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Seite:Die Gartenlaube (1882) 739.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Seiten hin scharf spähend mit den Gaunerblicken, um bald die Niedergekauerten auszukundschaften und zu tödten. Viele Räubereien an anderen Kleinvögeln haben wir seither in den verschiedensten Gegenden bis in die neueste Zeit hinein beobachtet, indem wir den diebischen Vogel immerwährend scharf im Auge behielten. Zumeist in der ersten Morgendämmerung, von Nichts gestört und beobachtet, stellt er seine Kundschaftungen an; er rückt mit immer zunehmender Frechheit aus dem Feld in die Gärten, bis nahe an die menschlichen Wohnstätten, Ja in deren Umgebungen, um seinen Raubgelüsten zu fröhnen. Im Hofe und der Nähe des Hauses ist junges Hausgeflügel nicht sicher vor diesem schwarzen Satan, besonders wenn er eine größere Brut zu ernähren hat. Es ist von guten, zuverlässigen Beobachtern des Oefteren wahrgenommen worden, daß Krähen in den zoologischen Gärten einen empfindlichen Raub an den Eiern der Schwimmvögel und den Gelegen der Gänse und Schwäne verübt haben. Selbst mit den Hausthieren hält die Krähe Mahlzeit, indem sie sich deren Futterplätze und die Freßnäpfe merkt, um sich daselbst rechtzeitig zum Zehnten der Fütterung einzustellen. An Gewässern lauert sie mit großer Ausdauer auf Krebse und Fische und merkt ersterem mit großer Schlauheit die Lebensgewohnheiten ab: wenn er Abends auf das Ufer krabbelt, steht sie schon da, um ihn zu packen; sie benutzt den niederen Stand der Bäche, um der Fische in den Tümpeln mit Erfolg habhaft zu werden. Ja, ihre Berechnung geht noch weiter: Wenn Schafe vor ihrer Schur in Bächen gewaschen werden, so weiß sie aus Erfahrung, daß hierdurch viele Fische betäubt oder gar getödtet werden und nun auf der Wasseroberfläche stromabwärts getrieben werden. Sogleich ist die allwissende Krähe zur Ausbeute dieser Thatsache da.

Je mehr die Bedürfnisse seiner sauberen Nachkommenschaft zunehmen, desto mehr steigt die Verwegenheit dieses Rabenvogels; das Beispiel eines frechen Krähenpaares weckt und ermuntert ein zweites, ein drittes, das Gleiche zu thun. Und so kommt es, daß es dem aufmerksamen Auge des frühwachen Beobachters öfters gelingt, einen Trupp Krähen zu entdecken, der aus gemeinschaftlichem Diebszuge begriffen ist. Hin und wieder verhält sich die eine oder die andere Krähe bei solchen Nachstellungen anscheinend gleichgültig, indem sie sich an dem Aufspüren und dem Verfolgen ihrer Gesellschafterinnen nicht betheiligt, aber es sind dies nur Ausnahmen bei einzelnen Individuen, und diese selbst nehmen, durch das augenfällige Beispiel der Räubereien der Sippschaft verführt, nach und nach den Charakter des großen Haufens an.

Die Krähe ist ein Ueberall und Nirgends der Flur, und nichts entgeht so leicht ihren wachen Sinnen: Wie sie sie sich der Vogelwelt dadurch dienstbar erweist, daß sie dem Kleingeflügel durch Geschrei und lebhaftes Verfolgen den Raubvogel verräth, so zeigt sie sich dem den Räubern glücklich entkommenen Vogel höchst verderblich: Vielmals haben wir gesehen, daß sie den Ort sich merkte, wo kleinere, vor dem Raubvogel sich an den Boden flüchtende Vögel Zuflucht gesucht hatten – sie erhaschte schnell die ängstlich in ihrer Lage Verharrenden.

Es ist nicht zu verwundern, daß ein so geweckter, scharfsichtiger Vogel, wie die Krähe, leicht jede Quelle für Diebstahl und Raub entdeckt. Neben den Singvögelbruten sind die Krähen bei ihrem ständigen Aufenthalte in den Fluren den Bruten der Rebhühner, der Wachteln selbst der Fasanen, sowie dem „Satz“ (Jungen) der Hasen, also den jagdbaren Kleinthieren, sehr gefährlich. Wie oft haben wir gesehen, wie beide Krähengatten zur Zeit ihrer Jungenpflege Rain, Wiese, Acker ebenso eifrig nach Vogelnestern und jungen Vögeln absuchten wie nach Insecten und sonstiger Nahrung. Dabei beweist sich die Krähe höchst vielseitig. Hier benutzt sie lauernd die Abwesenheit des Brutvogels, um unbarmherzig das Nestgelage zu plündern; dort lauscht sie nach dem Gezirp hungernder junger Vögel, um sie entweder zu beschleichen oder jählings zu überfallen. In anderen Fällen wieder erhebt sie beim Ansichtigwerden oder Verfolgen eines jungen Häschens meist laute Signalrufe, auf welche sofort die Schwestern in der Flur erscheinen, um desto erfolgreicher den Raub gemeinschaftlich an dem entdeckten Opfer zu begehen. Regel bei ihr ist jedoch schlaues Lauern, hinterlistiger Raub, und nur bei vollkommener Sicherheit greift sie offenkundig an, indem sie alte Brutvögel gewaltsam vom Neste aufstöbert.

