Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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und Feinheit zu erlangen und später mit dem Glorienschein des vornehmen Pariser Chic in die Heimath zurückzukehren, eine Absicht, die freilich oft genug nicht zur Ausführung gelangte, da die Sirene Paris den in der Regel geschickten und strebsamen Fremden mit ihren weißen Armen fest umschlang und nicht wieder losließ. Endlich strömten jahraus jahrein deutsche Tagelöhner in breiten Schaaren nach Paris, wo man sie gern beschäftigte, weil sie williger, fleißiger und anstelliger, namentlich aber in ihren Ansprüchen bescheidener und der Disciplin zugänglicher waren, als ihre einheimischen Wettbewerber.
Die heutige deutsche Colonie zeigt uns ein ganz anderes Bild: Aristokratische Namen sind kaum mehr in ihr vertreten, wenn man von den Diplomaten absieht, welche ihre Amtspflicht an Paris fesselt. Eigentliche deutsche Salons, namentlich solche, welche einen Wechselverkehr zwischen Franzosen und Deutschen vermitteln, giebt es nicht; aber es fehlen selbst solche, wo sich die ganze Elite des Pariser Deutschthums zusammenfinden könnte. Börse und Bank werden wohl noch immer von Deutschen beherrscht, aber die bedeutenden Finanzmänner haben sich entweder naturalisiren lassen oder geben sich für Oesterreicher aus und suchen sich durch Verleugnung ihres Deutschthums bei ihren französischen Standesgenossen ein Bildchen einzulegen. Blos die Kleinen und Unbedeutenden dieser Berufsclasse haben noch den Muth – oder fürchten keinen Nachtheil dabei – sich als Deutsche zu bekennen. Das Commissionsgeschäft, vielleicht der wichtigste Zweig des Pariser Handels, ist mit geringen Ausnahmen nach wie vor ganz in deutschen Händen. Dagegen hat die Zahl der deutschen Gelehrten, Künstler und Musiker ansehnlich abgenommen: Diejenigen, die feste Staatsanstellungen hatten, ließen sich naturalisiren, wenn sie es nicht vorzogen, wie Hillebrand, ihr Amt niederzulegen und das Land zu verlassen: neue Ernennungen aber von Deutschen dürften seit 1870 im französischen Unterrichtswesen nicht stattgefunden haben, wenn man von Lehrern der deutschen Sprache absieht, welche auch mit Vorliebe unter Oesterreichern, Schweizern und Elsässern gesucht wurden.
Die jährlichen Kunstausstellungen im Industriepalaste der Elysäischen Felder sind für Deutsche eine ungastliche Stätte geworden. Man läßt dieselben ungern zu, giebt ihnen schlechte Plätze und übergeht sie bei der Zuerkennung von Auszeichnungen, wie auch auf dem Kunstmarkte ähnliche Vorurtheile gegen unsere Landsleute herrschen. Am stärksten hat die Zahl der deutschen Handwerksgesellen abgenommen. Wenn im jungen Gesellen das Wanderblut unruhig wird, so richtet er Sinn und Schritt nicht mehr, wie sonst, nach Paris, sondern nach London, nach Amerika, nach den Colonien. Die Brücke von Kehl hat für den ernsten Handwerker wie für den Stromer und Fechtbruder ihre alte sprüchwörtliche Bedeutung verloren, und der Wanderbursche muß direct von einem in Paris angesiedelten deutschen Meister dazu aufgefordert werden, um auf den Gedanken zu kommen, dort Arbeit zu nehmen. Früher waren alle Schneider, Schuster und Tischlerwerkstätten, alle Barbierläden, Backstuben und Goldschmiedateliers von Deutschen bevölkert. Heute ist das Verhältniß so, daß vielleicht auf vier Deutsche, die hier vor 1870 arbeiteten, nur noch einer kommt. Blos in gewissen Industriezweigen – so namentlich in der Zuckersiederei und Metallgießerei – ist nicht nur keine Abnahme, sondern sogar eine Vermehrung zu constatiren, und in den Hôtels ist der deutsche Kellner nahezu alleinherrschend. Deutsche Tagelöhner sind vielleicht weniger häufig als früher, obwohl man noch immer ganzen Regimentern von deutschsprechenden Straßenfegern begegnet und in Rougemont und Belleville, entlegenen Pariser Arbeiter- und Armenvierteln, deutsche Elementarschulen für die Kinder dieser Bevölkerung bestehen; doch dürfte die Mehrzahl derselben nicht aus dem Reiche, sondern aus Luxemburg, der Schweiz, vielleicht auch dem Elsaß stammen.
Eine sehr starke Zunahme gegen 1870 zeigt nur eine Classe von Deutschen: die der jungen Kaufleute, welche sich in Paris selbstständig etabliren oder eine Stelle finden wollen. Ihre Zahl beläuft sich auf viele Tausende. Sie füllen die Comptoirs der Banken und Commissionshäuser: sie besorgen die Correspondenz – nicht blos die deutsche – der französischen Fabrikanten und Exporteure; man trifft sie in den großen weltbekannten Bazaren, wie „Magazin du Louvre“ und „Bon Marché“, als Verkäufer an; doch begegnet man ihnen leider auch in den Lesecabineten und auf den Asphalttrottoirs der großen Boulevards, fadenscheinig, hohläugig, muthlos, ohne Stelle, ohne Kraft zum Entschlusse der Rückkehr in die Heimath, ohne Mittel zu weiterem Ausharren, bejammernswerthe Opfer der in Deutschland noch immer herrschendon Illusion, daß Paris für den jungen Deutschen das Eden des Erfolges und Glückes sei.
