Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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Herzen jeder Gedanke gewesen, der das Mädchen hätte beleidigen oder beschuldigen können. Er mochte es mir ansehen, daß ich mehr wußte, als er, und so ließ er es denn geschehen, daß ich das Papier aufnahm, um den Inhalt desselben halblaut zu lesen …
‚Lebt wohl, lebt Alle wohl! Ich kann Euch keine Erklärung geben. Haltet mich meinetwegen für wahnsinnig! Aber vergeßt mich, und glaubt, daß ich glücklich, o unaussprechlich glücklich bin!
Helene Beati.‘
Ich legte meine Hand auf Wenzel’s Schulter; noch immer schien er unfähig zu sein, den Vorgang zu begreifen.
‚Angelo Beati hat jetzt seine Rache,‘ sagte ich ernst.
‚Was!‘ schrie er. ‚Angelo Beati? Der Landstreicher – der Bettler? Das ist gelogen.‘
‚Nicht doch, mein Freund! Er hat seine Bezahlung haben wollen, und nun hat er sie. Der ist klüger, als wir meinten.‘
Wenzel antwortete nicht, aber eine brennende Röthe überzog sein Antlitz.
Welch ein Ereigniß! Weder Frau Dörpinghaus noch Wenzel haben Helene je wiedergesehen; der Letztere sprach acht Tage lang kein Wort, und als er wieder anfing sich mitzutheilen, da sah ich, daß eine gewisse Seite seines Charakters inzwischen die Uebermacht gewonnen hatte: in jener Zeit wurde er der bittere Cyniker, der er bis zu seinem Tode geblieben.
Frau Dörpinghaus, eine Frau von so großer Gutmüthigkeit und freundlicher Biederkeit, hat ihrer Stieftochter niemals verziehen.
‚Ich kann dem Himmel nicht genug dafür danken,‘ sagte sie, ‚daß er Helenens Vater, meinen seligen Mann, die Geschichte nicht mehr hat erleben lassen.‘
Vor der Abreise von Albano hatte ich noch eine Unterredung mit dem Padre Girolamo in Arriccia, der mir durchaus nicht als der heilige Mann erschien, den sein Neffe uns geschildert. Er war ein kleiner, vertrockneter, schwarzbrauner Alter mit verschmitzten, stechenden Augen und wie dazu geschaffen, für seinen hübschen Verwandten die Karten zu mischen und auszuspielen. Ich enthielt mich aller nutzlosen Vorwürfe und begehrte einfach von ihm zu wissen, wohin Angelo die junge Dame gebracht.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 793. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_793.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)