verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Walle aufragenden Rudolphs-Bau bis heute erhalten. Von verhaltnißmäßig schlichter architektonischer Fassung, enthielt derselbe – soweit sich dies bei dem zerstörten Zustande des Innern erkennen läßt – neben einem größeren Saale zumeist kleinere, offenbar zu Wohnzwecken dienende Räume.
Anspruchsvoller schon tritt der an die Südostecke des Rudolphs-Baues anstoßende Ruprechts-Bau auf, den Pfalzgraf Ruprecht, der zweite deutsche König aus dem Hause Wittelsbach († 1410),[WS 1] wahrscheinlich zu dem Zwecke errichtet hat, um für die gesteigerten Bedürfnisse seiner königlichen Hofhaltung Raum zu gewinnen. Prächtige Säle, darunter der hochgepriesene „Königssaal“, erfüllten das Innere. Von der zu einem kleinen Theile erhaltenen künstlerischen Ausstattung des Aeußeren hat die „Gartenlaube“ in einem früheren Jahrgange (1877, S. 451[WS 2]) ein anmuthiges Schlußsteinmotiv bildlich dargestellt.
In dem an die andere Ecke der Hoffront des Rudolphs-Baues sich lehnenden Gebäude, dem sogenannten „Bandhause“ (so benannt, weil es im vorigen Jahrhunderte eine Faßbinderwerkstatt enthielt), hat man früher mit Unrecht die Reste der mittelalterlichen Capelle erblicken wollen, die Pfalzgraf Ruprecht der Erste[WS 3] schon 1346 dem Schlosse hinzugefügt hatte – eine so wohl dotirte Stiftung, daß sie Papst Julius der Dritte für die reichste Capellmeisterei in ganz Deutschland erklären konnte. Diese Capelle dürfte in Wirklichkeit ebenso verschwunden sein, wie alle anderen Nebengebäude, mit denen jedenfalls schon im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert der ganze Schloßhof umbaut war und die demnächst allmählich der Baulust späterer Herrscher weichen mußten. Seine letzte Gestalt hatte das Bandhaus, das wie der Ruprechts-Bau hauptsächlich den Zwecken festlicher Repräsentation gedient haben dürfte, erst nach dem Dreißigjährigen Kriege erhalten.
Mittelalterlichen Ursprungs ist dagegen noch ein Theil der trotzigen Festungswerke, welche einst das Schloß vertheidigten. Kurfürst Friedrich der Siegreiche (1449 bis 1475),[WS 4] der die schöne und geistvolle Hofsängerin Clara Dettin von Augsburg[WS 5] sich zur Gemahlin erkoren hatte und seinen Kurhut gegen die Acht des Kaisers zu behaupten wußte, gilt für den Erbauer des mit sechs Meter starken Mauern aufgeführten mächtigen Südostthurms, der nunmehr schon seit zweihundert Jahren den Namen des „Gesprengten Thurms“ führt.
Der größere Theil der Festungswerke des Schlosses entstammt freilich erst der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts und der energischen Bauthätigkeit, durch welche die Kurfürsten Ludwig der Fünfte (1508 bis 1544)[WS 6] und sein Bruder Friedrich (1544 bis 1556)[WS 7] dem Sitze ihrer Väter eine neue Gestalt gaben.
Pfalzgraf Ludwig, aus den Fehden mit Franz von Sickingen[WS 8] und dem Bauernkriege bekannt, vervollständigte die Befestigungen der Südseite durch den großen Wartthurm, der mit dem Brückenhause den Haupteingang zum Schloßhofe sicherte, und durch den an der Südwestecke errichteten Ludwigs-Thurm. Er erbaute auch die mächtigen Batterien der Westseite, die an der Nordwestecke in dem dicken Thurm ihren Abschluß fanden.
Pfalzgraf Friedrich ergänzte in derselben Weise die Werke der Ostseite durch den Bibliothekthurm und den an der Nordwestecke liegenden achteckigen Thurm, dessen hoher die Gesammt-Silhouette dominirender Aufbau die Glocken des Schlosses enthielt.
