Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Blätter und Blüthen.
Die goldenen Fahnenringe an den sächsischen Fahnen. Auf Befehl des Königs von Sachsen wurden im Jahre 1873 die Fahnen einiger sächsischen Bataillone mit goldenen Ringen versehen, durch welche das Andenken an die bei Führung dieser Fahnen im deutsch-französischen Feldzuge 1870 auf 1871 Gefallenen und tödtlich Verwundeten verewigt werden sollte. Dieselben tragen nebst dem königlichen Namenszuge und der Jahreszahl 1873 die nachstehenden Inschriften:
1) an der Fahne des 3. Bataillons vom 2. Grenadier-Regimente Nr. 101:
- „Es wurde mit dieser Fahne in der Hand am 30. August 1870 schwer verwundet und starb in Folge dessen:
2) an der Fahne des 2. Bataillona vom 5. Infanterie-Regimente Nr. 104:
- „Es wurde mit dieser Fahne in der Hand am 18. August 1870 schwer verwundet und starb in Folge dessen:
3) an der Fahne des 1. Bataillons vom 7. Infanterie-Regimente Nr. 106:
- „Es starb mit dieser Fahne in der Hand am 18. August 1870 den Heldentod:
4) an der Fahne des 1. Bataillons vom 8. Infanterie-Regimente Nr. 107:
- „Beim Sturm auf St. Privat la Montagne am 18. August 1870 fielen mit dieser Fahne in der Hand:
Fahnenträger Thümmel, schwer verwundet,
Feldwebel Schumann †,
Secondelieutenant Hahn, schwer verwundet.
Hauptmann Wichmann †,
Adjutant von Götz †,
Soldat Manig, schwer verwundet,
Gefreiter Hofmann, trug sie bis in das Dorf; † 25. Oktober 1870.
- „In der Schlacht bei Sedan am 1. September 1870 wurde an dieser Fahne schwer verwundet:Unterofficier Thörmer der 4. Comp.“
5) an der Fahne des 2. Bataillons des 8. Infanterie-Regiments Nr. 107, welche wegen Verletzungen, die der Fahnenstock im Gefecht erlitten, zwei Ringe erhalten mußte:
- „Mit dieser Fahne in der Hand fielen am 18. August 1870 in der Schlacht bei St. Privat:
ein unermittelt gebliebener Soldat;
wurden verwundet:
Sergeant (Fahnenträger) Donner der 6. Comp.,
Feldwebel Thaßler der 5. Comp.,
b. der untere Ring:
Schlacht bei St. Privat
So erzählen diese Fahnenringe, bemerkt hierzu Max Dittrich, dessen vor Kurzem erschienener interessanter Broschüre „Die Feldzeichen des königlich sächsischen (zwölften) Armeecorps“ wir die obigen Inschriften entlehnt haben, in Lapidarschrift von der blutigen Feuertaufe, welche die Regimenter des zwölften Armeecorps des deutschen Heeres am 18. August 1870 in so ruhmvoller Weise, Schulter an Schulter mit der preußischen Garde, beim Sturme auf St, Privat bestanden; sie berichten weiter von dem glorreichen Ehrentage des heutigen Sachsenkönigs und damaligen Oberbefehlshabers der Maasarmee, von dem Tage von Beaumont, welcher den Kaiserfang von Sedan am 1. September vorbereitete, bei welchem nicht minder theures Blut floß um die sächsischen Feldzeichen.
Mögen dieselben allezeit ebenso hoch gehalten, ebenso tapfer und furchtlos dem Feinde entgegen getragen werden, wie vor St. Privat, Beaumont, Sedan und Paris!
