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Seite:Die Gartenlaube (1883) 063.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

lassen will, er sei wer er wolle, soll ein Rittermäßiger von Adel sein und seinen Namen anzeigen mit Vermeldung, wer und von wannen er sei, damit man ihn nachmals erkenne. Alle, die sich zum Gesellenstechen gebrauchen lassen wollen, sollen zu Mittwoch an dem ihnen bezeichneten Orte zusammen kommen, allda mit Zeug und Roß sich vergleichen und einander auch mit Hand und Mund zusagen, daß Einer gegen den Andern keinen falschen und betrüglichen Vortheil gebrauchen wolle, außer den ihm seine Stärke giebt. Ein Jeder soll den Zeug, Sattel, Sack, Stange u. s. w., wie ihm solches gegeben und gezeichnet wird, behalten und Nichts daran ändern oder verwandeln bei bestimmter Buße. Ein Jeder soll sich befleissigen, daß er seinen Mann wohl treffe, aber nicht mit Willen und vorsätzlich dem Andern nach den Fäusten oder dem Pferde nach dem Kopfe stechen. Bleibt Einer, wenn er getroffen ist, noch am Pferde hängen, so soll ihm Niemand aufhelfen; geschieht dieses, so soll es für einen Fall gerechnet werden. Niemand soll auf die Bahn reiten außer die Stecher und die Personen, welche dazu beschieden und verordnet sind. Kein Stecher darf von der Bahn abziehen und sich austhun (auskleiden), es wäre denn wegen solches Mangels an seinem Zeuge, den man nicht alsbald verbessern kann, er muß es aber den Verordneten stets zuvor anzeigen. Jeder soll sich zur bestimmten Stunde auf der Stechbahn in seiner Rüstung völlig fertig einfinden. Nie sollen Zwei zugleich auf einen Andern einreiten.“

Weil aber während des Stechens selbst bei geschlossenem Visire die Kämpfer nicht immer zu erkennen waren, so wurden gewöhnlich vor Beginn des Kampfspieles ihre Helme mit den verschiedenen Helmzeichen und Farben mit Angabe ihrer Namen verzeichnet und den Ordnern übergeben, die während des Kampfes je zur rechten oder linken Seite des Helmes Gewinn oder Verlust vermerkten. Daß endlich auch hier den Siegespreis in Gestalt des ersten „Dankes“ errang, wer am wenigsten fiel und am meisten traf, ist selbstverständlich. –

Doch nun zurück nach Nürnberg und seinem Marktplatze! Daß auf letzterem die Söhne der alten Patriciergeschlechter von jeher förmliche Turniere nach adligem Vorbilde, das heißt Waffenspiele nach allen Regeln der ritterlichen Kunst abzuhalten pflegten, wurde schon weiter oben bemerkt. Mit der Zeit aber erregte solch schnöder und anmaßlicher Eingriff in ein althergebrachtes Vorrecht den stillen Ingrimm der in der Umgebung der Stadt auf ihren Burgen hausenden alten fränkischen Adelsgeschlechter. Als „der Unfug“ trotzdem nicht aufhörte, machte sich der Zorn der Ritterbürtigen in wiederholten und immer energischeren Remonstrationen bei den Vätern der Stadt Luft, worin drohend die Einstellung dieser Kampfspiele gefordert wurde, und wirklich ließ sich darauf hin auch der Rath zu Nürnberg, um Conflicte zu vermeiden, zur Herausgabe eines Statutes herbei, laut dessen „kein Nürnberger Bürger turniren solle, weder in der Stadt noch an auswendigen Orten bei Strafe von 200 Pfund Häller“.

Aber auch hierdurch ließen sich die jungen Patriciersöhne in ihren ritterlichen Neigungen nicht stören; es fand sich leichtlich ein Ausweg, das Verbot zu umgehen. Man vermied nämlich einfach von nun an für die Waffenspiele die bisherige officielle Bezeichnung als „Turniere“; man schrieb sie nicht mehr öffentlich aus, man lud auch keine Auswärtigen dazu ein, sondern es turnierten nur die jungen Leute, die „Jungen Gesellen“ unter sich innerhalb der Stadt, woraus sich dann schon von selbst die Berechtigung des weniger ceremoniellen Titels der „Gesellenstechen“, mit dem man sich nun begnügte, ergeben mochte.

So wurde denn unter veränderten Formen lustig fortturniert. Auch unter den Nürnberger Patriciergeschlechtern bildeten natürlich Hochzeiten die gewöhnliche Veranlagung zur Abhaltung eines Stechens. Ein ganz außergewöhnlich prächtiges, von welchem alte Abbildungen und urkundliche Mittheilungen nähern Aufschluß geben, wurde am 28. Februar 1446 veranstaltet, an welchem Tage Wilhelm Löffelholtz Frau Kunigunda, Tochter Conrad Paumgärtner’s und Wittwe des zwei Jahre zuvor verstorbenen Hieronymus Ebner, heimführte. „Zu diesem Stechen,“ erzählt die Chronik, „sind 39 Helme eingeritten, deren jeder einen Rüstmeister, einen Stangenführer und zween Knechte zu Fuß gehabt, in seine Farben gekleidet. Die Stecher sind alle geritten in hohen Zeugen und hat jeder sein Wappen mit Schild und Kleinod geführt.“ Die Braut aber setzte drei Danke aus: „nemlich ein Heftlein 12 Gulden werth, einen goldnen Ring zu 8 Gulden und einen Kranz zu 4 Gulden“, wobei zu bemerken, daß der Gulden damaliger Zeit etwa dem heutigen Betrag von 3 Mark entsprach, daß aber der Werth des Geldes zu jener Zeit ein ungleich höherer war als heutzutage.

