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Seite:Die Gartenlaube (1883) 073.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

No. 5.   1883.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Gebannt und erlöst.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Sie sind also ein Freund der Familie? Ist Frau von Hertenstein schon lange Wittwe?“ fragte Paul.

„Seit einem Jahre ungefähr,“ antwortete der Justizrath. „Präsident Hertenstein starb im vorletzten Sommer.“

„Präsident Hertenstein?“ wiederholte Paul befremdet. „Ich erinnere mich, die Anzeige seines Todes damals in den Zeitungen gelesen zu haben, aber – er starb ja wohl im dreiunddsiebenzigsten Lebensjahre?“

„Allerdings, der Altersunterschied zwischen ihm und seiner Frau war sehr bedeutend. Sie zählte kaum achtzehn Jahre, als sie ihm die Hand reichte.“

„Dem Greise? Aber mein Gott, was konnte sie denn zu einer derartigen Verbindung veranlassen?“

Freising lächelte mit überlegener Miene.

„Das ist nicht schwer zu errathen. Eine junge bürgerliche Waise, die mittellos ist und in abhängigen Verhältnissen lebt, schlägt selten eine derartige Partie aus. Der Präsident war von Adel; er galt für sehr reich und nahm eine hohe Lebensstellung ein. Er konnte seiner Gemahlin ein glänzendes Loos bieten.“

„So – also eine Convenienzheirath!“ sagte Paul langsam.

„Eine Vernunftheirath wenigstens! Die junge Dame ist eine nahe Verwandte des Pfarrers in Werdenfels, und dieser empfahl sie der damaligen Besitzerin von Rosenberg, einem Fräulein von Hertenstein. Der alten, sehr kränklichen Dame war ein Aufenthalt in Italien verordnet worden, und sie wünschte eine Begleiterin für die Reise. Als sie aus Venedig zurückkehrte, da machte ihr Bruder, der Präsident, der schon seit langen Jahren Wittwer war, einen mehrwöchentlichen Besuch auf dem Landgute. Er lernte dort die schöne Gesellschafterin kennen und wurde derartig von ihr gefesselt, daß er ihr seine Hand bot, die auch sofort angenommen wurde. Drei Monate später fand in Rosenberg die Vermählung statt.“

„Und diese ungleiche Ehe ist eine glückliche gewesen?“

„Eine sehr glückliche! Die junge Frau spielte eine äußerst glänzende Rolle in der Residenz, und ihr Gemahl, der ungemein stolz auf sie war, erfüllte mit verschwenderischer Freigebigkeit jeden ihrer Wünsche.“

„Freilich, was hätte sie in einer solchen Ehe denn auch anders wünschen sollen als Glanz und Reichthum!“ sagte Paul mit einem Anfluge von Bitterkeit. „Und seit dem Tode ihres Gemahls lebt sie wieder in Italien?“

„Nein, sie ist nach Rosenberg zurückgekehrt und war nur jetzt auf kurze Zeit abwesend. Sie wird übermorgen hier erwartet.“

„Dann werde ich meinen Besuch noch etwas aufschieben,“ erklärte der junge Mann, indem er sich erhob. „Doch ich habe Ihre Zeit schon allzu lange in Anspruch genommen.“

Der Justizrath lächelte.

„Bitte, Herr Baron! Ich freue mich sehr, einmal ein Mitglied des Hauses Werdenfels persönlich kennen zu lernen. Es ist das erste Mal, obgleich ich schon seit Jahren der juristische Beirath und Vertreter dieses Hauses bin.“

„Also auch Sie verkehren nicht persönlich mit meinem Onkel?“ fragte Paul, der wenigstens in diesem Falle eine Ausnahme vorausgesetzt hatte.

„Nein, ich habe noch nicht die Ehre gehabt, den Freiherrn von Angesicht zu sehen, obgleich er mir in allen geschäftlichen Angelegenheiten das unbedingteste Vertrauen schenkt. Er empfängt meine Berichte brieflich und läßt mir ebenso seine Weisungen zugehen. Ihr Herr Onkel ist etwas eigenthümlich in dieser Hinsicht.“

„Ja wohl, sehr eigenthümlich!“ stimmte der junge Mann mit einem Seufzer bei. „Was nun aber meine persönliche Angelegenheit betrifft –“

„So wird sie unverzüglich erledigt werden – verlassen Sie sich darauf, Herr Baron! In spätestens vierzehn Tagen lege ich Ihnen die Quittungen vor.“

Paul dankte und empfahl sich. Er hatte nun die so sehnlich gewünschte Auskunft erhalten und wollte es sich nicht eingestehen, daß sie ihn verstimmte; trotzdem konnte er dieser Verstimmung nicht Herr werden. Ein Mädchen von achtzehn Jahren, voll Schönheit und Anmuth, das freiwillig auf das schönste und heiligste Vorrecht der Jugend verzichtet, auf das Recht, zu lieben, um mit der Hand eines Greises Glanz und Reichthum zu erringen! Paul Werdenfels war leichtsinnig und ließ sich nur zu oft durch fremden Einfluß leiten, aber er trug doch ein jugendlich warmes Herz in der Brust und hätte sich für alle Güter seines Onkels nicht in dieser Weise verkauft. Er fühlte sich wieder so erkältend angeweht, wie damals auf dem Dampfer, als die schöne Frau so eisig die „Jugendträume“ verwarf. In seinen Ohren klang noch der unendlich herbe Ausdruck ihrer Worte: „Das Leben ist nicht zum Träumen geschaffen. Man muß ihm fest und klar in das Antlitz sehen und Niemand vertrauen als sich selbst.“




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_073.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)