Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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und einer Breite von gegen 350 Meter dahinströmenden Fluß bewerkstelligt und damit das ersehnte Ziel, das Land der Tussilange, erreicht. Gleich am anderen Ufer trafen die Reisenden einen zufällig in Handelsgeschäften anwesenden Häuptling, den Kingenge, der sie sofort zu sich einlud und versprach, sie zu dem im äußersten Osten des Landes gelegenen See Mukamba zu geleiten.
Um auch diese Chance des Gelingens wahrzunehmen, wurde eine vorläufige Trennung beschlossen: Wißmann sollte den Kingenge begleiten, der nur drei Meilen südöstlich vom großen Häuptling Mukenge wohnt, während Pogge, dem ursprünglichen Plane treu, diesen aufsuchen sollte. So geschah es, und am 30. October, nach zweiundsechszig Marschtagen von Kimbundo aus, traf Pogge beim Mukenge ein, der ihn mit vieler Freude empfing und noch an demselben Tage erklärte, daß er schon von dem Anerbieten des Kingenge gehört habe. „Dieser sei aber nur ein abtrünniger Vasall; er sei der mächtigere und legitime Häuptling (Kalamba) und werde selbst seine Gäste, wenn sie wollten, nach dem Mukamba und wohin sie sonst verlangten, bringen.“
Auch im Uebrigen gestalteten sich die Verhältnisse bei den liebenswürdigen, übrigens noch über und über tätowirten Tussilange und die Aussichten für die Weiterreise überaus günstig. Der Häuptling und sein Volk überboten sich, den fremden Gästen Freundschaft (Lubuku) zu erweisen; vor Allem aber erklärte sich auch ein ausreichender Theil der nur bis Mukenge engagirten Malange-Träger, einige dreißig, bereit, die Weiterreise mitzumachen, die nach Pogge’s letztem, vom 27. November 1881 datirten (und am 28. Juli 1882 in Berlin eingetroffenen) Schreiben am 29. November angetreten werden sollte.
Ueber den Weg zum Lualaba, wie der obere Lauf des Congo von den Eingeborenen genannt wird, wußten die Tussilange selbst nur etwa zwanzig Tagereisen weit Bescheid. Gleich östlich von Mukenge sollte der Lulua überschritten werden und am andern Ufer die Wiedervereinigung mit Wißmann stattfinden. Weiter sollte der Weg zehn Tage in nordöstlicher Richtung durch Tussilangeland führen bis zum Mukamba, der entgegen den Erkundigungen Schütt’s nur ein unbeträchtliches Seebecken zu sein scheint; dann sollte im Gebiete der bisher nicht einmal dem Namen nach bekannten Mobondi der Lubilaschfluß überschritten werden. Mukenge selbst wollte die deutsche Expedition begleiten und hatte ursprünglich die Absicht, unter Anderem seine sämmtlichen vierzig bis fünfzig Weiber mit auf die Reise zu nehmen, wogegen Pogge indessen entschieden protestirte; höchstens wolle er zwei bis vier zugestehen, und auch das männliche Gefolge dürfe nicht über vierzig bis fünfzig Köpfe zählen. Der Häuptling gab denn auch nach und ließ sagen, nur so lange die Reise durch sein eigenes Gebiet gehe (wo nämlich die Verpflegung requirirt wird!), werde er ein größeres Gefolge haben.
Nach glücklicher Erreichung des Lualaba und der damit erfolgten Beendigung der eigentlichen Entdeckungsreise beabsichtigte Pogge die Weiterreise zur Ostküste Wißmann allein zu überlassen, selbst aber mit der Karawane zum Mukenge zurückzukehren, um bis Ende 1882 in dem nach seinem Urtheile zu einer Stationsanlage vorzüglich geeigneten, fruchtbaren und von den Tussilange, geschickten Ackerbauern, wohl cultivirten Lande zu verweilen, dann aber die Rückreise zur Westküste anzutreten.
„Ob die Reise zum Lualaba gelingen wird, können wir mit Sicherheit natürlich nicht wissen, aber wenn wir nicht wagen, können wir auch nicht gewinnen –“ das war das einfache Urtheil, welches Pogge über seine Aussichten in dem letzten Briefe abgab.
Einen Ueberblick über den Verlauf des zweiten, wichtigeren Theils der Reise geben wir auf Grund des ersten, ausführlicheren Berichts, welcher soeben der „Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland“ von Seiten Wißmann’s zugegangen ist. Freilich deutet dieser erste Bericht manchen wichtigen Punkt nur flüchtig an, da sich der Reisende, der zwei Jahre lang in dem tückischen Klima Südafrikas seine Gesundheit bewahrt hatte, auf der Fahrt im Rothen Meer eine Erkältung zugezogen, die ihn in Kairo an’s Bett fesselte und ihn zwang, seinen Bericht sehr knapp zu fassen.
Mit dem Verlassen des Tussilangelandes nimmt die Reise einen ganz neuen Charakter an.
