Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Empfindungen gekannt hatte, waren Tändeleien gewesen, denen er selbst keinen tieferen Werth beigelegt hatte und die sich ebenso flüchtig knüpften wie lösten. Jetzt zum ersten Mal fühlte er sich tief und nachhaltig gefesselt, obgleich er Frau von Hertenstein kaum dreimal gesehen und gesprochen hatte, und eben weil sie gar keinen Werth auf seine Huldigung zu legen schien und ihm die Annäherung in jeder Weise erschwerte, suchte er diese um so eifriger.
Er wußte allerdings, daß diese Annäherung hier nur eine Bewerbung sein konnte und durfte, aber er war auch fest entschlossen, die schöne Wittwe zu erringen, koste es, was es wolle. Freilich bedurfte er dazu der Zustimmung des Freiherrn, von dem er nun einmal abhängig war, aber Paul rechnete auch in dieser Beziehung auf die Großmuth seines Onkels, dem es bei seinem Reichthume sicher nicht darauf ankam, die Zukunft seines Verwandten und einstigen Erben zu sichern. Die Hauptsache blieb die Bewerbung selbst, und der junge Mann zählte mit Ungeduld die Tage, die er nothgedrungen verstreichen lassen mußte, ehe er es wagen konnte, die Bekanntschaft zu erneuern und den lang ersehnten Besuch in Rosenberg zu machen.
Endlich war die Woche verstrichen, und schon am nächsten Vormittage ritt er nach Rosenberg, das von Felseneck ungefähr ebenso weit entfernt lag wie Werdenfels und in zwei Stunden zu erreichen war. Aber der Zufall schien ein boshaftes Spiel mit der Sehnsucht des jungen Mannes zu treiben! Frau von Hertenstein war ausgefahren und kehrte erst gegen Abend zurück. Der alte Gärtner, der das Gitterthor geöffnet hatte und die Auskunft gab, mußte wohl glauben, daß es sich um eine sehr wichtige Angelegenheit handele, weil der fremde Herr ein gar so verzweifeltes Gesicht machte, und fügte deshalb tröstend hinzu, die gnädige Frau sei in Werdenfels bei ihrem Verwandten, dem Herrn Pfarrer.
Paul dankte und wandte schleunigst sein Pferd nach der Richtung von Werdenfels. Er sagte sich zwar, daß es sich nicht schicke, die Dame, der er noch so fern stand, in einem fremden Hause aufzusuchen, aber wer hinderte ihn denn, dieses Zusammentreffen für einen Zufall auszugeben? Um die Sache recht unverfänglich zu gestalten, brauchte er nur vorher im Schlosse einen kurzen Besuch abzustatten. Es war am Ende natürlich, daß er den Stammsitz seiner Familie einmal zu sehen wünschte, und ebenso natürlich, daß er auf dem Rückwege durch das Dorf bei dem Pfarrer einsprach; sein Onkel hatte ja alle möglichen Patronats,- und sonstigen Rechte über Werdenfels. Der Neffe aber hegte doch eine gewisse Scheu vor dem ernst fragenden Blick seiner schönen Reisegefährtin, und so groß auch seine Sehnsucht war, sie wieder zu sehen, er hätte um keinen Preis der Welt als zudringlich erscheinen mögen.
Ein scharfer Ritt von einer halben Stunde brachte ihn nach Werdenfels, und der Castellan, dem er sich zu erkennen gab, beeilte sich, das Schloß und die Gärten zu zeigen. Paul fand auch hier dieselbe öde Pracht wie in Felseneck, die sorgfältig geschont und erhalten wurde, aber keinem Menschen diente und keinen erfreute; nur war hier alles freier, lichter und freundlicher. Auch Werdenfels war ein beinahe fürstlicher Wohnsitz, welcher der Stolz jedes anderen Besitzers gewesen wäre, und jetzt bekam es seinen Herrn nicht einmal zu Gesichte.
Paul hätte unter anderen Umständen wohl dem Orte, von dem sein Geschlecht den Namen führte, ein eingehenderes Interesse gewidmet, heute war er etwas zerstreut und eilig, aber er konnte doch einen Ausruf der Ueberraschung nicht unterdrücken, als der Castellan ihn auf die große Terrasse führte.
Das Schloß stand auf einer mäßigen Anhöhe; zu seinen Füßen lag auf der einen Seite das Dorf, ein großer, freundlicher Ort; auf der anderen erstreckten sich die Gärten, die es wie mit einem großen, blühenden Kranze umgaben und selbst jetzt im Spätherbste noch einen Theil ihres Schmuckes zeigten. An dem Dorfe und den Gärten vorüber aber schoß mächtig und brausend der Bergstrom, der oberhalb Felsenecks aus dem Gebirge hervorbrach. Er tobte hier allerdings nicht so wild, wie dort oben in dem engen Thale, aber er schien doch unter Umständen gefährlich werden zu können; denn der ganze Park war an jener Seite durch breite Stein- und Erdwälle geschützt. Man hatte sie zwar sehr geschickt in die Anlagen hineingezogen und sie ganz mit Hecken und Gesträuchen bedeckt, sodaß sie das Malerische des Parkes noch erhöhten, aber sie schienen doch nur der Nothwendigkeit ihr Dasein zu verdanken.
