Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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überwältigend erbrauste Beethoven’s herrliche Hymne „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ in die weite Halle hinein. In fast athemloser Spannung lauschte die Menge den erhebenden Klängen, und als sie verhallten, brach jubelnder Beifall aus. Dann hielt Dr. Hachmann, der Präsident der „Bürgerschaft“, mit schallender, im fernsten Winkel des großen Raumes klar verständlicher Stimme eine zündende Ansprache, die in einem begeisterten Hoch gipfelte auf den deutschen Kaiser, „der den versunkenen Nibelungenschatz deutschen Reiches Herrlichkeit gehoben, auf dessen Thaten und Namen für alle Zeiten der dankbare Herzschlag der Nation antwortet“, und begeistert, wie das Hoch ausgebracht wurde, stimmten alle die Tausende, welche die Halle füllten, stehend in dasselbe ein. Der fernere Verlauf des Concerts mußte auch die höchstgehenden Ansprüche nicht nur befriedigen, sondern übertreffen. Die einzelnen Nummern gelangten in tadelloser Weise zu Gehör und übten eine mächtige Gesammtwirkung aus, die durch die überraschend gute Akustik der Festhalle wesentlich gehoben wurde.
Abwechselnd dirigirten Professor von Bernuth und der Bundeschormeister Franz Schmid; es war eine Freude, zu beobachten, wie die beiden wackeren Dirigenten den gewaltigen Männerchor „wie am Schnürchen“ lenkten und aus ihm das zarteste Piano wie das brausendste Forte förmlich herausholten. Interessant war ferner die Beobachtung, daß einfache deutsche Lieder, wie das von Conradin Kreutzer[WS 1] componirte innige Uhland’sche Lied „Das ist der Tag des Herrn“ und die Müller’sche, von Karl Isenmann in Musik gesetzte, volksliedermäßige Dichtung „Heute scheid’ ich, morgen wandr’ ich“ am prächtigsten gelangen und die größte Wirkung erzielten.
Gehoben durch den unvergleichlichen Genuß dieses Concertes, verließ nach Beendigung desselben die Menge die Halle, um sich wieder auf dem Festplatze zu ergehen, wo erst die späte Nacht dem fröhlichen Gewühle ein vorläufiges Ziel setzte.
Und wieder wurde aus Abend und Morgen der dritte Tag.
Auf diesen dritten Tag war der große Festzug angesetzt, der den Höhepunkt des Festes in seiner Bedeutung als Volksfest bildete. Das war ein Leben und Treiben, ein Wogen und Drängen auf den Straßen, durch die der Zug sich bewegen sollte! Von allen Balconen, aus allen Fenstern hingen bunte Teppiche herab, und über dieselben lugten leuchtenden Blickes „Damen in schönem Kranz“ zu uns herüber. Vor dem Steinthore, beim Gewerbemuseum, geschah die Aufstellung des gigantischen Zuges, der sich Nachmittags gegen 2½ Uhr in Bewegung setzte, zwei in mittelalterliche Kostüme gekleidete Herolde mit Reisigen an der Spitze.
Zunächst – um nur Einiges aus dem Festzuge anzuführen – bedarf der große Festwagen der Erwähnung, auf dem das schwere Bundesbanner gefahren wurde. Der Wagen, ein wirkliches Kunstwerk, wurde von dem bewährten Hamburger Bildhauer Engelbert Pfeiffer modellirt und hatte die Form eines Schiffes, das am Bugspriet die Muse des Gesanges, an den reich ornamentirten Seitenborden aber verschiedene Städtewappen und am Spiegel ein mächtiges Hamburger Wappen zierten. Das Schiff, von sechs Rappen gezogen, war mit zwölf buntgekleideten Matrosen bemannt. Dieser Festwagen mit dem darauf befindlichen Bundesbanner, auf dem man in leuchtender Goldstickerei das Wort des alten Arndt: „Das ganze Deutschland soll es sein!“ las, erregte überall stürmischen Enthusiasmus und auf ihn besonders regneten aus schönen Händen duftige Blumensträuße dicht hernieder.
