Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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hat man behauptet – die Möglichkeit eines glücklichen Ausgangs nicht gefehlt haben. Dem ist nicht so. Eine Möglichkeit, die Waffen der isolirten römischen Republik von 1849 über die ungeheure Uebermacht der Franzosen, Neapolitaner und Oestreicher triumphiren zu machen, war von vornherein ausgeschlossen. Es konnte sich nur darum handeln, die Ehre dieser Waffen aufrecht zu halten bis zum Aeußersten, und daß die von Garibaldi geführte „Legion“ das gethan, steht fest. Wir besitzen hierfür ein Zeugniß, dessen Wahrhaftigkeit nie die leiseste Anzweifelung gestattet hat, das Zeugniß eines Augen- und Ohrenzeugen, welcher zugleich ein in erster Reihe Mithandelnder war. Es ist unser trefflicher, leider vorzeitig hingegangener Gustav von Hoffstetter gemeint, dessen Tüchtigkeit und anspruchslose Liebenswürdigkeit gewiß bei Allen, welche ihn gekannt haben, in bestem Andenken stehen. Dieser deutsche Officier hat den ganzen römischen Kampf von 1849 als einer der Führer desselben mitgemacht und nachmals ebenso schlicht wie genau und anschaulich diese denkwürdige geschichtliche Episode beschrieben („Garibaldi in Rom; Tagebuch aus Italien“, 2. A. 1860).
Um Garibaldi hatte sich die edelste Blüthe italischer Jugend gesammelt. In diesen jungen Männern, welche großentheils den gebildetsten, begütertsten, im besten Sinne vornehmsten Familien entstammten, pulsirten die Feuergedanken, welche Giacomo Leopardi in seinem hochherrlichen Canto „An Italien“ ausgeströmt hatte. Viele dieser jungen Helden haben die Echtheit ihrer Vaterlandsliebe mit ihrem Herzblut besiegelt. Ich wüßte nicht, daß zu irgendeiner Zeit und unter irgendeinem Volke auf dem Altar des Vaterlandes edlere Opfer geblutet hätten als ein Eugenio Manara oder ein Emilio Morosini. Manara, aus der Fülle aller Glücksgüter und jungen Eheglücks nach Rom geeilt, um für Italien zu kämpfen, einer der tapfersten sowohl, wie auch begabtesten und militärisch gebildetsten Führer, wurde, kaum fünfundzwanzigjährig, am 30. Juni bei der Villa Spada von einer Franzosenkugel tödtlich getroffen. Seine letzten Athemzüge verwandte er darauf, seinen schmerzerfüllten Waffengefährten zu sagen: „Tröstet meine Frau und bringt ihr diesen meinen letzten Gruß: sie soll unsere Kinder in der Liebe zum unglücklichen Vaterland erziehen und, sobald sie stark genug sind, ihnen die Waffen zur Befreiung Italiens in die Hände geben.“
An demselben Junitag von 1849 fiel auch Morosini, ein Apoll an Jugendschönheit, noch nicht zwanzig Jahre alt. Als er ein Jahr zuvor in Oberitalien als Freiwilliger zur italischen Fahne eilen gewollt, hatten seine Schwestern die Mutter flehentlich gebeten, den zärtlich geliebten Bruder nicht ziehen zu lassen. Aber die edle Italerin: „Ich gebe dem Vaterlande das Beste, was ich habe, meinen einzigen heißgeliebten Sohn.“ Als Hoffstetter später die kummervolle Mutter aufsuchte, sagte sie ihm, sie habe nur den Trost, zu wissen, daß ihr Emilio heldisch gestritten und gestorben. Eine Nation, fürwahr, welche solcher Mütter und solcher Söhne sich rühmen darf, braucht nie zu verzweifeln. Wenn aber Garibaldi, wie durch unzählige Beispiele erwiesen ist, gerade auf die reinsten und selbstlosesten unter seinen Landsleuten, auf so herrliche Menschen wie Manara und Morosini einen magisch-mächtigen Einfluß übte, so liegt hierin, sollt’ ich meinen, der unwidersprechlichste Beweis, daß er ein großer Mann war. Allzeit und überall ist nur wenigen Auserwählten eine solche elementare Macht über Menschen gegeben. Dem italischen Vorfechter kam hierbei noch etwas zu statten: das glückliche Naturell seiner Landsleute. Wo der Italiener liebt, ist seine Liebe voll; wo er hasst, ist sein Haß ganz. Das leidige deutsche Laster der Nergelei kennt er nicht. Die süßsaure Anerkennung, das halbe Lob, der flaue Tadel, diese schlechten deutschen Gepflogenheiten sind nicht seine Sache. Dem Neide der Ohnmacht und der Mittelmäßigkeit werden seine Frechheiten jenseits der Alpen nicht so leicht nachgesehen wie diesseits. Es ist charakteristisch, daß italische Zeitungen, welche notorisch im Sold und Dienst des Vatikans stehen, das Ehrliche wie das Schicksalsmächtige in der Persönlichkeit Garibaldi’s anerkannt haben. Nur deutsche und französische Pfaffenblätter haben in gemeiner Weise ihn verleumdet und verlästert.
