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Seite:Die Gartenlaube (1883) 004.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


Er hielt inne, wie um eine Antwort zu erwarten, und fuhr, als diese nicht erfolgte, rascher fort:

„Bei dieser ruhigen See werden wir voraussichtlich schon mit Sonnenaufgang landen und dann noch rechtzeitig den Courierzug nach W. erreichen. W. ist vermuthlich unser gemeinschaftliches Reiseziel.“

Er glaubte sehr geschickt zu manövriren, aber es glückte ihm trotzdem nicht, etwas über dieses gemeinschaftliche Reiseziel zu erfahren; denn statt der Antwort erfolgte die Gegenfrage:

„Sie reisen also dorthin, Herr von Werdenfels?“

„Nur auf einige Tage, dann kehre ich nach meinem eigentlichen Vaterlande zurück.“

Frau von Hertenstein schien eine Frage thun zu wollen, aber sie unterdrückte dieselbe. Ihre schon halb geöffneten Lippen preßten sich auf einmal mit einem beinahe herben Ausdrucke zusammen, während ihr Blick sich zugleich auf den jungen Reisegefährten richtete. Es war ein seltsamer langer Blick, der wie fragend und suchend wohl eine Minute lang auf seinen Zügen verweilte, und sich dann wieder in die Meeresweite verlor, aber Paul hatte ihn nur zu gut bemerkt, und seine Eitelkeit fühlte sich nicht wenig geschmeichelt durch diese Aufmerksamkeit der schönen Frau.

„Wir werden nur zu bald die sonnigen Küsten Italiens vermissen,“ hob er wieder an. „Zumal ich; denn mein Weg führt mich geradewegs in das Hochgebirge.“

Die junge Frau wendete sich mit einer jähen Bewegung um.

„In das Hochgebirge? Jetzt im Spätherbst?“

„Allerdings,“ entgegnete Paul, etwas befremdet über die Lebhaftigkeit der Frage. „Und vielleicht muß ich sogar einen Theil des Winters dort zubringen. Nicht wahr, es ist ein furchtbarer Gedanke, sich in solcher Jahreszeit in den Alpen zu vergraben, mitten unter Schnee und Eis? Es gehört eine Sonderlingsnatur wie die meines Onkels dazu, um daran Geschmack zu finden.“

Frau von Hertenstein hatte sich über die Brüstung gelehnt und verfolgte mit anscheinender Aufmerksamkeit die sprühenden Silberfunken im Kielwasser des Schiffes.

„Sie haben also Verwandte dort?“ fragte sie. „Verwandte – Ihres Namens?“

„Nur einen einzigen, meinen Onkel Raimund von Werdenfels, unter dessen Vormundschaft ich bis jetzt stand. Er ist gegenwärtig der alleinige Vertreter der älteren Linie unseres Hauses und Herr der sehr bedeutenden Güter, aber er hat sich längst von jedem Verkehr mit den Menschen zurückgezogen und ist nicht einmal zu bewegen, sein Stammschloß, das prachtvolle Werdenfels, zu bewohnen. Er lebt jahraus, jahrein mitten in dem Hochgebirge, auf seinem Lieblingsorte Felseneck, und dort soll ich ihn aufsuchen.“

Die junge Frau verfolgte noch immer das glitzernde Spiel der Wellen, das sie sehr zu fesseln schien; erst nach einer secundenlangen Pause sagte sie:

„Kennen Sie dieses Felseneck?“

„Nein, ich war niemals dort, aber der Beschreibung nach muß es ein düsteres unheimliches Felsennest sein, fast unzugänglich, abgeschieden von aller Welt, kurz ein echtes Spuk- und Gespensterschloß. Ich habe leider gar keinen Sinn für eine derartige Romantik und würde sie von Herzen gern mit den Salons unserer Residenz vertauschen, wenn ich denn doch einmal Italien verlassen muß.“

„Das scheint Ihnen schwer genug zu werden. Sie folgen wohl nur sehr ungern dem Rufe nach Deutschland?“

„O nein, jetzt nicht mehr!“ brach Paul mit leidenschaftlicher Wärme aus. Es war nicht schwer, dieses „jetzt“ zu deuten. Blick und Ton sprachen deutlich genug, aber Frau von Hertenstein verstand entweder nicht oder wollte nicht verstehen; denn sie erwiderte mit kühler Ruhe:

„Das läßt sich begreifen. Sobald man auf dem Wege nach dem Vaterlande ist, erwacht das Heimathsgefühl.“

So hatte es der junge Mann nun allerdings nicht gemeint, aber gegen diese Auffassung ließ sich schlechterdings nichts einwenden. Das Compliment über sein Heimathsgefühl verstimmte ihn aber doch einigermaßen, und es trat ein längeres Schweigen ein.