Auch im Zuge kam der Humor zu seinem Rechte. Einzelne sächsische Vereine marschierten geschlossen unter einem gewaltigen Sonnendache, gewissermaßen damit ihre brüderliche Eintracht andeutend. Die Hildesheimer trugen Sonnenschirme in schreiend rothen und gelben Farben, und ein anderer hannoverscher Verein hatte sich mit phantastischen Kopfbedeckungen mit darauf gestickten Sonnenblumen versehen. Die „Chargirten“ der „Liedertafel“ zu Hameln marschierten ihren Sängern voran in grauen Hüten, die zu Ehren des berühmten „Rattenfängers“ ihrer Vaterstadt mit Ratten ausstaffirt waren, und ein Bremer Club führte als Feldzeichen auf hoher Stange einen schwarzen Kater, der eben im Begriff ist einen riesigen Häring zu verspeisen; darunter das Wort: „Des Sängers Fluch“.
Der drittehalb Stunden lange Zug bewegte sich zuerst in die in einen Triumphpfad verwandelte Steinstraße hinein und dort, wo zur Rechten die hohen Kirchthürme zu St. Jacobi und St. Petri ernst auf ihn herniederschauen, hat unser Künstler in dem beigegebenen Bilde aus ihm eine Partie festgehalten.
Unter ununterbrochenem Jubel der Bevölkerung, unter fortwährendem Blumenregen aus schönen Händen bewegte er sich durch die vorgeschriebenen Straßen und unter den Klängen der Musik nach dem Festplatze, wo er erst nach fünf Uhr anlangte.
Die Strapazen, welche der große Zug nothwendig mit sich brachte, machten es nöthig, daß der Anfang des zweiten Festconcerts, der wie beim ersten auf sechs Uhr anberaumt war, um eine Stunde verschoben wurde. Das Concert wurde dieses Mal eingeleitet mit einer Ansprache eines Vertreters des Sängerbundes, des Generaldirectionsrathes E. Rutz aus München, und der Verlesung eines herzlichen Danktelegramms, das der deutsche Kaiser für das ihm am Tage zuvor von 17,000 Festgenossen gebrachte Hoch an den Bürgermeister Dr. Kirchenpauer gerichtet hatte. Trotz der beim Zuge erlittenen Strapazen kamen die Lieder auch jetzt wieder mit wundervoller Frische und Präcision zum Vortrage, so namentlich das wildenergische „Lied der Städte“ von Hermann Lingg, componirt von Max Bruch. Elektrisirend erklang die Schlußstrophe:
„Was Felseneck und Hohenrain!
Was Geierhorst und Drachenstein!
Schlagt drein, schlagt drein!
Schlagt Zugbrück’ ein und Pfosten!
Die Sporen müssen rosten
Und frei die Städte sein.“
Geradezu bezaubernd gelang die „Dörpertanzweise“ von Victor von Scheffel, Melodie von Max Zenger, mit dem Refrain:
„Der Heini von Steyer
Ist wieder im Land.“
Ueberwältigend erhaben dagegen war der „Siegesgesang der Deutschen nach der Hermannsschlacht“ von Felix Dahn, von dem Altmeister des deutschen Liedes Franz Abt in Musik gesetzt. Und wieder war das dicht gedrängte Publicum auf’s Höchste entzückt von den ausgezeichneten Leistungen der Sänger. Die animirte Stimmung erlitt auch nicht die geringste Einbuße, als während der letzten Nummer das elektrische Licht in Folge einer Störung in der Leitung plötzlich erlosch und der Chor seinen Gesang im Dunkeln zu Ende führte, was ihm exact gelang.
Der diesem letzten der eigentlichen Festtage folgende Sonntag war ganz und gar Ausflügen in die Umgegend Hamburgs gewidmet. Ein großer Theil der Sänger stach mit fünf Dampfern der „Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt-Actien-Gesellschaft“, mit der „Suevia“, der „Lotharingia“, der „Frisia“, der „Messalia“ und dem „Blankenese“ bis in die Nähe des rothen Felseilandes
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Kreuzer
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 598. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_598.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2023)