Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
|
ist Alles so weit ausgedehnt, so frei und licht. Der Castellan sagte mir freilich, daß der Ort vor einiger Zeit niedergebrannt und dann ganz neu wieder aufgebaut worden sei.“
„Ja, er brannte nieder – bis auf den Grund,“ sagte Raimund, der noch immer unverwandt in das Flammenspiel blickte. Er schien die seltsamen Gebilde zu verfolgen, die dort in einem Momente entstanden und verwehten, zuckend und flüchtig wie die Flammen selbst, und immer neue Bilder und Gestalten zeigten, wenn einer der glühenden Brände nach dem andern zusammenbrach.
„Ich erinnere mich,“ sagte Paul, dem in der That jetzt die Erinnerung an jene Katastrophe aufdämmerte, von der er als Knabe gehört hatte. „Es muß ein schreckliches Unglück gewesen sein. Die armen Leute haben wohl damals all ihr Hab’ und Gut verloren, und wenn ich nicht irre, hat es auch Menschenleben gekostet.“
„Mehr als eins – drei Menschen sind in den Flammen umgekommen.“
„Schrecklich!“ rief Paul, dem es unerklärlich war, wie man mit einer solchen Ruhe von einem derartigen Unglücke sprechen konnte. Die Worte des Freiherrn klangen in der That völlig ausdruckslos; er veränderte seine Stellung nicht, regte sich nicht, aber es war dem jungen Manne, als habe er das Antlitz des Onkels noch nie so starr, so todtenhaft gesehen, wie in dieser Minute, wo es grell und scharf von den Flammen beleuchtet wurde, und die Augen, die sich nicht losreißen zu können schienen von jener Gluth, waren dunkel wie die Nacht und unheimlich wie diese.
Da fuhr ein Windstoß in den Kamin nieder und mitten hinein in die Gluth. Die Flammen schlugen plötzlich mit voller Gewalt seitwärts; sie griffen mit ihren heißen Armen nach dem Manne, der so unbeweglich dort lehnte, nur einen Augenblick lang; dann sanken sie wieder zusammen, aber ihr versengender Athem mußte die Hand gestreift haben, die auf dem Flammengitter lag; denn der Freiherr fuhr mit einem dumpfen, halb gebrochenen Laute empor.
„Hat es Dich getroffen?“ fragte Paul, besorgt hinzutretend. „Das hätte ein Unglück geben können! Du bist doch nicht ernstlich verletzt?“
Statt aller Antwort wandte sich Raimund ab und drückte mit voller Heftigkeit auf die Klingel, deren Ton scharf und laut durch das Gemach schallte.
„Licht!“ herrschte er dem eintretenden Kammerdiener zu, in einem Tone, wie dieser ihn wohl selten von den Lippen seines Gebieters hören mochte: denn er verschwand in höchster Eile. Raimund aber trat mit einer ungestümen Bewegung an das Fenster, riß es auf und lehnte sich weit hinaus, als sei die Luft im Zimmer erstickend geworden.
Schon nach wenigen Minuten kehrte der Diener mit der Lampe zurück, und das Zimmer begann sich zu erhellen. Paul stand befremdet da; er begriff nicht, wie ein jedenfalls nur leichter körperlicher Schmerz Jemanden so erregen konnte; die Flamme konnte den Arm ja kaum gestreift haben. Die Verletzung mußte aber doch empfindlicher sein, als es den Anschein hatte; denn als Werdenfels endlich das Fenster schloß und in das Zimmer zurückkehrte, war er noch bleicher als sonst, und in seinem Gesichte stand ein Zug verbissenen Schmerzes, aber er wies die besorgten Fragen des jungen Mannes kurz, beinahe schroff zurück.
„Es ist nichts, es ist bereits vorüber! Kümmere Dich nicht weiter darum, laß uns von anderen Dingen sprechen!“
Er sprach indessen nicht, sondern begann im Zimmer auf und ab zu schreiten. Paul fühlte instinctmäßig, daß hier etwas vorlag, woran er nicht rühren dürfte, wenn ihm auch der Zusammenhang dunkel blieb. Er kannte bereits diese langen Pausen im Gespräche mit dem Onkel und pflegte sie sonst mit ziemlichem Gleichmuthe zu ertragen, heute aber hatte das immer wieder eintretende Schweigen etwas Bedrückendes für ihn, und er griff rasch zu einem anderen Thema.
„Ich habe Dir eigentlich noch eine Beichte abzulegen, Raimund,“ begann er wieder. „Ich fürchte, ich habe mich in meiner Unkenntniß der hiesigen Verhältnisse zu einem Schritte hinreißen lassen, den Du nicht billigen wirst. Ich bin bei dem Pfarrer von Werdenfels gewesen.“
Der Freiherr blieb stehen und blickte überrascht und finster zu dem jungen Manne hinüber.
