Verschiedene: Die Gartenlaube (1883) | |
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Ja er machte sogar, als ihm der auf das Talent des Sohnes aufmerksam gewordene Vater Bleistifte anschaffte, im vierzehnten Jahre eine Banknote so täuschend nach, daß sie die Bauern nicht von den echten zu unterscheiden vermochten, was ihn beinahe in den Verdacht des Fälschens gebracht hätte[1] Dadurch ward er in der ganzen Nachbarschaft berühmt ob seiner Geschicklichkeit.
Groß und stark geworden, wurde aber der Jüngling zur Feldarbeit herangezogen und konnte nun seiner Neigung nur selten mehr nachhängen. Als er zweiundzwanzig Jahre zählte, starb der Vater plötzlich, und der schöne Hof fiel nun ihm zu. Da er indeß mit Handel und Verkehr viel weniger gut umzugehen wußte als mit den Bleistiften und überall, auf jedem Markt, zu kurz kam, so fühlte er sich bald sehr unglücklich in seinem Beruf und verkaufte endlich seinen Hof. Er wollte nun erst nach Amerika auswandern, bis es ihm eines schönen Tages wie ein Blitz durch den Kopf schoß, daß er ja Bildhauer werden könnte. Vom Pfarrer an einen solchen in Innsbruck empfohlen, wendet er sich dorthin und tritt vierundzwanzigjährig bei ihm in die Lehre. Der erklärte ihm aber schon nach kurzer Zeit, daß er doch noch besser zum Maler passe, und nahm ihn 1860 bei einer Reise nach München mit, wo er ihn dann zu Piloty in’s Atelier brachte, der gerade an seinem Nero malte. Vor dem riesigen Bilde ging dem jungen Defregger nun eine neue Welt auf, obwohl ihn Piloty zunächst nicht aufnehmen konnte, da ihm ja noch alle Vorkenntnisse fehlten.
Er besuchte also zuvörderst die Kunstgewerbeschule mit Auszeichnung, dann die Malclasse der Akademie, wo es ihm aber so wenig gefiel, daß er vorzog, nach Paris zu gehen. Dort taugte es dem der Sprache unkundigen Tiroler zwar auch ganz und gar nicht, aber er sah doch sehr viel und bildete seinen Geschmack aus. Nach einem Jahre kehrte er nach München zurück, traf aber den gerade in Karlsbad verweilenden Piloty nicht und ging nun den Sommer über auf eine Alpe seiner Heimath, wo er eine Unzahl Portraits und Studien malte und zugleich sein erstes Bild begann. Es stellte einen Wildschützen dar, der verwundet zu seiner Frau heimgebracht wird. Mit diesem Versuch kam er 1864 wiederum zu Piloty, der ihn nun, im höchsten Grade überrascht von seinem Talente, sofort in seine Schule aufnahm.
Wenn man das heute in der Stuttgarter Galerie hängende Gemälde sieht, so begreift man diese Ueberraschung wohl; denn hier ist bereits der Defregger fix und fertig, wie ihn bald die ganze Welt kennen und lieben lernen sollte. Die nächste Composition, die er jetzt im Piloty’schen Atelier malte, war jener Speckbacher, der seinen zwölfjährigen Buben unter den Landesschützen entdeckt, ein Bild, das bei seiner Ausstellung in ganz Deutschland Aufsehen erregte, da es schon vollständig jene merkwürdige Mischung von Naivetät, liebenswürdig schalkhaftem Humor und heroischem Pathos zeigt, deren Vereinigung mit einer unübertrefflichen Wahrheit des Ausdruckes und der Individualisirung der Gestalten Defregger vor allen seinen Nebenbuhlern auszeichnet.
Diesem bezaubernd frischen Jugendwerke folgte nun eine lange Reihe von Bildern, in denen der Künstler das Leben seiner Heimath, die sein Ideal war und blieb und an der sein Gemüth mit allen Fasern hing, mit immer gleich frappanter Wahrheit und Schönheit wie mit gleich drolligem Humor schilderte. So die „Brüder“, die „Ringer“ und andere mehr. Ueberall fühlt man da sofort, daß das Alles von dem Maler erlebt und gesehen worden ist, bevor er es aus die Leinwand brachte. Daher die ganz unbedingte Glaubwürdigkeit, die den Bildern anhaftet und ihnen einen so unsaglichen Reiz verleiht.
Bei seinem schlichten, anspruchslosen Wesen der eleganten Welt durchaus abgeneigt und blos auf inniges Familienleben gestellt, hatte Defregger sich bereits verheiratet und in Schwabing vor Münchens Thoren angekauft, als ihn das Unglück traf, durch einen heftigen Gelenkrheumatismus volle zwei Jahre an’s Krankenlager gefesselt zu werden und höchstens auf dem Sopha liegend malen zu können. Diese schwere Leidenszeit vertiefte aber unstreitig gleich sehr seinen Geist wie seinen Charakter. Er malte in derselben für die Kirche seiner Heimath ein Votivbild, eine Mutter der Gnaden mit dem Kinde auf dem Throne und dem heiligen Joseph zu ihren Füßen, wo er im Madonnenkopfe eine solche Schönheit und Reinheit des Ausdruckes erreichte, daß in dieser Beziehung das Bild direct an Gianbellin hinstreift und sicherlich in den letzten hundert Jahren seines Gleichen in Deutschland schwerlich gesehen hat; denn hier gelang es dem Meister, das Göttliche, Reine und Hohe mit dem menschlich Liebenswürdigen in einer ganz wunderbaren Weise zu verknüpfen. Alle Bedrängniß, die er damals durchzumachen hatte mit ihrer Aufregung und ihrem Gottvertrauen, malte sich in dem ebenso seelen- wie ahnungsvollen Ausdrucke der Gottesmutter mit so wunderbarem Zauber, daß man es noch immer bedauern muß, daß der Künstler diesen Weg nicht weiter verfolgte.