(Fortsetzung folgt.)




Franz Defregger.

Von Fr. Pecht.

Wer könnte verkennen, daß die heutige deutsche Malerei es Schritt für Schritt zu einem Maße von Volksthümlichkeit gebracht hat, wie sie seit der Renaissance die Kunst keiner Nation mehr errungen? Am allerwenigsten war dies wohl in der ihr vorausgehenden romantischen Periode der Fall; denn diese suchte, angeekelt von den damals so erbärmlichen politischen und socialen Zuständen unserer Nation, das Ideal immer nur in zeitlicher oder räumlicher Ferne, und ihre Meister verlegten es bald in den christlichen Himmel wie Overbeck, bald in den Olymp wie Cornelius, oder in’s goldene Zeitalter wie Schick, Carstens und Genelli – kurz überallhin, nach allen vier Weltgegenden, nur in das eigene nationale Leben nie, es wäre denn in eine ziemlich willkürlich zurecht gemachte Vergangenheit desselben. Aber indem sie der gehaßten Gegenwart auswich, ging die romantische Schule regelmäßig auch der Wahrheit aus dem Wege, verflüchtigte alles gesunde Leben zu einem mehr oder weniger schönen Traum, ward conventionell und theatralisch, damit aber einförmig, wie alle Manierirtheit.

Ganz umgekehrt geht nun die heutige realistische Kunst zu Werke. Innig verknüpft mit dem gewaltigen Aufschwung unseres Volkes seit fünfzehn Jahren, und darum voll Freude an der Gegenwart, hat sie vor Allem einen durchaus nationalen Charakter: ihr eigentliches Ideal ist die Heimath, das eigene Volksleben; sie sucht das Gute, Schöne und Edle in nächster Nähe und macht die innere und äußere Wahrheit zur ersten Bedingung ihres Schaffens. Sie geht darum nur von bestimmten individuellen Gestalten aus, um diese zu ihrem eigenen Ideal zu erhöhen. Das Hohe und Göttliche sucht auch sie, aber die Himmelstochter Poesie kommt bei ihr wie bei Schiller auch zu armen Hirten, nicht blos zu Königen, versetzt sich mitten unter uns und erwählt die nächsten Zeitgenossen und Freunde, unsere nationalen Helden und Märtyrer zu ihren Trägern; sie sucht Seelengröße und Aufopferung, Geist und Schönheit, Unschuld und Tugend vor Allem bei unserem Volke, nicht bei fremden Nationen, leiht ihnen die wohlbekannten Züge unserer Frauen und Mädchen, unserer Bürger, Krieger und Entdecker.

Sie verfährt damit genau so, wie es jede wahrhaft gesunde Kunst von jeher gethan hat, am entschiedensten aber die classische der Renaissance von van Eyk, Mantegna, Leonardo und Raphael, Dürer und Holbein, bis Rubens und Murillo. Zeigen doch die idealsten Schöpfungen der christlichen Zeit, die Raphael’schen Madonnen, alle nicht nur die Züge der schönen umbrischen und römischen Landsmänninnen des Künstlers, sondern sogar ihre Tracht, genau wie bei Dürer oder Holbein die deutschen Züge vorwalten.

Diese Rückkehr in die Heimath und Gegenwart, die mit Menzel und Ludwig Richter begann, zog zuletzt, bald nach 1870, sogar die Architektur nach sich, die ja nunmehr allgemein auf die Formen des nationalen Baustils zurückgriff und unsere Wohnungen jetzt heimlicher und gemüthlicher, aber auch künstlerischer gestaltet, als sie seit zwei Jahrhunderten gewesen sind. Unter den Hauptträgern dieser so gewaltigen, mit der politischen Entwickelung im genauesten Zusammenhang befindlichen Bewegung, welche in der Malerei nach Menzel, Ludwig Richter und Schwind durch Knaus und Vautier, in der Historie am glänzendsten durch A. von Werner in Berlin und Janssen in Düsseldorf vertreten ward, nimmt als jüngster und eigenthümlichster Meister Franz Defregger einen ganz hervorragenden Platz ein; denn bei keinem anderen Meister war seit Menzel der specifisch nationale Charakter so auffallend rein, naiv und urwüchsig ausgesprochen, keiner vereinigt ihn zugleich mit einer so echten Poesie, solcher zarten Innigkeit und zugleich solcher männlichen Kraft wie eben Defregger. Das ist nun zu gutem Theil die Frucht der ganz ausnahmsweisen Umstände, unter denen sich dieses seltene naturwüchsige Talent bildete.

Franz Defregger ist als der einzige Sohn eines angesehenen Bauern und Bürgermeisters in einem einsam auf sonniger Höhe stehenden, zur Gemeinde Dölsach im Pusterthal gehörigen Hof am

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_004.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)