Man sagt uns Deutschen nach, daß nicht zwei von uns beisammen sein können, ohne einen Verein zu gründen. Etwas Wahres enthält ja dieser Satz in seiner scherzhaften Uebertreibung. Obwohl es ein Deutscher war – nämlich Zimmermann – der das Lob der Einsamkeit schrieb, so sprach er damit dem deutschen Stamme doch nicht aus der Seele. Wir haben kein Talent zum Einsiedlerthum; ein fröhlicher Drang zum Zusammenschluß führt uns unwiderstehlich zu einander, und wir begreifen die rechte Daseinsfreude nicht anders, als wenn eigene Zufriedenheit sich in den Augen von gleichgestimmten Genossen widerspiegelt. Die Deutschen in Paris haben sich auf romanischer Erde der vaterländischen Eigenheiten nicht so völlig entschlagen, daß sie nicht das Bedürfniß des Vereinslebens empfunden hätten.
Vor 1870 mag das weniger lebhaft gewesen sein, als heute. Die Zahl der dauernd in Paris angesiedelten verheiratheten Deutschen, die ihren eigenen Herd hatten, überwog damals die der alleinstehenden jungen Leute. Gastliche Salons boten reichliche Gelegenheit zur edlen Befriedigung des Geselligkeitstriebes, und der einzelne Deutsche hatte keine Schwierigkeit, überall, auch in den entlegensten Stadtvierteln, wo er weit und breit keinen Landsmann um sich hatte, französischen Umgang zu finden. Heute sind in der deutschen Colonie die unverheiratheten jungen Leute weit zahlreicher, als die Männer, welche ihr festbegründetes Heim besitzen. Daß es kein deutsches Salonleben giebt, das haben wir bereits gesehen, und auf französischen Umgang darf kein Deutscher rechnen. Als Reisender, mit ausgezeichneten Empfehlungen versehen, kann er während eines kurzen Aufenthaltes, der eine Saison nicht überdauern darf, allenfalls Einlaß in französische Häuser und dann sogar höfliche Aufnahme finden. Sowie aber die französischen Gastfreunde merken, daß ihr Gast sich in Paris festsetzen, hier einem regelmäßigen Berufe nachgehen will, ziehen sie sich von ihm zurück, und es dürfte ihm wohl sehr schwer werden, seine anfänglichen Beziehungen, und wenn sie sich noch so warm und freundlich anzulassen schienen, über das erste Halbjahr hinaus aufrechtzuerhalten. So bleibt also dem Deutschen, der in der Weltstadt nicht auf Menschenverkehr verzichten will, nichts übrig, als sich an die Landsleute anzuschließen, die in der gleichen Lage sind wie er, und aus dieser Nothwendigkeit heraus ergiebt sich von selbst die Bildung von Vereinen.
Es giebt in Paris sechs deutsche Vereine. Der eine, der „Deutsche Hülfsverein“, verdient diesen Namen insofern nicht ganz, als er außer jährlichen Generalversammlungen seinen Mitgliedern keinerlei Gelegenheit bietet, mit einander in Berührung zu kommen. Sein Zweck ist in seinem Namen ausgedrückt. Er steht unter dem amtlichen Schutze der Botschaft, und sein Liebeswerk ist ein ansehnliches: nach Hunderten zählen die unglücklichen deutschen Mädchen und Jünglinge, die er jährlich unterstützt oder in die Heimath zurücksendet, wenn ihnen in der großen Stadt nur noch Noth und Verderben bevorstehen. Zum ersten Male seit 1870 ist er im vergangenen Winter aus der würdevollen Zurückhaltung, die er sich auferlegt hatte, herausgetreten und hat in einem der glänzendsten Säle von Paris einen Ball veranstaltet, welcher der Unterstützungscasse des Vereins gegen 15,000 Franken zuführte. Diese Feste werden sich alljährlich wiederholen, und vielleicht wird aus ihnen eine neue Familiengeselligkeit hervorblühen, die seit dem Kriege unter den Deutschen in Paris leider nicht existirt.
Der älteste unter den sechs deutschen Vereinen ist der „Protestantische Jünglingsverein“, der bereits Mitte der vierziger Jahre – das genaue Datum konnte ich nicht erfahren – gestiftet wurde. Seine Organisation ist eine etwas enge, weil confessionell eingeschränkte. Er zählt gegen 150 Mitglieder, die fast ohne Ausnahme dem Handwerkerstande angehören. An seiner Spitze steht der ehrwürdige und hochverdiente Pastor der Pariser deutschen Protestantengemeinde, Herr Dr. Frisius; seine Zusammenkünfte werden in der Pastorswohnung oder in der Kirche abgehalten. Er wirkt ohne Zweifel sehr moralisirend auf die Elemente, die er in sich schließt, und verdient kräftige Förderung.
Im Gegensatze zu diesem ältesten sei des jüngsten Vereins gedacht: des Pariser „Deutschen Studentenvereins“. Das ist
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 867. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_867.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)