Unser Gewährsmann sah den General zum erstenmal am 6. Mai von 1849. „Ruhig und fest saß er zu Pferde, als wäre er darauf geboren, ein etwas kleiner Mann mit sonnverbranntem Gesicht und vollständig antiken Zügen. Unter einem spitzen Hut mit schmaler Krämpe und schwarzer Straußfeder drängte sich das braune Haar hervor. Der röthliche Bart bedeckte zur Hälfte das Gesicht. Ueber der rothen Bluse flatterte der kurze, weiße amerikanische Mantel.“ Zuerst staunte der gute Hoffstetter nicht wenig über diesen „sonderbaren Aufzug“. Aber der Gesammteindruck, welchen er von der Erscheinung des Generals empfing, war doch der, daß er einen Mann vor sich habe, „welcher zum Befehlen geboren sei“.
Wie richtig dieser Eindruck gewesen, hatte unser Zeuge bald zu erhärten Gelegenheit, als er Garibaldi’s Streifzüge gegen die Soldaten des Rè Bomba in der Umgebung von Rom mitmachte und mitfechtend beobachtete, wie der General die Gefechte bei Velletri, Frosinone, Palestrina und Anagni vorbereitete, anordnete und durchführte, „mitten im dichtesten Feuer, der empfangenen Wunden nicht achtend, kaltblütig im Führen, feurig im Fechten“.
Mit der Gefahr in Rom wuchs auch das militärische Talent und die Thatkraft Garibaldi’s. Er vornehmlich war es, welcher das Eindringen der belagernden und bombardirenden Franzosen in die Siebenhügelstadt bis zur letzten Möglichkeit verhinderte. Er hat auch nicht kapitulirt, als die römische Republik dem pseudobonaparte’schen Banditenstreich erlag. Er faßte den kühnen Entschluß, mit den Trümmern seiner Legion quer durch Italien sich zu schlagen, Franzosen, Neapolitanern und Oestreichern zum Trotz, um, wo möglich, dem belagerten Venedig eine Verstärkung zuzuführen. Er machte seinen Waffengefährten kein Blendwerk vor, als er sie einlud, das verzweifelte Abenteuer zu wagen. Er sagte schlichtwahr zu ihnen: „Wer mir folgen will, dem biete ich Mühsäligkeiten, Hunger, Durst und alle Gefahren des Krieges.“ Etliche Tausende folgten ihm, und er rettete sie auf den Felsen von San Marino.
Das war freilich nicht „opportunistisch“ gesprochen und gehandelt, dafür aber heldisch, und am Ende aller Enden machen doch nicht die Opportunisten, sondern nur die Helden Geschichte.
„Klein-Frankreich in New-York“.
Eine der lebensvollsten, der figuren- und farbenreichsten Straßen des großen Völkerpanoramas von New-York-City ist Bleaker-Street. Nirgendwo anders hört man so viel Sprachen und Mundarten, erblickt man so viel verschiedene Rassen und Nationalitäten wie dort: Farbige in allen Schattirungein, vom kohlschwarzen Nigger bis zum hellen Octoronen, südamerikanische Mischlinge mannigfacher Art, Chinesen, Japanesen, Indianer, Israeliten und Kaukasier; Deutsche, Franzosen, Italiener und alle anderen Europäer.
Ebenso vielgestaltig ist das geschäftliche Treiben dieser kleinen Welt; es sind hier alle Gewerbe vertreten, erlaubte und unerlaubte: neben echten Aerzten prakticiren Clairvoyants und Quacksalber, neben legitimen Apothekern Verkäufer von Geheimmitteln. Sogenannte Concerthallen wechseln mit ebenso fraglichen Sommergärten ab; denn zu letzteren zählen sich in New-York auch Locale, die keinen Platz im Freien, keinen Baum oder Strauch bieten. Die Trottoirs von Bleaker-Street sind mit Obst-, Austern-, Kuchen- und Zeitungsständen überfüllt. Hier ist Alles zu haben: Limonade und Leibweh, „root-beer“ (ein schauerliches Lieblingsgetränk der Amerikaner) und Katzenjammer, ein Bild des New-Yorker Volkslebens und eine Tracht Prügel.
Abgesehen von den Wirkungen der Jahreszeiten, verändert sich Bleaker Street nicht merklich. Seine Bewohner, alles „kleine Leute“, die den herben Kampf um’s Dasein führen, gehen im heißen Sommer weder auf’s Land noch reisen sie nach Europa; sie speculiren weder in Grundbesitz noch in Actien, und ihre Ersparnisse legen sie vielfach nicht in Sparbanken und anderen Creditanstalten, sondern in dem altbewährten Strumpf an.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 668. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_668.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2023)