Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Starrsinn, den der Freiherr auch bei dieser Gelegenheit zeigte, brachte die so lange schon gereizten Leidenschaften zum vollen Ausbruch. Die ganze Dorfschaft zog tobend und lärmend vor das Schloß und bedrohte den Gutsherrn. Dieser, weit entfernt nachzugeben, ließ die Thüren verrammeln, bewaffnete seine Dienerschaft und ließ es auf einen Kampf ankommen. Die Bauern ihrerseits wollten um jeden Preis den Eingang erzwingen; sie schritten zum Sturme, der auch gelungen wäre; denn die Vertheidigungsanstalten erwiesen sich als völlig unzureichend, und bei der furchtbaren Erbitterung der Leute war das Schlimmste zu befürchten, wenn das Schloß und dessen Herr in ihre Hände fielen.
Da auf einmal nahm der Kampf ein ebenso unerwartetes wie schreckliches Ende. Gerade im entscheidenden Augenblick, als die Thüren bereits begannen, dem wiederholten Ansturm zu weichen, schlugen urplötzlich unten im Dorfe helle Flammen empor. Es war eine Feuersbrunst entstanden – wie und woher, das wußte Niemand, aber eines der Gehöfte brannte lichterloh. Es war ein kalter, trockener Tag, und von der Geisterspitze wehte ein stürmischer Wind in das Thal hernieder.
Bei diesem Anblick, bei der furchtbaren Gefahr, welche ihrer Heimath drohte, vergaß die tobende Menge ihre Haß- und Rachepläne. Alles stürzte hinunter in das Dorf, um das eigene Hab und Gut zu retten, aber es war bereits zu spät. Das Feuer hatte schon zu reichliche Nahrung gefunden, und einmal entfesselt spottete das Element jeder menschlichen Anstrengung. Der Sturm trug die Flammen von Dach zu Dach, von Haus zu Haus; alle Rettungsversuche waren vergeblich, und einzelne Tollkühne, die sich in die brennenden Gebäude wagten, um ihre Habe oder ihr Vieh zu retten, wurden von den einstürzenden Balken erschlagen. In wenigen Stunden lag ganz Werdenfels in Schutt und Asche, und drei Menschenleben waren den Flammen zum Opfer gefallen.
Das Schloß auf seiner sicheren Höhe war natürlich unversehrt geblieben; der Ausbruch des Feuers gerade im Moment der Katastrophe hatte es gerettet, aber Haß und Erbitterung, die jetzt durch das hereingebrochene Elend um das Zehnfache gesteigert waren, suchten nach einem Zusammenhange zwischen den beiden Ereignissen. Es liefen dunkle, unheimliche Gerüchte um, jene Feuersbrunst sei nicht durch Zufall entstanden, der Freiherr selbst habe sie veranlaßt, um den Angriff von seinem Schlosse abzulenken und sich vor der Wuth der Anstürmenden zu retten. Es hieß sogar, der eigene Sohn sei es gewesen, der den Befehl des Vaters ausgeführt hatte. Es waren unsinnige, haltlose Gerüchte, die nicht die geringste Bestätigung fanden, aber sie wurden geglaubt und die Stimmung gegen den Gutsherrn wurde eine derartige, daß er seines Lebens nicht mehr sicher war.
Er schien das endlich selbst einzusehen; denn er verließ mit seinem Sohne Werdenfels auf längere Zeit. Als er nach Jahresfrist zurückkehrte, war jene politische Bewegung erloschen; die Behörden hatten die Zügel wieder fest in Händen und duldeten nicht die geringste Ausschreitung. Einen offenen Angriff hatte der Freiherr also nicht mehr zu fürchten, und dem dumpfen Groll und Haß, der ihn empfing, setzte er eine eiserne Stirn entgegen. Es standen ihm andere Güter und Schlösser zur Verfügung, aber sein Stolz erlaubte ihm nicht einen Wechsel des Aufenthaltes, den man hätte als Furcht auslegen können. Er blieb in Werdenfels, trotzig, hochmüthig und ungebeugt, wie er es von jeher gewesen war, und nahm sofort wieder seine frühere Stellung an der Spitze seiner dortigen Standesgenossen ein.
Der junge Freiherr war nicht mit zurückgekehrt. Das Verhältniß zwischen ihm und seinem Vater schien sich überhaupt geändert zu haben; denn während ihm früher nicht die geringste Selbstständigkeit gestattet war, lebte er jetzt fast immer auf Reisen und sah den Vater oft monatelang nicht. Nach Werdenfels kam er nur äußerst selten, immer nur auf ganz kurze Zeit, und es bedurfte jedesmal eines ausdrücklichen Befehls, um ihn zu einem derartigen Besuche zu veranlassen.