Dieses solenne Stechen nun ist es, welches unsere heutige Abbildung dem Leser vorführt. Rings um den weiten Platz sind die Schranken und Gerüste aufgeschlagen. In dieselben hinein reiten von der Seite der Liedfrauenkirche her die Stecher, um unter dem Schall der Posaunen und Zinken, die vom Balcon der Kirche aus ertönen, einer unübersehbaren Menge von theils auf den Gerüsten stehenden, theils an den Fenstern der Häuser zusammengedrängten Zuschauern ihre Turnierkünste vor Augen zu führen. Das edle Waffenspiel beginnt. Schon haben ein Holzschuher und ein Stromer den ersten Gang gegen einander gemacht, und Holzschuher wird im Vordergrunde von seinem Knappen und von seinem Schalksnarren über den Platz geleitet, um auf der andern Seite wieder in die Schranken zu reiten; zur linken Seite des Bildes aber erblickt man eine ambulante Cantine, welche bei den Volksbelustigungen jener Zeit ebenso wenig fehlen durfte wie heutzutage.

Den Ueberlieferungen zufolge soll „unter den Stechern an jenem Tage Alles glücklich und ohne Unfall abgegangen sein; nur daß der Ullstadt im Gedränge einen Mann zu todt ritt (!) und dem Hirschvogel ein Roß auf der Bahn liegen blieb. Das Beste that Conrad Haller, der das Heftlein erhielt; sodann zeichnete sich Berthold Volckammer aus, der den goldenen Ring erwarb, zuletzt Stephan Tetzel, dem der Kranz gegeben wurde.“ Auch von einem stattlichen Tanze, der am Abend auf dem Rathhause die Festlichkeit beschloß, weiß der Chronist zu berichten.

So viel über die Waffenspiele der alten Nürnberger! Zu vergessen ist übrigens nicht, daß dieselben keineswegs blos als Kurzweil, sondern zugleich auch als praktische Vorübungen für den „Ernstfall“, wie moderne Taktiker sagen würden, aufgefaßt wurden. Lag doch die Stadt mit ihrer Nachbarschaft in fast ununterbrochener Fehde und mußten daher ihre Bürger jederzeit gewappnet und gerüstet sein, die heimischen Mauern gegen den Feind durch eigene Kraft zu schützen. Nur eine kriegsgewandte und kriegsbereite Patricierjugend aber durfte es wagen, jene Ritterspiele, welche sich der Adel als eine Art von Reservatrecht vorbehalten hatte, öffentlich nachzuahmen. Schon gelegentlich der Anwesenheit Kaiser Heinrich’s des Sechsten im Jahre 1197 sollen die Nürnberger Geschlechter ihm zu Ehren ein glänzendes Turnier mit darauffolgendem Tanze auf dem Rathhause veranstaltet haben. Oft auch wurden von Fürsten und Herren Turniere hierher öffentlich ausgeschrieben, und noch im Jahre 1441 hatte Markgraf Albrecht Achilles von Ansbach einen Turnierhof in Nürnberg errichtet, nachdem er zuvor bei dem Rathe der Stadt um Geleit und Schutz hierzu hatte anhalten lassen.

So leuchtet uns denn Nürnbergs große Vergangenheit, eine Jahrhunderte umspannende Epoche der Macht, des Reichthums und des Ruhmes, aus seinem alten Markplatze noch heute achtunggebietend entgegen. Wohl hatten die Stürme späterer Zeiten, die zahllosen Fehden, die inneren Zwistigkeiten, die großen äußeren Kriege des Reiches bis in den Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts hinein am Marke der einst so stolzen Stadt derartig genagt, daß dieselbe zuletzt beinahe am Abgrunde ihres vollständigen Ruins angelangt war, aber zu ihrer Ehre muß es gesagt werden: aus eigener Kraft hat sie sich während der letzten Jahrzehnte zu erneutem Glanze und Ansehen wieder emporzuschwingen verstanden. Im gegenwärtigen Augenblick, da die Bevölkerung der alten Frankenstadt die Ziffer von 100,000 Einwohnern bereits erheblich überschritten, ist dieselbe hiermit auch formell in den Kreis der modernen deutschen Großstädte eingetreten; Handel und Gewerbe gedeihen aufs Neue in ihr wie vor Zeiten, und noch im vergangenen Jahre hat sie sich in der überaus glänzenden baierischen Landes-Ausstellung einen leuchtenden Markstein des Fortschrittes zu setzen gewußt. Bleibt Nürnberg allezeit eingedenk der Größe seiner Vergangenheit, hält nach wie vor die emsige Arbeit seiner Bürger gleichen Schritt mit der geistigen und körperlichen Ausbildung seiner Jugend, so wird sicherlich auch für diese Stadt aus dem rüstigen Streben und Schaffen der Gegenwart eine neue und ruhmvolle Blüthezeit der Zukunft erwachsen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_063.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)