Jüdische Hochzeit in Galizien. (Mit Abbildung auf S. 32 u. 33.) Das lebensvolle und figurenreiche Bild des Danziger Malers Stryowski, welches wir heute in Holzschnittreproduction unsern Lesern vorführen, bedarf wohl einiger erklärender Worte. Liegen uns doch zu fern die Sitten und die Gebräuche, in welche der Maler kühn und glücklich hineingegriffen, um ein fesselndes Gemälde zu schaffen. Es ist der religiöse Trauungsort eines galizisch-jüdischen Brautpaares, den wir vor uns haben. Als Hauptfigur des Bildes tritt uns der Bräutigam entgegen, der, entsprechend den socialen Verhältnissen seiner Landsleute, noch in sehr jugendlichem Alter sich befindet. Er wird von seinem Vater und seinem zukünftigen Schwiegervater begleitet, die nach frommer Sitte „ihr Kind“ zum Trauhimmel (Cuppah) führen. Rechts von dieser Gruppe sehen wir die Braut, welche mit dem den Jungfrauen gebührenden Schleier ihr Antlitz verhüllt. Auch sie wird, der oben erwähnten Sitte gemäß, von ihrer Mutter und von ihrer zukünftigen Schwiegermutter geführt. Für Bräutigam und Braut ist auch der Trauhimmel, ein Baldachin, bestimmt, unter dem jedes jüdische Brautpaar nach den gebräuchlichen Gesetzen getraut werden soll. Links von dem Bräutigam steht der Rabbiner mit den Ehepacten (Ketubah) in der Hand. Er führt dem jungen Paare die heiligen Pflichten, die es nun zu übernehmen hat, vor die Seele, ertheilt die von alter Zeit her gebräuchliche Einsegnung und spricht die Worte vor, welche der Bräutigam bei Ueberreichung des Trauringes an seine Braut nachsagen muß. In der Nähe der Braut streut eine behäbig aussehende Verwandte derselben Mandeln und Rosinen unter die müßig zuschauende Kinderschaar. Das ist ein symbolisches Vorzeichen des Segens, der für das junge Paar vom Himmel herab gefleht wird.
Einen Schalk sehen wir noch neben dem Rabbiner: seine Rolle wird erst bei dem Gastmahle beginnen, bei welchem der Marschelek – so wird dieser Possenreißer genannt – für die heitere Stimmung der Gäste Sorge zu tragen hat. Hierin wird er nach Kräften von den Musikanten unterstützt werden, welche im Hintergrunde des Bildes auftauchen. Doch, ist es eine offene Straße, wo diese Trauung abgehalten wird? Mit Nichten! Es ist der Vorhof der Synagoge einer kleinen galizischen Stadt, und bemerken wir noch zum Schluß, daß die Trauung darum unter offenem Himmel vollzogen wird, damit sich der biblische Spruch erfülle: „Ich will dich zahlreich machen, wie die Sterne am Himmel.“
Das Ende der „Vaucanson’schen Ente“. Von einem Freunde unseres Blattes erhalten wir aus Charkow in Rußland folgende Zuschrift: „Soeben lese ich im Jahrg. 1882, Nr. 46 Ihres Blattes (in dem Artikel über die Universität Helmstädt) eine Bemerkung über die berühmte Vaucanson’sche Ente, die sich einstmals auch in dem Besitze des Professors Beireis befunden hat. Vielleicht interessirt es Sie und die Leser Ihrer ‚Blätter und Blüthen‘, das dramatische Ende dieses alten, vielbewunderten Automaten zu erfahren.