„Das ist herrlich!“ sagte Paul, dessen Blick von dem reichen Landschaftsbilde, das sich dort in der Ferne ausrollte, wieder zu den Rasenflächen und Baumgruppen des Parkes zurückkehrte, „solche Anlagen hat ja kaum ein Fürstenschloß aufzuweisen.“
„Ja, die Gärten von Werdenfels sind auch weit in der ganzen Umgegend berühmt,“ versetzte der Castellan mit Stolz. „Der Großvater unseres jetzigen Herrn hat sie mit ungeheuren Kosten angelegt. Der verstorbene Freiherr hatte freilich keine besondere Neigung für solche Dinge, aber er war doch sehr stolz auf diesen Schmuck seines Schlosses und wachte sorgfältig darüber, daß er in seinem vollen Umfange erhalten blieb. Nun, erhalten wird das alles ja auch jetzt noch, aber –“ Er brach ab und fügte dann in einem beinahe wehmüthigen Tone hinzu: „Es ist das erste Mal, daß wir wieder Jemand von der Herrschaft zu sehen bekommen, Herr Baron – das ist in Jahren nicht geschehen.“
Paul zuckte die Achseln.
„Mein Onkel liebt nun einmal Werdenfels nicht; er zieht den Aufenthalt in Felseneck vor. Aber die Unterhaltung dieser Anlagen muß ja jährlich eine Riesensumme kosten!“
„Das kostet sie auch,“ bestätigte der Castellan. „Es giebt nicht Viele im Lande, die dergleichen durchführen können; unser Herr kann es freilich. Sehen Sie, Herr Baron“ – er beschrieb mit der Hand eine weite Bogenlinie – „das alles ringsum gehört zu Werdenfels, und dort hinter den Wäldern liegen die anderen Güter des Herrn, und die großen Bergforsten von Felseneck sind ja auch sein Eigenthum.“
Der Blick des jungen Mannes folgte der bezeichneten Richtung. Jawohl, es war ein riesiger Besitz, und das alles lag in der Hand eines Mannes, der nicht das mindeste Interesse dafür zeigte und sich jahraus jahrein in seine Felseneinsamkeit vergrub. Paul unterdrückte einen Seufzer bei diesem Gedanken und fragte dann ablenkend:
„Aber was sind denn das für seltsame grüne Mauern, die den Park dort drüben abgrenzen? Es sieht ja aus, als wäre er auf jener Seite mit einem Festungswall umgeben.“
„Das geschieht des Flusses wegen,“ erklärte der Castellan. „Er kann bisweilen recht wild sein und hat früher regelmäßig im Frühjahr und Herbst dem Parke Schaden gebracht. Wenn das Wasser aber einmal ernstlich ausgebrochen wäre, dann hätte es mehr gekostet, als den Park allein. Die ganzen Werdenfels’schen Besitzungen liegen ja in der Thalsenkung, und die wären in solchem Falle verloren gewesen. Der verstorbene Freiherr hat deshalb die Schutzwälle aufführen lassen; da ist Stein an Stein gemauert, und die Erde und die Hecken halten sie nun vollends eisenfest zusammen. Das reißt kein Bergwasser fort, und wenn es noch so wild ist.“
„Aber das Dorf liegt ja auf derselben Seite,“ warf Paul ein, „und dort sehe ich nicht die mindeste Schutzvorrichtung.“
„Das ist den Leuten zu kostspielig gewesen,“ meinte der Castellan achselzuckend. „Die Gemeinde ist nicht reich; sie hat schon Noth und Mühe genug, nur das Nothwendigste zu schaffen, und solch ein Bau kostet Tausende. Man verläßt sich eben auf sein gutes Glück und auf den lieben Herrgott, und es ist ja auch seit Jahren nichts passirt. – Wollen Sie nicht noch einen Gang durch den Park machen, Herr Baron?“
„Nein, ich danke,“ sagte Paul zerstreut. „Meine Zeit ist heute sehr kurz, und ich will noch in das Dorf hinunter. Wo führt der nächste Weg dorthin?“
Der Castellan schien etwas verwundert, daß der junge Baron in das Dorf wollte ; er gab aber bereitwillig die geforderte Auskunft. Paul schlug den bezeichneten Weg ein, der an der Rückseite des Schloßberges hinabführte, aber der gewundene Fußpfad war ihm zu lang; er ging geradewegs den Abhang hinunter, der hier nur mit Rasen und wildem Gesträuch bewachsen war, bis er an eine etwas abschüssige Stelle gelangte, wo das Hinabkommen seine Schwierigkeiten hatte.
Da ertönte plötzlich dicht unter ihm die erste Strophe eines Volksliedes, das vielfach in der Gegend gesungen wurde. Es war eine helle, jugendliche Stimme, und sie klang so anmuthig, daß Paul unwillkürlich stehen blieb und lauschte. Er beugte sich weiter vor, um die zu der Stimme gehörige Person zu entdecken, und blickte in die Tiefe hinab. Durch die schon herbstlich gelichteten Gebüsche hindurch gewahrte er auch wirklich einen Arm
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_091.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)