Die Krähe bewährt sich als eine Allesfresserin. Obgleich sie die thierische Nahrung der pflanzlichen vorzieht, so verschmäht sie die letztere durchaus nicht, ja sie geht zeitweise derselben sehr eifrig und unausgesetzt nach. Wer hat nicht im Hochsommer und Herbst die Diebin beim empfindlichen Raube von unreifen und reifem Obste ertappt? Von der Kirsche, der Aprikose und anderem Steinobste bis zum Apfel zehntet sie die Feld- und Gartenbäume. Kaum sind die Feldfrüchte in der Höhe, so stellt sich auch schon die Krähe zum Stehlen ein. Nun überfällt in Schaaren auch ihre kleinere Verwandte, die ungemein rührige Dohle mit ihren ausgeflogenen Jungen, die Felder, die Fluren, die Baumstücke, die Haage, und wenn im Herbste die Garben unsere Felder bedecken, dann wimmelt’s von diesem Diebsgesindel überall bedrohlich. Wer dann die Verheerungen dieser Flüge nicht gewahrt, der ist blind für die Erkenntniß solcher und ähnlicher Naturerscheinungen. Ganze Krähenfamilien plündern völlig die Erbsenländereien, indem viele Schoten von ihnen nur angebissen und dann zu Boden geschleudert werden. Diese Plünderungen geschehen in einer wahren Hast und verwüstenden Leidenschaft. Schon im Vorsommer fallen die alten Dohlen die Erbsenstrecken an und füttern ihre Jungen mit der halbreifen Frucht.

Krähe und Dohle schicken sich vermöge ihres wachsamen, klugen Wesens, ihrer Anstelligkeit und Emsigkeit in alle Lagen, in jedes Verhältniß und beuten jede Gelegenheit aus, und Vorsicht und Frechheit halten sich bei beiden, in erster Linie aber bei der bedächtigeren Krähe, das Gleichgewicht. Mit zunehmender Sicherheit, da wo sie sich geschont und geschützt fühlen, wächst ihre Kühnheit, und sie dringen alsdann auf dem Felde in die Hausgärten, um über Erbsen und Obst herzufallen und die früher schon erwähnten Unbilden an Nest und Vogel zu begehen.

Da die Dohle die Krähe aus ihren Streifereien im Frühling und Herbst vielfach begleitet, so lernt erstere der schlaueren, geriebeneren Verwandten manche ökonomische Unbilden ab. Beide, vornehmlich die Krähe, folgen zwar dem Pfluge des Landmannes und nehmen herausgepflügte Engerlinge und Regenwürmer auf, allein die Ausbeute an den bloßgelegten Maikäferlarven ist nicht besonders hoch anzuschlagen, da erfahrungsmäßig die an die Luft gesetzte Larve doch stirbt. Es sollen übrigens hiermit den Krähen und Dohlen ihre regen Bethätigungen am Erbeuten von Kerfen in allerlei Gestaltungen nicht abgesprochen werden. Haben wir doch schon 1876 über ein Zusammenrotten von Krähen und Dohlen berichtet, wo beide an Büschen und Bäumen sitzende Brach- oder Sonnenwendkäfer (Melolontha solstitialis) erbeuteten, sich jedoch bei dieser Ernährung bei weitem nicht so anstellig zeigten, wie dies ihre Verwandte, die nützlichere Saatkrähe, bei ihrer bekannten Maikäferjagd thut.

Zu den erwähnten seelischen Eigenschaften tritt bei beiden Raubvögeln auch noch ihre allbekannte Neugierde. Ueber diese ist bereits so viel geschrieben worden, daß wir hier füglich darüber schweigen können.

Der Mäusefang spielt eine große Rolle im Leben der Krähe, aber mit ihm ist es gerade so bestellt, wie mit der erwähnten Kerfnahrung: die Krähe unterbricht diese Bethätigung gar oft, um in der Ernährung zu wechseln, und sie richtet im Vergleich mit viel gewandteren und ausgiebiger der Erbeutung hingegebenen Mäusejägern, wie Mäusebussarden, Eulen, Wieseln, Füchsen, Katzen u. a. m. wenig, in wirklichen Mäusejahren oft so viel wie nichts aus.

Aus diesem lebensgetreuen Bilde der beiden Rabenvögel folgt nun der Schluß, daß der ökonomische Schaden, den sie anrichten, den Nutzen sehr überwiegt, welchen man ihnen zuschreiben kann. Daraus ergiebt sich in unser Aller Interesse folgende Regel: man wehre den Krähen und Dohlen soviel wie möglich das Vorrücken in die Gärten und verfolge sie überhaupt mit allen Mitteln – nicht aber in der Brutzeit! Und selbst während dieser nehme man ihnen, soweit es möglich, die Brut! Wir empfehlen den Jagdbesitzern, sich getrost der seiner Zeit so sehr geschmähten Krähenhütten unter Zuhülfenahme des Uhus oder einer sonstigen gezähmten Eule zu bedienen, und zwar unbekümmert um das Geschrei, welches darüber mancherseits erhoben werden mag. Diese Anstalten sind die erprobtesten Mittel zum erfolgreiche Erlegen der durch sonstige Jagd kaum erreichbaren Raubvögel.



(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_739.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)