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Seite:Die Gartenlaube (1883) 015.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

nicht mehr sehen. Am 19. Mai schreibt er von dort: „Von meiner Lotte bin ich getrennt. Das Mädchen hat die Sache sehr ernst genommen, und da ich keine Aussichten auf Heirathen geben kann, jetzt gar nach Amerika gehe, ist die Mutter um die Gesundheit des sehr gefühlvollen Mädchens bekümmert und hält uns aus einander. Hilft aber nichts … Wir lieben uns doch und werden es immer thun, obgleich wir nie ein Wort davon gesprochen. Das ist ein ganz eigenes Verhältniß.“ – Er mußte sich begnügen, am Fenster Schilf-Lottchens vorüber zu gehen, und in dunkler Nacht stand er davor und träumte sie sich hinter den Scheiben, Thränen in den Augen, wie er: er blickte lange hinauf, wo sie schlief, und „schüttete ihr heimlich seine ganze Seele zum Fenster hinein“.

Wirklich trat er die große Reise im Juni an. Schilf-Lottchens Bild wich nicht von ihm; in dem Dunkel der Oceannächte wähnte er sie zu erblicken, und

„Als ein unergründlich Wonnemeer
Strahlte mir dein tiefer Seelenblick;
Scheiden mußt’ ich ohne Wiederkehr,
Und ich hatte scheidend all mein Glück
Still versenkt in dieses tiefe Meer.“

Lenau hatte Recht gehabt, als er geschrieben, Lottchen habe die Sache sehr ernst genommen. Ihre erste Liebe füllte ihr ganzes Herz aus, auch als sie hoffnungslos geworden. Still und bleich; von Kummer krank, blieb sie zurück. Wer dächte da nicht an Friederike Brion von Sessenheim, die einst Goethe verlassen? Auch dem Lottchen in Stuttgart, die einen Lenau so mächtig bewegt, schwebte ein Bild immer an den Wänden „von einem Menschen, welcher kam und ihr als Kind das Herze nahm“. Sie konnte ihn nicht vergessen. So reich war ihr Gemüth, daß ein ihr heiliges Gefühl auch in der Hoffnungslosigkeit nicht zu sterben vermochte.

Indeß erfuhr Lenau in Amerika so schnelle und gründliche Enttäuschung, daß er bereits nach einem Jahre wieder nach Europa zurückkehrte, an Vermögen ärmer als vorher, wohl aber durch die bei Cotta erschienene Gedichtsammlung ein gefeierter Liebling der Gesellschaft geworden. Zuerst suchte er wieder seine Freunde in Schwaben auf. Wollte er Lottchen wiedersehen? Drängte es ihn noch, in dunkler Nacht sich unter das Fenster ihres Zimmers zu stellen „und seine Seele da hinein zu schütten“? Er sah sie nicht mehr, auch war bei ihm keine Rede mehr von ihr. Er hatte diese Liebe ja in’s tiefe Meer gesenkt.

In Wien, wohin er sich dann begab, schlug ihn eine andere Neigung in Banden, hoffnungslos, weil sie einer verheiratheten Frau galt; er nannte Freundschaft, was sein Herz jetzt erfüllte. Immer wieder, alle Jahre, kam er nach Schwaben zurück. Dann blieb er bei Alexander von Württemberg, der unweit Eßlingens eine kleine Villa bewohnte, wochenlang als willkommener Gast, oder bei Justinus Kerner in Weinsberg, wo immer allerhand interessante Leute verkehrten, oder bei Mayer in Waiblingen, oder bei Reinbeck in Stuttgart. Da entwickelte er seine Ideen, arbeitete er seine großen Dichtungen aus, las sie in engerem Kreise vor und quälte seine Freunde nur zu oft mit seiner düsteren Melancholie. Schon schüttelte Mancher bedenklich den Kopf über sein Gebahren, und es flüsterte Einer wohl dem Andern zu, daß es mit Lenau einen unheilvollen Ausgang nehmen möchte.

Trug das Flüstern diese Besorgniß nicht auch zu Schilf-Lottchens Ohren? Gewiß! War auch Alles aus und vorbei mit ihr, so folgten ihre Gedanken doch dem theuren Manne, der in ihrer Nähe weilte.

Es waren Jahre dahingegangen, ihrer dreizehn schon, seitdem Lenau das erste Mal nach Stuttgart gekommen. Eine neue Leidenschaft für ein Mädchen, das er in Baden-Baden kennen gelernt, trieb ihn jetzt zur Heirath. In Frankfurt wollte er Hochzeit machen, aber auf der Reise dahin hielt er sich wieder bei Reinbeck in Stuttgart auf. Ach, es sollte die letzte Station seines freien Geisteslebens sein; denn hier, in Reinbeck’s Hause, begann die schreckliche Raserei des Unglücklichen, aus deren Nacht er nicht mehr befreit werden konnte. Entsetzensvoll und schmerzergriffen hörten die Freunde von seinem unseligen Geschick; vor dem ihnen längst gebangt. Es hatte ihn hier ereilt, wo er einst so innig geliebt hatte. Welch heiße Thränen weinten Lottchens Augen, als sie ihn fortbrachten in die Zelle des Irrenhauses von Winnenthal, den gebrochenen Mann mit dem zerrissenen Genius!