Indeß lohnte ihm die Heimath das schöne Geschenk mit der Genesung, die er erst unter ihrem milden Himmel wieder vollständig erlangte, zugleich aber auch mit der Anregung zu einigen köstlichen Bildern, die er dort im paradiesischen Bozen, beseligt von der wiedergewonnenen Gesundheit, rasch nach einander malte. Darunter befand sich auch der berühmte „Ball auf der Alm“, der ganz Deutschland entzückte. Noch mehr that das freilich jenes gleichzeitig entstandene, wahrhaft erschütternde „Letzte Aufgebot“, das uns wiederum die heroische Seite des Künstlers in der Darstellung des todesmuthigen Auszuges der Aeltesten unter den Vaterlandsvertheidigern zeigt. Hier ist eine Macht und Energie der Empfindung, eine ergreifende Wahrheit der Charaktere und der Stimmung, die das Bild zu einer so vollkommenen Tragödie stempeln, wie unsere Malerei bis jetzt kaum jemals eine von gleich packender Kraft geschaffen.
Nach München endlich zurückgekehrt, vollendete er erst eine Reihe liebenswürdiger Idyllen, so jenen „Citherspieler“, einen prächtigen Jägersmann, dessen Spiel zwei reizende Sennerinnen, die eine mit keimender Liebe, lauschen; dann den „Besuch“, wo eine junge Mutter zweien Freundinnen ihren Erstgeborenen mit mütterlichem Stolze zeigt, ein Bild, das auf der letzten Pariser internationalen Ausstellung die kunstsinnige Welt entzückte. Dann folgte 1876 „Die Rückkehr der Sieger“, in welcher der Maler offenbar die Eindrücke verwerthete, welche ihm die 1871 jubelnd in die Heimath zurückkehrenden Kämpfer des baierischen Hochlandes hinterlassen, und die deshalb auch einen ganz passenden Platz in der Berliner Nationalgallerie gefunden.
Dieser vielbewunderten Composition folgte dann „Der Todesgang Hofer’s“, gegen Gewohnheit des Malers in lebensgroßen Figuren ausgeführt und darum nicht in allen Theilen so vollkommen trefflich gelungen wie jenes vorher erwähnte Gemälde. Nichtsdestoweniger zeigt das Bild auch wiederum jene nur wahrhaft großen Künstlern verliehene Eigenschaft, daß ihre Gestalten sich unauslöschlich in unser Gedächtniß eingraben. Defregger’s Hofer ist so ganz ein schlichter tiroler Bauer und ein Held dazu – daß man sich den Sandwirth von jetzt an gar nichts mehr anders vorstellen kann. Unser Künstler hat den tiroler Helden noch einmal gemalt; das Bild stellt den Moment dar, wie Hofer in der Residenz zu Innsbruck das Danaergeschenk der kaiserlichen Bestallung als Obercommandant von Tirol erhält und sie mit der Vorahnung des daran für ihn geknüpften Verhängnisses aufnimmt.
Noch einen anderen Volkshelden verherrlichte er jetzt für die Münchener neue Pinakothek: den sagenhaften Schmied von Kochl, welcher an der Spitze jener in der Mordweihnacht von 1705 revoltirenden Oberländer das Isarthor in München bestürmt. Indeß ist ihm die Darstellung der baierischen Bauern unleugbar weniger geglückt als die seiner Tiroler. Jene können allerdings von Kochl oder Tölz sein, diese aber müssen nothwendig aus dem Pusterthal oder von Bozen herkommen, sind gar nirgend anderswo zu finden. Viel trug auch die mißliche Wahl des Momentes dazu bei, da Defregger sich nicht entschließen konnte, seine österreichischen Landsleute als Feinde und Bedrücker darzustellen, sodaß man auf dem Bilde die Gegner der Stürmenden nicht erblickt, sondern nur die Wirkung ihres Feuers sieht.
Seither hat sich der außerordentlich fruchtbare Künstler wieder ganz auf die Darstellung heiterer Scenen aus dem Bauernleben seiner Heimath geworfen. Das bedeutendste dieser neueren Bilder giebt der diese Nummer schmückende Holzschnitt wieder: den rasch berühmt gewordenen „Antritt zum Tanze“. Wie da die fröhlichen Mädchen, die man, wie die Männer, alle schon in Brixen oder Meran gesehen zu haben glaubt, sich in die Stube hereindrängen, jubelnd begrüßt von ihren sie erwartenden Burschen – das ist mit bezaubernder Frische und Wahrheit wiedergegeben, aber auch mit jener innerlichen Sauberkeit, jener natürlichen Abneigung gegen
- ↑ P. K. Rosegger hat dieses Ereigniß in seiner in der „Gartenlaube“ (1882, S. 341) erschienenen Novelle „Der junge Geldmacher“ mit dem ganzen Glanz seiner volksthümlichen Feder geschildert. D. Red.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_006.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)