Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Murr 1564 durch Hakenschützen zur Huldigung zu zwingen. Aus Beguinenhäusern machte er Lateinschulen oder Spitäler, und waren die Zöglinge der Klosterschule bisher sehr verwahrlost worden, so schufen Christoph und der Reformator Brenz hier ganz neue Verhältnisse.
Von Klosterpräceptoren wurden von nun an die zu Geistlichen bestimmten Knaben in der Bibel, der christlichen Glaubenslehre, der Dialektik und Rhetorik, den Classikern etc. unterwiesen, und nur Latein durfte von Lehrern und Schülern im Verkehre gesprochen werden. So durchgreifend wie in Württemberg wirkten diese Lateinschulen nirgends im Reiche, nicht nur auf die ganze theologische Richtung, sondern auch auf das gesammte Geistesleben ein. Verfassungsgemäß wurden aus dem Kirchengute vierthalbhundert klösterlich gekleidete Jünglinge unterhalten, und auch die großen Einkünfte, welche dem Herzoge aus den aufgehobenen Klöstern zuflossen, verwendete er auf das Gewissenhafteste zu Zwecken der Kirche und Schule; so verdankten ihm die Gelehrten- wie die Volksschulen Leben, Licht und Liebe.
Der große Maler der Reformationszeit, Professor Wilhelm Lindenschmit in München, führt uns den edlen Christoph in einem farbenprächtigen Bilde, dessen Wiedergabe in Holzschnitt die gegenwärtige Nummer der „Gartenlaube“ schmückt, vor Augen, wie er auf einer seiner beliebten Jagdstreifereien ein zur Schule umgewandeltes Kloster betritt, um sich von den Fortschritten seines ganz Württemberg umfassenden Erziehungswerks zu überzeugen. In seinem Gefolge bemerken wir zwei von den acht Töchtern, welche ihm Anna Maria von Brandenburg in glücklicher Ehe schenkte und die selbst in der lateinischen Sprache gut bewandert waren; außerdem treten uns auf dem Bilde mehrere Cavaliere, von denen der alte im Vordergrunde besonders treffend und ausdrucksvoll gezeichnet ist, Geistliche, Lehrer und Schüler der Anstalt entgegen. Ein echter Duft und Reiz ist über die ganze Scene, die sich im Banne des gewaltigen Baumes abspielt, ausgegossen; Alles athmet Frische und trägt den Stempel eigenster Charakteristik.
Leider war dem großen Herzoge kein langes Leben, Württemberg keine lange Dauer seines segensreichen Regiments beschieden. Podagra und andere Beschwerden peinigten ihn, und wenn er trotzdem auch nicht in seinem unermüdlichen Wirken zum Wohle seines Volkes erlahmte, so wußte er doch, daß sein Stündlein bald schlagen werde; er gab „auf das Flickwerk an einem alten Hause“ nicht viel und antwortete der besorgten Herzogin: „Ein kühl Erdreich wird mein Doctor sein.“ An ihrem Geburtstage, dem 28. December 1568, verschied er sanft. Seine Leiche ruht in der Tübinger Gruft; sein Gedächtniß lebt im Herzen aller Württemberger und sicher auch aller dankbaren Deutschen für und für.
Der Augenspiegel.
Die culturgeschichtliche Abgrenzung des Zeitalters der weltumgestaltenden Entdeckungen ist uns Allen geläufig; nicht so diejenige eines Säculums weltbewegender Erfindungen. Aber späteren Geschlechtern wird unser Jahrhundert ohne Zweifel als das der Erfindungen gelten. Geht doch die bekannte Forderung, welche Baco von Verulam vor zwei Jahrhunderten aufstellte, das Wissen müßte zu Erfindungen und diese müßten dann zur Erhöhung der Macht des Menschen führen, heute fast wunderbar in Erfüllung. Das „Hohe Lied“ des Sophokles auf die letztere:
„Vieles Gewaltige lebt und nichts,
Was gewaltiger, als der Mensch …
Mit klugen Erfindungen
So über Verhoffen begabt,
Neigt bald er zum Guten, bald zum Bösen“
hat erst heute seine volle, von allen Früheren kaum geahnte Geltung zum Theile errungen und scheint dieselbe noch mehr in Zukunft erringen zu sollen. Das darf man ohne Uebertreibung sagen.
Im Fluge fahren wir mit dem Dampfe über Länder und durch Meere; wir schreiben in Augenblicksgeschwindigkeit mit der Kraft des Blitzes, welche bei den Alten nur als das Zeichen der Macht des höchsten Gottes galt, heute aber nach dem Gebote des Menschen unsere Nächte erhellt. Und bald dürfte diese Naturgewalt uns auch noch die bisherigen Dienste des Dampfes leisten und dieser dann nur ihr Diener sein; denn heutzutage erleben selbst die Naturkräfte ihre jähen Schicksalswechsel. Wenn jemals Wunder geschehen, so geschehen sie unter unseren Augen!