Hier hat noch nicht der länderverbindende Handel vorgearbeitet; die Kenntniß der Tussilange selbst von den Völkern im Osten reichte nur wenige Tagereisen über die eigenen Grenzen hinaus; weiterhin ersetzten allerlei fabelhafte Schreckensgeschichten von den dort hausenden Menschenfressern und wunderbare Märchen von wilden Zwergvölkern die fehlenden Kenntnisse und wirken nicht gerade belebend auf den Muth und die Reiselust der Begleiter unserer deutschen Forscher. Von dem Ziele selbst, welches diese sich gesteckt hatten, von dem großen Strom und den Niederlassungen arabischer Händler an seinen Ufern war keine Kunde zu den Tussilange gelangt, und – was erfahrungsmäßig immer am meisten erschwerend bei größeren afrikanischen Entdeckungsreisen gewirkt hat – es fehlte hier naturgemäß allen Betheiligten, den Trägern wie den Tussilange, an jedem Verständniß für den eigentlichen Zweck eines solchen Zuges in’s Blaue. Unter diesen Umständen ist es in hohem Grade merkwürdig und bewundernswerth, daß es Pogge gelang, den Mukenge zu dem für einen Negerfürsten ganz außerordentlichen Wagstück zu bestimmen, ihm mit den eigenen Leuten zu diesen unbekannten Ländern das Geleit zu geben. Und diese Begleitung war, wie wir gleich sehen werden, entscheidend für das Gelingen des ganzen Werkes, da die eigenen von Malange mitgebrachten Träger um so viel früher den Muth verloren, wie ihre Heimath weiter zurücklag als die der Tussilange.
Anfang December brachen beide Reisende, die sich, wie wir erwähnt haben, im Tussilangeland getrennt hatten, auf Verabredung gleichzeitig von den Sitzen ihrer respectiven Gastfreunde, der Häuptlinge Mukenge und Kingenge, auf, überschritten den nahen Lulua und vereinigten sich am rechten Ufer dieses Flusses. Die Zahl der von Mukenge als Bedeckung mitgenommenen Tussilange betrug gegen 200.
Gleich mit Ueberschreitung des Lulua nahm die Landschaft einen ganz veränderten Charakter an: während bis dahin der für Westafrika typische lichte Savannenwald auf den Landrücken zwischen den Flußthälern vorgeherrscht hatte, begannen nun weite, über alle Erwartung stark bevölkerte Prairien. Zunächst, Mitte December, wurde der Mukambasee erreicht, ein verhältnißmäßig unbedeutendes Seebecken, welches den durch Schütt’s Erkundigungen sehr hochgespannten Erwartungen nicht entspricht. Schon hier, noch im Machtbereich der Tussilange, sank den Malange-Trägern der Muth, sodaß nichts übrig blieb, als den größten Theil dieser unzuverlässigen Genossen auszumustern. Hätte man nicht ihre Lasten auf die Tussilange vertheilen können, so wäre schon hier ein vorzeitiges Ende der Expedition kaum zu vermeiden gewesen.
Durch das Land der prachtvoll wild bemalten Baschilange, die übrigens wie alle Völker vom Kassaï an bis weit östlich vom Sankuru zu dem großen Stamme der Luba gehören, gelangten die Reisenden am 5. Januar 1882 an den im Schmucke herrlichster Tropenvegetation dahinfließenden Lubi, einen Nebenfluß des Lubilasch. Mit der Ueberschreitung des Lubi hörte jede sichtbare Spur einer durch den Handel vermittelten Einwirkung der Cultur auf; die Reisenden hatten die heute auf der ganzen Erde nur noch so überaus selten gebotene Gelegenheit, durchaus ursprünglich entwickelte Zustände kennen zu lernen; sie fanden die dortigen Stämme, zunächst die Bassonge, obgleich sie wirklich großentheils Cannibalen sind, in einem ganz überraschend hohen Culturzustande, ganz ebenso wie seiner Zeit Georg Schweinfurth die damals noch fast unberührten, übrigens gleichfalls cannibalischen Monbuttu, südlich von Welle. In schönen, reinlichen Dörfern, deren geräumige, nette Häuser, von eingezäunten Gärtchen umgeben, sich in schnurgeraden Straßen an einander reihen, überschattet von Oelpalmen und Bananen, leben die Bassonge, ein zahlreicher, schöner und kräftiger Menschenschlag, reich an allen Bedürfnissen des Lebens, nicht nur durch den üppigen, natürlichen Reichthum ihres Landes, sondern auch durch eigene Kunstfertigkeit. Sie sind gewandt in Bearbeitung des Eisens, Kupfers, Thones, Holzes, in Herstellung eigenthümlicher Kleiderstoffe und hübscher Korbflechtereien.
Schon dieser Stamm gehört, wenigstens nominell, zu dem Reiche Kotto, welches von dem uralten, blinden, geheimnißvollen König Katschitsch beherrscht wird. Ehe seine unter 5° 7’ südlicher Breite am Lubilasch gelegene Residenz am 14. Januar erreicht wurde, hatten die Reisenden in zwei Gewaltmärschen einen unbewohnten, nur von Elephanten, Büffeln und Warzenschweinen belebten Urwald zu passiren.
Es fehlte nicht viel, so wäre bei Katschitsch die deutsche Expedition zum Scheitern gekommen. Der alte Häuptling wollte nämlich die mächtigen Fremdlinge gar zu gern seinen politischen Zwecken dienstbar machen und sie zur Theilnahme an einem Rachezug
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_114.jpg&oldid=- (Version vom 16.2.2023)