Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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No. 8. | 1883. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Gebannt und erlöst.
Paul stutzte; es war nicht die plötzliche Aenderung des Tones, die ihn so überraschte, sondern die Aeußerung selbst. „Sterne versinken!“ Dieselben Worte, die er damals auf dem Meere von anderen Lippen vernommen hatte, und derselbe bittere herbe Ausdruck! Es konnte natürlich nur ein Zufall sein; es war ja Niemand Zeuge jenes Gespräches gewesen, aber der Zufall berührte den jungen Mann doch seltsam, fast wie die Ahnung irgend eines Unheils.
Raimund faßte sein Schweigen anders auf. Er glaubte offenbar, ihn mit jenen Worten gekränkt zu haben; denn nach einer kurzen Pause setzte er milder hinzu:
„Du freilich hast noch ganz andere Ansichten von dem Leben und der Liebe, und ich will Dir nicht vorzeitig Deine Illusionen rauben. Die Täuschung ist ja auch ein Glück, und es giebt Menschen, die zeitlebens nicht daraus erwachen. Du liebst also – und wirst vermuthlich wieder geliebt.“
Paul sah zu Boden.
„Ich weiß es nicht,“ entgegnete er leise, „weiß nicht einmal, ob ich Hoffnung hegen darf; denn ich habe noch keine Erklärung gewagt. Du begreifst, Raimund – ich kann einer Frau überhaupt nichts bieten; ich muß abwarten, wie Du meine Zukunft gestaltest.“
Der Blick des Freiherrn ruhte forschend auf dem jungen Manne, der seine Abhängigkeit vielleicht noch nie so bitter empfunden hatte, wie in dieser Minute.
„Daher also Deine plötzliche Neigung für das Landleben!“ sagte er. „Ich dachte es mir; aber Du sollst Dich nicht über mich zu beklagen haben, Paul, vorausgesetzt, daß Deine Wahl eine vernünftige, eines Werdenfels würdige ist.“
„Du wirst nicht das Geringste dagegen einzuwenden haben,“ rief Paul mit aufflammender Lebhaftigkeit. „Auch gegen die äußeren Verhältnisse nicht, und was nun vollends die Persönlichkeit betrifft –“
„So ist Deine Erwählte natürlich ein Ideal!“ ergänzte Raimund. „Die Geliebte ist das immer, bis man sich eines Tages enttäuscht sieht. Doch gleichviel – ich will Deinem vermeinten Glücke nicht im Wege stehen, und Du hast Recht: mit dieser demüthigenden Abhängigkeit kannst Du nicht um eine Frau werben; ich werde Dich davon befreien. Buchdorf wird im nächsten Frühjahre pachtfrei; Du magst das Gut einstweilen übernehmen und sehen, ob Dir das Landleben wirklich zusagt. Ist das der Fall, so trete ich Dir Buchdorf als Eigenthum ab; die Einkünfte sind nicht unbedeutend, und der Gutsherr von Buchdorf kann überall mit seinem Antrage hervortreten.“
Paul glaubte nicht recht gehört zu haben. Er kannte Buchdorf zwar noch nicht, war aber doch hinlänglich über die Werdenfels’schen Besitzungen orientirt, um zu wissen, daß er damit ein Rittergut von ganz bedeutendem Werthe empfing, und dies fürstliche Geschenk wurde ihm so ganz beiläufig zugesprochen, ohne daß der Geber irgend einen besonderen Werth darauf zu legen schien.
„Du willst mir Buchdorf abtreten?“ fragte er in freudiger Bestürzung, „ich soll es als Eigenthum besitzen? O Raimund, wie kann ich Dir jemals –“
„Nur keinen Dank!“ unterbrach ihn Werdenfels mit einer abwehrenden Bewegung. „Du weißt, ich liebe das nicht. Du bist mein Erbe und empfängst damit nur einen Theil Deines dereinstigen Erbtheils; es ist nicht nöthig, daß Du auf meinen Tod wartest; aber brechen wir ab!“
Paul kannte den Onkel bereits genug, um zu wissen, daß er jetzt kein Wort weiter äußern dürfte, aber ihm war zu Muthe, als hätte man ihm mit den Dankesworten, die sich so warm und herzlich auf seine Lippen drängten, auch jedes Dankgefühl genommen; er sah ja, wie lästig es dem Freiherrn war, der wie gewöhnlich mit vollen Händen gab und sich dann gleichgültig abwendete. Es verletzte den jungen Mann tief, daß Raimund nicht einmal nach dem Namen seiner Erwählten fragte, nicht einmal zu wissen verlangte, ob sie eine Italienerin oder eine Deutsche sei. Er hatte die Versicherung empfangen, daß die Partie eine vernünftige, das heißt standesmäßige war, und damit war sein Interesse an der Sache erschöpft – er schob sie weit von sich.
„Du hattest die Güte, meinen Arnold rufen zu lassen,“ unterbrach Paul endlich das eingetretene Schweigen. „Er wartet draußen im Vorzimmer.“
„Ah richtig!“ sagte der Freiherr, der sich jetzt erst der Sache zu erinnern schien. „Laß ihn eintreten!“
Paul öffnete die Thür des Nebenzimmers, wo sich der Kammerdiener Raimunds befand, und gab ihm die nöthige Weisung. Gleich darauf erschien Arnold und näherte sich mit unendlichem Selbstgefühl und unendlicher Neugierde dem „Chef der Familie“, dem er in Anbetracht dieser Eigenschaft eine wirklich tiefe und respectvolle Verbeugung machte.
Die Augen des Freiherrn glitten flüchtig und theilnahmlos über den alten Diener hin; selbst die eigenthümliche Art, mit der sich dieser brieflich bei ihm eingeführt hatte, vermochte es nicht,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_121.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2023)