Ist es nicht ein solches, daß wir aus ungemessenen Fernen des Raums, über die uns nur auf mühsamen Umwegen eine unvollkommene Vorstellung möglich wird, die chemischen Bestandtheile der Fixsterne und der entferntesten Nebelflecke, ja der bisher wesenlosen Kometen festzustellen vermögen? Ist es nicht eine ähnliche Erweiterung unserer Kenntnisse in Bezug auf den Menschen selbst, daß wir in das Innerste seines Auges hineinsehen können? Und doch – wie Viele finden noch etwas Großes darin? Wir Heutigen sind für die Wunder, die uns umgeben, fast blind geworden, weil sich uns fast täglich neue Wunder erschließen.
Erst zweiunddreißig Jahre sind verflossen, seit die wissenschaftliche Welt mit Staunen und die Krankenwelt mit hellem Frohlocken das bis dahin Unmögliche verwirklicht sah: das Dunkel, welches seither undurchdringlich das Innere gerade unseres Lichtorgans umschloß und verhüllte, war völlig erhellt und damit der Heilkunst eine neue Bahn erobert worden.
Zwar sangen und sagten von jeher die Dichter und glaubten die klugen Alten sammt den unerfahrenen Jungen, daß man Jedermann und vor Allem Jedermännin „tief in’s Auge“ zu schauen vermöge! Und doch war das immer nur eitel Dichtung oder hinkendes Gleichniß und arge Selbsttäuschung: nur vier bis fünf Millimeter tief konnten sie Jemandem in die Augen sehen, also nur bis zur Tiefe der farbigen Regenbogenhaut (vergl. Fig. 1). Das war aber gewiß nicht tief! Nicht einmal die kurze Reststrecke von etwa zwei Centimeter Länge, von da bis zum Grunde des Augapfels, an dem der Sehnerv vom Gehirn her in diesen eintritt, um sich als Seh- oder Netzhäutchen, wie es gewöhnlich genannt wird, auszubreiten, konnte man sehend durchdringen; durch das, mit Ausnahme der Kakerlaken, bei allen gesunden Menschen bekanntlich tiefschwarze Dunkel der Pupille drang nie zuvor ein Blick!
Nur selten sah einmal des Abends Jemand zufällig das Auge von Thieren, noch seltener das des Menschen „unheimlich“ leuchten, bei jenen in grünem, bei diesem in rothem Schein. Den Grund jenes Dunkels und dieses Leuchtens wußte man nicht zu deuten, obwohl schon seit dem Jahre 1704 an den physikalischen Bedingungen, besonders des letzteren, vielfach von bedeutenden Naturforschern herumgeklügelt worden war.
Es fehlte vor Allem, um zu dieser Erklärung zu gelangen, an der richtigen naturwissenschaftlichen Fragestellung, welche von jeher bis heute die halbe, in unserem Falle sogar die ganze Erfindung in sich barg.
Jene gelang erst, und zwar in geradezu verblüffender Einfachheit, einem jungen Königsberger Professor, der sich damit erstmals als ein würdiger Jünger Kant’s erwies, und lautete: Warum erscheint die Pupille bei allen Menschen schwarz? Weshalb sehen wir vom Augeninnern nichts?
Die Antwort, ihres streng physikalischen Gewandes entkleidet, lautete folgendermaßen: Die Pupille erscheint in allen gesunden Augen schwarz, weil vermöge des optischen Baues unseres Auges von dem „Meer von Licht“, das durch jene in dieses dringt, einestheils vieles allda aufgesaugt (absorbirt) wird, anderntheils der nach außen zurückkehrende kleine Rest wieder direct zu seinem Ausgangspunkte geht.
Wenn wir die Pupille eines Anderen betrachten, sehen wir also nichts, als das Bild unseres eigenen dunklen Augeninnern, unserer eigenen schwarzen Pupille. Darin lag das Ei des Columbus für diesen Fall. Jedoch auch selbst bei erhellter Pupille, also beim Augenleuchten, sehen wir von den inneren Theilen eines fremden Auges nichts, weil die von diesem ausgehenden Strahlen vermöge der optischen Wirkung desselben als einer mit Sammellinse versehenen Camera obscura, den Beobachter nur zusammengehend, das ist convergent, treffen. Wir vermögen aber unter gewöhnlichen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_110.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2023)