Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Das Heidelberger Schloß.
„Alt Heidelberg, du feine,
Du Stadt an Ehren reich!“[WS 1]
„Deutsche Renaissance“ heißt heute das Schlagwort, wo immer von den Bestrebungen der Baukunst und des Kunstgewerbes die Rede ist. Die phantasievollen Schöpfungen jener Frühlingszeit deutschen Geistes, von der Ulrich von Hutten sagt: „O Jahrhundert, die Geister erwachen; die Studien blühen; es ist eine Lust zu leben!“[WS 2] – jener Zeit des Humanismus und der Reformation, welche zugleich die Zeit Dürer’s[WS 3] und Holbein’s[WS 4] war – sie sind den Künstlern unserer Tage wieder Vorbild und Leitstern geworden. Mit rastlosem Eifer wird aus den Bibliotheken hervorgesucht, was an künstlerischen Entwürfen jener Tage sich gerettet hat, werden die noch erhaltenen Baudenkmäler deutscher Renaissance aufgesucht, studirt, gemessen und gezeichnet. Und betrachtet man die Umwälzungen, die auf Grund dieser Bewegung in dem Aussehen unserer Städte, in unsern Wohnungen und an unserem Geräth sich bereits vollzogen, ermißt man den gewaltigen Fortschritt, den das Kunstvermögen unseres Volkes hierbei gemacht, so wird man nicht daran zweifeln können, daß die Kunst jener Zeit ein dem Genius der deutschen Nation besonders zusagendes Element enthalten muß und daß mit dem Wiederanknüpfen an dieselbe endlich die Grundlage für eine nationale Entwickelung unserer Kunst gefunden worden ist.
Es hat diese Erscheinung um so mehr etwas Wunderbares, als vor anderthalb Jahrzehnten von einer solchen Bewegung noch keineswegs die Rede war. Kaum von wenigen Künstlern und Kunstfreunden gewürdigt, von der großen Menge vergessen und übersehen, wurden die Denkmäler deutscher Renaissance, die heute unser Stolz und unsere Freude sind, fast ebenso gering geschätzt, wie man früher in dem dünkelhaften Bewußtsein, einen „gereinigten Stil“ zu besitzen, auch die erhabenen Schöpfungen mittelalterlicher Baukunst als „barbarisches Schnörkelwerk“ verachten zu können glaubte.
Nur ein Bauwerk jener Periode hat in dieser Beziehung eine Ausnahme gemacht; nur eines ist dem deutschen Volk von jeher theuer gewesen: das Schloß zu Heidelberg!
Freilich haben noch andere Ursachen mitgewirkt, um der ehemaligen Residenz der pfälzischen Kurfürsten eine derartige bevorzugte Stellung anzuweisen. Für Tausende von deutschen Männern aus allen Gauen des Vaterlandes war und ist das Bild des Schlosses unlöslich verknüpft mit der Erinnerung an das fröhliche Burschenleben, das ihnen einst in dem alten Musensitze am Neckar geblüht hat. Sie alle sind begeisterte Verkünder seines Ruhmes geworden, dem vor einigen Jahrzehnten in Victor Scheffel sogar ein eigener gottbegnadeter Sänger erstanden ist. Und seine wesentlichste Begründung findet dieser Ruhm des Heidelberger Schlosses in dem unvergleichlichen malerischen Reize der an hohem waldgeschmücktem Bergabhange belegenen Stätte.
Aber abgesehen hiervon und von dem imposanten Eindrucke, den das Ganze hervorruft, sind es in erster Linie doch die künstlerisch werthvollen Bautheile, die den eigenartigen Vorzug des Heidelberger Schlosses bilden und die ihm den Ruf der schönsten unter allen Ruinen verschafft haben. Wer empfänglichen Sinnes den Schloßhof betreten hat und sein Auge über
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ aus „Alt-Heidelberg“, dem Studentenlied von Joseph Victor von Scheffel. Siehe Wikipedia
- ↑ aus einem Brief Ulrich von Huttens (lateinischer Dichter und Reichsritter, 1488-1523) an den Nürnberger Humanisten Willibald Pirckheimer (1470-1530) vom 25.10.1518
- ↑ Albrecht Dürer (1471-1528), deutscher Maler der Renaissance
- ↑ Hans Holbein der Jüngere (1497-1543), deutscher Maler der Renaissance
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_128.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2023)