So vergingen Jahre, ohne daß Raimund Anstalt machte, sich zu vermählen, obgleich der Freiherr dies dringend wünschte und für eine unabweisbare Pflicht des einzigen Sohnes und Erben erklärte. Als seine Mahnungen in dieser Hinsicht nichts fruchteten, schritt er wie gewöhnlich zu einem Gewaltact. Er wählte eine standesgemäße Partie aus, warb im Namen seines Sohnes und rief diesen dann aus Italien zurück, um ihm anzukündigen, daß die Verbindung zwischen den beiden Familien eine beschlossene Sache sei und daß man nur noch den formellen Antrag erwarte. Diesmal aber gelang es ihm nicht, seinen Willen durchzusetzen; denn Raimund weigerte sich entschieden, zu gehorchen. Der Vater, der bereits zu weit gegangen war, um zurücktreten zu können, gerieth außer sich und drohte mit Fluch und Enterbung; der Sohn blieb bei seiner Weigerung. Es mochten bei dieser Gelegenheit wohl noch andere Dinge zur Sprache gekommen sein; denn sie endete mit einem vollständigem Bruche. Raimund verließ das väterliche Haus, um nicht mehr dorthin zurückzukehren, und der Freiherr war im Begriff, seine Drohung auszuführen und die Enterbung auszusprechen, als, wahrscheinlich in Folge der stattgehabten Aufregung, ein Schlagfluß ihn traf. Der Sohn, der sofort durch die Aerzte zurückgerufen wurde, kam zu spät – er fand nur noch die Leiche seines Vaters.
Werdenfels hatte nun einen neuen Herrn, und es schien anfangs, als solle damit auch eine bessere Zeit beginnen, aber es schien eben nur so. Dem alten Freiherrn war bei all seinen schlimmen Eigenschaften eine eiserne Consequenz nicht abzusprechen gewesen; sein Sohn zeigte sich dagegen seltsam launenhaft und unbeständig in all seinen Neigungen und Unternehmungen. Er hatte unmittelbar nach dem Leichenbegängnisse das Schloß verlassen und bewohnte ein keines Jagdhaus, das eine halbe Stunde davon entfernt lag, aber er, der seinen Besitzungen jahrelang fern geblieben war und die vollständigste Gleichgültigkeit dagegen gezeigt hatte, so lange sie unter dem Scepter seines Vaters standen, schien jetzt, wo er unumschränkter Herr war, sich ihnen ganz und gar widmen zu wollen. Er plante die großartigsten Anlagen und Verbesserungen, überschüttete die Gutsangehörigen mit Wohlthaten und versuchte es sogar, ihnen persönlich nahe zu treten.
Aber das Alles hörte ebenso plötzlich auf, wie es begonnen hatte. Vielleicht entmuthigte es ihn, daß er statt der Dankbarkeit nur überall den alten Haß und das alte Mißtrauen wiederfand, vielleicht war es auch nur eine philanthropische Laune gewesen – genug, er schlug auf einmal in die vollste Menschenfeindlichkeit um, floh alle Beziehungen, die er vor Kurzem noch so eifrig gesucht hatte und zog sich in die Einsamkeit seines Felseneck zurück, das er aus einer Ruine zu einem prachtvollen Wohnsitze umschuf. Werdenfels und die übrigen Schlösser standen verödet; ihre Unterhaltung kostete jährlich eine Riesensumme, ohne daß sie jemals benutzt oder auch nur betreten wurden.
Zum Glücke befanden sich die Güter selbst unter tüchtiger und umsichtiger Leitung. Der alte Freiherr, der ein kluger Rechenmeister war, hatte dafür gesorgt, und da die Beamten sämmtlich im Dienste blieben und reich besoldet wurden, so wurde auch die Verwaltung ganz in der bisherigen Weise fortgeführt. Die Werdenfels’schen Besitzungen hoben sich immer mehr und brachten immer reichere Erträge, während der Herr derselben sich von Jahr zu Jahr tiefer in die Einsamkeit vergrub und sich endlich der Welt und dem Leben völlig abwendete. –
Es erregte natürlich in der Nachbarschaft nicht geringes Aufsehen, als man erfuhr, daß Felseneck einen Gast beherberge. Paul Werdenfels wurde zwar allgemein als der präsumtive Erbe seines Onkels angesehen, da er außer diesem der einzige nach lebende Vertreter des Geschlechtes war, aber man wußte ja, daß der Freiherr alle Beziehungen, soweit sie den persönlichen Verkehr betrafen, vollständig ignorirte. Er hatte dies ja auch bisher seinem jungen Verwandten gegenüber gethan, und es war jedenfalls wieder eine seiner unberechenbaren Launen, daß er diesen Verwandten jetzt urplötzlich zu sich rief. Man bedauerte allgemein den jungen Baron, der das schöne Italien und einen zahlreichen Freundeskreis verlassen mußte, um dem menschenfeindlichen Onkel auf seinem öden Felsenschlosse Gesellschaft zu leisten und dort in halber Gefangenschaft zu leben; denn es galt als selbstverständlich, daß auch ihm kein Verkehr mit der Nachbarschaft gestattet werden würde.
Paul selbst aber war im Gegentheil geneigt, das, was ihm anfangs als eine unerträgliche Strafe erschien, für einen jener Glücksfälle zu halten, um die sein Freund Bernardo ihn beneidete. Seit er wußte, daß die schöne Reisegefährtin, deren Spur er in weiter Ferne suchte, in seiner unmittelbaren Nähe weilte, hätte er den Aufenthalt in Felseneck mit keinem anderen in der ganzen Welt vertauschen mögen.
Er ließ aber vorlaufig sowohl die Gemsen wie die Schloßbibliothek in Ruhe, zeigte dagegen einen ungemeinen Eifer, die
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_059.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)