Denselben Fürsten gehören überdies namhafte Theile der eigentlichen Schloßgebäude an: dem Pfalzgrafen Ludwig der vom Eingänge bis zum Bibliothekthurm sich erstreckende, allerdings vorwiegend für untergeordnete Zwecke bestimmte Ludwigs-Bau, dem Pfalzgrafen Friedrich der an den achteckigen Thurm sich anschließende, auf der Nordseite belegene Neue Hof. Beide Bauten waren verhältnißmäßig immer noch einfach gehalten – der Ludwigs-Bau im Wesentlichen noch gothisch, der Neue Hof mit seinen nach dem Schloßhofe geöffneten Arcaden bereits in den Formen der Renaissance.
Das reichere Leben der entwickelten Renaissance in den Schloßbau einzufügen und denselben damit zugleich in die Reihe der hervorragendsten Kunstbauten zu versetzen, war erst dem Nachfolger Friedrich’s des Zweiten, Pfalzgraf Otto Heinrich,[WS 9] vorbehalten. Der Otto-Heinrichs-Bau, die Perle unter den Gebäuden des Heidelberger Schlosses, füllte die Lücke zwischen dem Ludwigs-Bau und dem Neuen Hofe aus. Leider ist uns der Name des Architekten, der das Meisterwerk geschaffen, nicht überliefert worden. Dagegen ist durch einen glücklichen Zufall die Entdeckung gelungen, daß die herrlichen Bildhauerarbeiten des Baues von Alexander Colius aus Mecheln[WS 10] herrühren, der bekanntlich auch unter den Meistern des Maximilian-Denkmals in Innsbruck[WS 11] rühmlichst genannt wird.
War die erste Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts für das Schloß eine Zeit kräftigster Bauthätigkeit gewesen, so ruhte diese in den nächsten vierzig Jahren vollständig. Erst 1601 ließ Kurfürst Friedrich der Vierte,[WS 12] der Gründer der Stadt Mannheim, auf der Nordseite des Schloßflugels, im Anschluß an den Neuen Hof, einen zur Aufnahme der Schloßcapelle und der kurfürstlichen Wohnung bestimmten Palast, den Friedrichs-Bau, errichten, der bereits 1607 zur Vollendung kam und 1608 durch die Anlage des ihm vorgelegten großen Schloß-Altans eine stattliche Ergänzung erhielt. Dem Otto-Heinrichs-Bau an gothischem Reiz nachstehend, ist der Friedrichs-Bau, von dessen Baumeistern ebenfalls nur der Schöpfer des bildnerischen Schmucks, Sebastian Götz aus Chur, bekannt ist, gleichwohl eines der charaktervollsten und tüchtigsten Werke deutscher Renaissance, das auf die neue Entwickelung dieses Stils fast einen größeren Einfluß ausgeübt hat, als jener. Unter allen bisher besprochenen Bauten ist er in Verbindung mit dem Schloß-Altan zugleich diejenige Anlage, bei welcher auf die herrliche Umgebung des Bauwerks, wie es scheint, zuerst bewußte Rücksicht genommen wurde.
In noch höherem Grade geschah dies bei denjenigen Bauten, welche Pfalzgraf Friedrich der Fünfte, der „Winterkönig“,[WS 13] von 1612 bis 1618 seiner Gemahlin, Elisabeth von England,[WS 14] zu Liebe aufführen ließ. Durch den als Erfinder der Idee der Dampfmaschine bekannten normännischen Ingenieur Salomon de Caus[WS 15] wurden, mit Aufopferung eines Theils der Festungswerke, rings um das Schloß die prachtvollsten, mit allen Künsten eines raffinirten Geschmacks gezierten Gartenanlagen geschaffen. Auf dem am weitesten nach der Stadt vorspringenden Punkte des Schlosses, dem dicken Thurm, wurde ferner ein großartiger Festsaal errichtet und dieser durch einen neuen Flügel, den englischen oder Elisabeth-Bau, eine im Aeußeren einfache, im Inneren aber um so prunkendere Palastanlage, mit den übrigen Bauten in Verbindung gesetzt.