Es war, wenn ich nicht irre, im Sommer 1879, als das Curiositätencabinet des Herrn Gaßner aus Petersburg nach Charkow übergesiedelt war und sich hier auf einem freien Platze in einer großen Bretterbude den stromartig hinwallenden Schaulustigen öffnete. Neben einer Menge von Wachsfiguren und wirklich interessanten Antiquitäten, figurirten dort der eben erfundene Phonograph und – die alte Vaucanson’sche Ente. Meine Frau und ich gingen eines Tages auch hin und hatten nun den Spaß, das alte Kunstwerk in Thätigkeit zu sehen. Die Ente stand frei auf einem Kasten, der den ganzen bewegenden Mechanismus enthielt, dessen Zugdrähte allein durch die Beine des Thieres in den Körper gelangten. Sobald der Mechanismus aufgezogen war, richtete sich die Ente auf, schlug mit den Flügeln, schnatterte, fraß Körner und trank eine Untertasse Wasser aus, schien sich auch einer gesunden Verdauung zu erfreuen; kurz, das Thierchen machte uns viel Spaß, und wir hatten durch die Freundlichkeit des Besitzers auch die Gelegenheit, die innere Einrichtung des höchst complicirten, sinnreichen Mechanismus zu bewundern.
Einige Tage darauf befanden wir uns in unserem Garten, als plötzlich meine Frau, die mit sehr feinem Geruchssin begabt ist, behauptete, es rieche in der Luft nach Spiritus und brennendem Wachse: am Ende brenne das Gaßner’sche Museum. Gleich darauf hörten wir Feuerlärm und bekamen die Nachricht, daß wirklich das ganze Gaßner’sche Raritätencabinet abgebrannt sei.
Eine Gasflamme hatte den baumwollenen Schnee einer Winterscenerie mit Wachsfiguren in Brand gesetzt und nur die in der Bude anwesenden zahlreichen Schaulustigen hatten sich retten können. Alles Andere war verbrannt. Als ich am Nachmittag die Brandstätte besuchte, fand ich nur die mit Asche und Kohlen bedeckte Erde vor. Auf dem Platze, den die Ente eingenommen hatte, lagen ein paar verbogene Zahnräder, die armseligen Ueberbleibsel ihres ruhmreichen Erdenwallens.“
Die vier Temperamente. (Mit Abbildung S. 37.) So verschiedenartig auch die körperlichen und geistigen Eigenschaften der einzelnen Menschen erscheinen mögen, sie lassen sich doch in einige Gruppen eintheilen, welche durch eine Zahl besonderer Kennzeichen ein für sich abgeschlossenes Ganzes bilden. Schon seit uralten Zeiten versuchte man derartige Formen der menschlichen Charaktere näher zu bestimmen, und auf diese Weise entstand die Lehre von den Temperamenten. Der berühmte griechische Arzt Hippokrates theilte dieselben in vier Hauptordnungen ein, indem er das Vorhandensein des sanguinischen, cholerischen, melancholischen und phlegmatischen Temperamentes annahm. Dem Geiste der damaligen Naturkenntniß entsprechend, sollten diese vier Temperamente in dem seelischen Leben des Menschen ähnliche Grundformen darstellen, wie sie in der leblosen Natur durch die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer vertreten waren. Wir wissen heute, daß die Zahl der Elemente viel größer ist, als die Alten dachten, und selbst eine flüchtige Beobachtung der menschlichen Charaktere reicht hin, um den Glauben an die Richtigkeit der Viertheilung derselben zu erschüttern. So kam es auch, daß die Nachfolger Hippokrates’ neue Temperamente aufstellten und die Zahl derselben bedeutend erweiterten. Trotzdem blieb die alte Lehre bestehen, und heute noch spricht man im Allgemeinen von dem Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker und Phlegmatiker.
Begegnen wir einem Menschen, der sich durch schlanken, zarten Körperbau auszeichnet, der eine leicht erröthende weiche Haut besitzt und dessen Nervensystem besonders erregbar ist, so nennen wir ihn einen Sanguiniker. Wir wissen, daß er bei der leisesten Einwirkung aufzubrausen pflegt, und daß diese plötzlich entstandene Erregung bei ihm ebenso rasch verschwindet. Es ist uns bekannt, daß ein solcher Charakter für Freude und Lust stets offenes Herz hat, daß er aber selbst geringfügige Widerwärtigkeiten des Lebens sehr tragisch aufnimmt und leicht
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_039.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)