„Bei Gregor Vilmut? Wie kamst Du dazu?“
„Es war ein bloßer Einfall. Ich meinte, es sei schicklich und freundlich, dem geistlichen Herrn einen Besuch abzustatten, da unser Stammschloß doch zu seinem Pfarrbezirk gehört. Ich ahnte nicht, daß hier ganz besondere Beziehungen existiren, die meinen Besuch befremdlich erscheinen ließen.“
„Hat man Dich bereits darüber aufgeklärt?“
„Nein, man wies mich wegen der Aufklärung an Dich.“
Raimund’s Stirn umwölkte sich noch finsterer, aber seine Stimme klang unbewegt, als er antwortete:
„Ich hätte Dich in diese Verhältnisse einweihen sollen, die Dir doch früher oder später nahe treten mußten. Es wäre auch geschehen, wenn Du jenen Ausflug gegen mich erwähnt hättest. Du darfst das Pfarrhaus nicht wieder betreten, und es ist am besten, wenn Du Dich überhaupt nicht im Dorfe zeigst.“
„Im Dorfe Werdenfels?“ wiederholte Paul auf’s Aeußerste erstaunt. „In Deinem Dorfe?“
„Ja! Du trägst meinen Namen, und der Name wird dort gehaßt. Wenn Du wieder nach dem Schlosse reitest, so wähle den directen Weg über den Schloßberg!“
Er nahm seinen Gang durch das Zimmer wieder auf und schien das Gespräch fallen lassen zu wollen, aber Paul, der sich nur neuen Räthseln gegenüber sah, wo er eine Aufklärung erwartet hatte, hielt diesmal den Gegenstand der Conversation fest.
„Verzeih, daß ich noch eine Frage an Dich richte! Es ist nicht Neugier, aber ich muß mich doch einigermaßen orientiren: Dieser Pfarrer Vilmut ist Dir feindlich gesinnt?“
„Ja!“ sagte Raimund kalt. „Wir sind Feinde.“
„Und er hat vermuthlich seine Stellung benutzt, um auch die Gemeinde gegen Dich aufzuhetzen?“
„Das war kaum mehr nöthig! Indessen er hat redlich das Seinige gethan, um einen Haß, der noch von alten Zeiten her bestand, unauslöschlich zu machen.“
„Aber mein Gott!“ rief Paul. „Was giebt denn diesem einfachen Dorfpfarrer das Recht, dem Freiherrn von Werdenfels in solcher Weise gegenüberzutreten?“
Raimund zuckte die Achseln.
„Was ist einem Priester der Freiherr von Werdenfels! Er hat sich unter der geistlichen Zuchtruthe zu beugen, wie jeder Andere, und thut er es nicht, so läßt man ihn diese Zuchtruthe fühlen. Du weißt nicht, was ein Priester sich hier zu Lande dünkt und welche Rolle er auch in Wirklichkeit bei dem Volke spielt. Vilmut’s Einfluß zumal ist ein unbeschränkter und reicht weit über seine Gemeinde hinaus. Wie hat er Dich empfangen?“
„Sehr kühl, aber doch mit allen Formen der Höflichkeit. Ich traf ihn allerdings nicht allein; er hatte Besuch von Verwandten aus der Nachbarschaft.“
Der Fuß des Freiherrn schien auf einmal am Boden zu wurzeln; so jäh hemmte er seinen Schritt.
„Von Verwandten – aus Rosenberg?“
„Ganz recht! Es waren zwei Damen, eine junge Frau mit ihrer Schwester.“
„Ich weiß – Anna Vilmut!“
„Anna von Hertenstein, meinst Du?“
„Ja so – die Frau Präsidentin von Hertenstein! Ich vergesse das immer wieder!“
Die Worte klangen eisig, aber es wehte wie Hohn daraus hervor. Paul erschrak; denn er sah seine Befürchtungen bestätigt: auch Frau von Hertenstein war in jene Feindschaft eingeschlossen, die sich auf die ganze Vilmut’sche Familie zu erstrecken schien.
„Ich glaubte nicht, daß Du so genau über die Verhältnisse der Nachbarschaft unterrichtet seist,“ sagte er mit einiger Befangenheit. „Du hast Dich ja schon seit Jahren von allem Verkehr zurückgezogen.“
Um Raimund’s Lippen zuckte ein Ausdruck unendlicher Bitterkeit.
„Gewiß, aber das habe ich doch noch erfahren! Die Heirath machte damals Aufsehen; ein achtzehnjähriges Mädchen, das einem Greise die Hand reicht, ist immerhin etwas Ungewöhnliches. Man verdachte es der jungen Dame doch einigermaßen, daß sie diese ‚glänzende Partie‘ machte.“
„Man thut ihr Unrecht!“ rief Paul in leidenschaftlicher Aufwallung. „Sie mag überredet, gezwungen worden sein; sie hat sich vielleicht für arme Eltern oder Geschwister aufgeopfert. Ich
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_123.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)