Keine Hoffnung mehr für ihn! Unheilbar, jammerwürdig, sargte man ihn bald darauf in die Anstalt zu Döbling bei Wien ein, wo sein langes Sterben sich abspielte. Die schwäbischen Freunde pilgerten noch einmal zu ihm, der liebe alte Mayer, Ludwig Uhland, Gustav Pfitzer, Kerner; sie brachten auch Blumen und Kränze aus ihrer Heimath für ihn, welche liebevolle Theilnahme der Frauen ihnen mitgegeben, eines Mädchens Blumengruß dabei, weiße Rosen, Sinnbilder schweigender treuer Liebe. Er verstand nichts mehr davon.

Die Ueberzeugung seines rettungslosen Zustandes gab Lottchen dem Leben zurück. Entsagung lähmt; Trauer führt zur Erlösung, wie Thränen das Gemüth befreien. Sie hatte nur noch um einen Todten zu trauern, dessen Herzensbraut sie im Leben nunmehr fünfzehn Jahre gewesen. Jetzt war sie seine Herzenswittwe. Aber nach dem Winter der Trauer um den Geliebten kam naturgemäß neues Leben, neues Hoffen, ein anderer Mai. Wozu sie vorher sich nicht hatte entschließen können, darein willigte sie jetzt. Im Jahre 1846 reichte sie Dr. Ernst Hartmann ihre Hand, der Stadtarzt in Sindelfingen war und dann Oberamtsarzt in Böblingen wurde.[1] Im Jahre 1861 starb ihr Gatte, und sie übersiedelte darauf mit ihren Kindern nach Tübingen. Seit einiger Zeit aber hat sie sich, leider des Gehörs fast ganz beraubt, in das Frauenstift zu Schorndorf zurückgezogen.




Sylvesternacht.

Von Hans Hopfen.

0 Die Uhr tickt an. Nun kommt heran
0 Ganz nah zu meinem Herzen!
0 Wir zünden auf der Weihnachtstann’
0 Noch einmal an die Kerzen.
0 Gebt Acht, daß alle schön entbrannt,
0 Wenn nun die Uhr den Hammer spannt
0 Zu zwölf gemess’nen Schlägen!
0 Dann gehn wir fröhlich Hand in Hand
0 Dem neuen Jahr entgegen.

Hat es nicht eben Zwölf geschlagen? …
Noch nicht?! … Mir war, als kläng’s von draußen her.
Wie wird mir’s heuer seltsam schwer,
Dem alten Jahr Valet zu sagen.
’s war auch ein Jahr! nicht so wie andre mehr!
Und viel Besondres hat sich zugetragen.
Uns und manch Andren hat es Glück bescheert.
Doch wieder Andern all ihr Glück verheert!

Der Zeiger rückt … Noch etliche Minuten,
Und ob der Welt steht eine neue Zahl.
Mir ist dabei zu Muth, als wollte noch einmal,
Was ich des Schlimmen und des Guten
In diesem Jahr erfuhr, auf mich zusammenfluthen,
Gleich einem Strom, der durch geborstne Dämme quillt.
Dann festet sich die Fluth zu einem Bild,
Und es ersteht ein armer, armer Mann
Vor meines Geistes Aug’ und sieht mich an
So voller Gram und bitterstem Verdruß,
Daß ich bei solchem Anblick weinen muß.

Kennst du den Gau? Kein andrer ist ihm gleich
In Deutschland nicht und nicht in Oesterreich.
An Schönheit ist und Fruchtbarkeit kein Land
So wundervoll, so überreich.
Zwei große Völker reichen sich die Hand,
Und zwei Naturen werden hier verwandt;
Der Gletscher Eis, der Fluren Ueppigkeit
Die haben hier den alten Streit vergessen;
Des Nordens Tann’ und Eiche messen
Sich mit des Südens Feigen und Cypressen.
Oel, Obst, Getreid und Weinbau weit und breit!
Vom Brenner ziehn und von der Walserhaide
Eisack und Etsch ein Paradies entlang.
Am Rebgelände steht die Vogelweide,
Wo einst Herr Walther seine Lieder sang.
Noch klingt und singt es dort. Du kennst ihn wohl,
An Deutschlands Kleid den goldnen Saum: Tirol!

Es war im Herbste dieses Jahr, da kehrte
Ein Mann aus Grigno heim von seiner Reise,
Die schon den langen Sommer über währte.
Er war nach der Tiroler Weise
Weit in der Welt herumgewesen.
Heim wollt er sein, wenn sie die Trauben lesen.
Im Elsaß hat mit Bildern er gehandelt.
Beladen nun mit mäßigem Gewinn
Kommt fröhlich er in’s Valsugan gewandelt.
Die Sehnsucht malt vor seinen Sinn
Das Gütchen und den Weinberg lockend hin,
Sein liebes Weib, die lieben Kleinen.
O Wonne, nach der Trennung lang und bang
Am eignen Herd zu rasten bei den Seinen!


  1. Ihre jüngere Schwester, Maria, hatte vorher schon geheirathet, und zwar den Oberamtsarzt Friedrich Hartmann in Reutlingen. Dieser Umstand hat zu Verwechselungen geführt, und irrthümlich ist Schilf-Lottchen entweder als nach Reutlingen oder nach Göppingen verheirathet bezeichnet worden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_015.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2023)