Die von Friedrich dem Fünften in’s Leben gerufenen Werke waren noch nicht ganz vollendet, als der Dreißigjährige Krieg ausbrach, der den unglücklichen Fürsten zunächst zu jenem kurzen Königstraum nach Böhmen, dann aber als landlosen Flüchtling in die Fremde trieb, aus der nach dem Westfälischen Frieden erst sein Sohn wiederum als Herrscher in die alten Stammlande und zum Sitz der Ahnen zurückkehrte.
Das Schloß war in den Stürmen des Krieges zwar zweimal vom Feinde heimgesucht und seiner kostbarsten Schätze – vor Allem der Bibliothek – beraubt, aber doch nicht so arg beschädigt worden, daß nicht eine Wiederherstellung möglich gewesen wäre, und so prangte die kurfürstliche Residenz bald wieder in ihrer allen Pracht als das reichste und schönste Fürstenschloß Deutschlands, mit dem selbst in ganz Europa nur wenige wetteifern konnten.
Es sind namentlich aus dieser letzten Glanzzeit des Heidelberger Schlosses mehrere Abbildungen erhalten, die uns im Verein mit dem von Salomon de Caus über den kurfürstlichen Garten herausgegebenen Werke und mehreren älteren Schriften eine anschauliche Vorstellung von der in ihrer Art einzigen Anlage gewähren: die bekanntesten in M. Merian’s illustrirter Beschreibung der Pfalz,[WS 16] die schönste die von Ulrich Kraus im Jahre 1683 herausgegebene Radirung, von welcher der beigefügte Holzschnitt ein verkleinertes Facsimile ist.
Sechs Jahre später, 1689, war all diese Herrlichkeit und mit ihr die Blüthe der gesegnetsten Gaue Deutschlands durch die Mordbrennerbanden vernichtet, die Ludwig der Vierzehnte[WS 17] von Frankreich ausgeschickt hatte, um die angeblichen Erbansprüche der an seinen Bruder vermählten pfälzischen Fürstentochter Elisabeth Charlotte[WS 18] geltend zu machen. Was der Verwüstung noch Widerstand geleistet hatte, fiel einer zweiten französischen Heimsuchung im Jahre 1693 zum Opfer; der furchtbaren Gewalt des Pulvers konnten selbst solche gewaltige Werke, wie die Festungsthürme Friedrich’s des Streitbaren und Ludwig’s des Fünften, nicht widerstehen.
Zum Glück war die Arbeit der Zerstörer hier wie anderwärts doch nicht so gründlich, daß nicht wenigstens einzelne Theile
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Ruprecht (1352-1410), Kurfürst der Pfalz
- ↑ Vorlage: S. 751
- ↑ Ruprecht I. (1309-1390), Kurfürst der Pfalz
- ↑ Friedrich I. (1425-1476), Kurfürst der Pfalz
- ↑ Clara Tott (1440-1520)
- ↑ Ludwig V. (1478-1544), Kurfürst der Pfalz
- ↑ Friedrich II. (1482-1556), Kurfürst der Pfalz
- ↑ Franz von Sickingen (1481-1523)
- ↑ Ottheinrich (1502-1559), Kurfürst der Pfalz
- ↑ Alexander Colin (1527-1612), flämischer Bildhauer
- ↑ siehe Grabmal Kaiser Maximilians I.
- ↑ Friedrich IV. (1574-1610), Kurfürst der Pfalz
- ↑ Friedrich V. (1596-1632), Kurfürst der Pfalz
- ↑ Elisabeth Stuart (1596-1662)
- ↑ Salomon de Caus (1576-1626), französischer Ingenieur
- ↑ Heydelberg, in Matthäus Merian: Topographia Palatinatus Rheni. 1645
- ↑ Ludwig XIV. (1638-1715), König von Frankreich
- ↑ Liselotte von der Pfalz (1652-1722)
verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_130.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)