marinecolonie der Name „Zollern am Meere“ zugedacht, und man war es wohl zufrieden; denn der Name dünkte Jedem schau und gut. Es sollte indessen noch besser kommen! – Friedrich Wilhelm der Vierte ruhte schon manches Jahr in der stillen Friedenskirche zu Potsdam von seinem leidens- und schmerzensreichen Leben aus, und König Wilhelm hatte die schwierige Erbschaft angetreten. Schon schmückte unvergänglicher Lorbeer seine Siegerstirn, da begrüßte die inzwischen stark angewachsene Bevölkerung des Stadtgebiets mit Jubel die nunmehr sichere Kunde, daß ihr König, einer der Größten unter den Zollern, den eigenen Namen der neuen Schöpfung am Meere verleihen wolle. „Wilhelmshaven“ klang freilich am allerschönsten und glückverheißendsten.
Am 17. Juni 1869 kam der König denn auch in Person nach der Jahde, begleitet vom Prinz-Admiral Adalbert, den Großherzögen von Mecklenburg und Oldenburg, den Grafen Bismarck, Roon und Moltke und vielen anderen Würdenträgern, den Kriegshafen einzuweihen. Gleichzeitig legte er den Grundstein zur neuen Kirche. Mitten auf den Molen und umrauscht von den Nordseewogen, wurde der feierliche Art der Taufe „Wilhelmshavens“ von seinem erlauchten Pathen vollzogen. Von Nah und Fern waren das Landvolk und die Städtebewohner zusammengeströmt, und eine dichtgedrängte Menschenmenge sah in staunender Bewunderung auf die Reckengestalten des Preußenkönigs und seiner Paladine. König Wilhelm weilte damals zum ersten Male in Wilhelmshaven, und donnendere Hochs sind wohl selten von begeisterteren Lippen erklungen, als am Schlusse des Festes, welches man an jenem Junitage am öden, nordischen Strande beging. –
In dem nunmehr glücklich getauften Kriegshafen fanden die Arbeiten ihren stetigen Fortgang, wennschon der damaligen Oberleitung in Folge der mehr als knapp bewilligten Geldmittel die Hände sehr gebunden waren. Admiral Jachmann widmete Wilhelmshaven eine rege Theilnahme, und viele der Etablissements sind noch unter ihm entstanden. Auch eins der ersten im Inlande gebauten Panzerschiffe, der „Große Kurfürst“, wurde schon zu seiner Zeit auf den Stapel gelegt, und in Anbetracht der hemmenden Verhältnisse hat die damalige Verwaltung der Marine Anerkennens- und Dankenswerthes genug geschaffen. In ein ganz anderes Stadium trat freilich die Sache, als diese Verwaltung nach dem Kriege 1870 und 1871 in die des deutschen Reiches überging. Dank den nun ungleich reichlicher strömenden Geldern, dank dem regen Interesse, das von da an dem jungen Institute von allen Seiten entgegengetragen wurde, dank auch den mancherlei Erfahrungen, die man bisher gemacht und nun verwerthen konnte, kam von jenem Zeitpunkte an frisches Leben und neuer Impuls in das Ganze. Und zu den günstigeren Conjuncturen gesellte sich dann noch das große Verwaltungstalent und die außerordentliche Arbeitskraft des nunmehrigen Chefs der Marine, des Admirals von Stosch. So konnte es nicht fehlen, daß sich bald auf allen Gebieten ein reger Fortschritt geltend machte.
Nicht zuletzt wurde die erfrischende Wirkung des heilsamen Goldregens in Wilhelmshaven verspürt. Alles rührte sich mit regem Eifer, und die Arbeiten schritten rascher vorwärts.
Jetzt umgeben vier Forts, die von Heppens, Rüstringersiel, Schaar und Mariensiel das gesammte Jahdegebiet und sind bereit, es zu Wasser und zu Land zu verteidigen. Mächtige Casernen haben sich den schon vorhandenen zugesellt. Einem am Ort sehr fühlbaren Mangel, dem an gutem Trinkwasser, welchem man
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_134.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)